Merkels Sinn für Stimmungen versagt

  26 September 2018    Gelesen: 869
Merkels Sinn für Stimmungen versagt

Ausgerechnet an der Spitze der Unionsfraktion wollte Angela Merkel die Erneuerung der CDU blockieren. Ein folgenschwerer Irrtum. Ralph Brinkhaus ist mit einer Methode erfolgreich, die schon Jens Spahn angewandt hat.

 

Im Rückblick ist man immer klüger. Als Angela Merkel vor zwei Jahren verkündete, dass sie bei der Bundestagswahl noch einmal als Kanzlerkandidatin antreten werde, saß sie am Abend bei Anne Will. Sie habe sich gefragt, ob sie etwas für den Zusammenhalt einer so polarisierten Gesellschaft tun könne, sagte Merkel damals. "Und da glaube ich, dass ich sowohl von der Tonalität etwas tun kann - wir wollen nicht uns gegenseitig hassen, sondern wir wollen miteinander diskutieren wie Demokraten diskutieren - und ich glaube, dass ich auch in der Sache gute Argumente habe."

Mittlerweile ist klar, dass dies ein Irrtum war. Ob diese Gesellschaft weniger gespalten wäre, wenn Merkel sich nicht noch einmal zur Kanzlerin hätte wählen lassen; ob es besser für die Union gewesen wäre, wenn sie ihren Rückzug früher eingeleitet hätte? Niemand weiß das. Doch Merkels Hoffnung, sie könne die aufgeregte Debatte beruhigen, war eine Fehleinschätzung.

Wenn es darum ging, Stimmungen zu erspüren, hat die Kanzlerin in den vergangenen Jahren mehrere Fehler gemacht. Der folgenschwerste war, dass sie glaubte, den Streit mit CSU-Chef Horst Seehofer gewinnen zu können, indem sie ihn einfach aussaß. Das funktionierte nicht. Natürlich trugen Seehofers Attacken gegen Merkel zum schlechten Abschneiden von CDU und CSU bei der Bundestagswahl vor einem Jahr bei. Aber die Tatsache, dass die Kanzlerin der Schwesterpartei im Streit um die richtige Flüchtlingspolitik nicht einmal einen symbolischen Sieg gönnte, war ebenfalls nicht hilfreich.

Zu viel an die Funktionalität gedacht
Erst am Montag musste die Kanzlerin einräumen, dass ihr Sinn für Stimmungen versagt hatte. Nachdem die Wegbeförderung des bisherigen Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen gescheitert war, sagte Merkel, sie habe sich "zu sehr mit der Funktionalität und den Abläufen im Bundesinnenministerium beschäftigt, aber zu wenig an das gedacht, was die Menschen zu Recht bewegt, wenn sie von einer Beförderung hören". Dann fügte sie einen Satz hinzu, der klang, als habe ihr Versagen sie selbst am meisten erschreckt: "Dass das geschehen konnte, bedauere ich sehr."

Genauso war es wohl auch am Dienstag. In ihrem Festhalten an Volker Kauder hatte Merkel sich zur sehr an der Funktionalität der Unionsfraktion orientiert - daran, dass Kauder ihr bislang verlässlich Mehrheiten organisiert und Kritiker eingebunden oder marginalisiert hatte. Zu wenig berücksichtigte sie die Stimmung der Abgeordneten, die nicht nur funktionieren, sondern auch offen diskutieren wollen. Dass es vielen Fraktionsmitgliedern und mit ihnen fast allen Journalisten genauso ergangen war, dürfte für sie kein Trost sein.

Es ist gut vorstellbar, dass Merkel mit Brinkhaus vernünftig zusammenarbeiten wird und dass ihr aus seiner Wahl kein Schaden erwächst. Denn ein "Anfang vom Ende von Merkel" war diese Wahl sicherlich nicht - jedenfalls nicht mehr als die Bundestagswahl. Oder das Ende der Jamaika-Sondierungen. Oder der Blick in den Abgrund vor der Sommerpause. Möglich ist auch, dass sie ihr strategisches Geschick wiederfindet. Nach der Bundestagswahl konnte Merkel die CDU schließlich auch deshalb beruhigen, weil sie eine dreifache Erneuerung vorantrieb oder zumindest zuließ: die der Partei, indem sie Annegret Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin machte. Die der Regierung, indem sie junge Minister wie Jens Spahn in ihr Kabinett holte. Und die der Fraktion, wo eine jüngere Generation in die Fraktionsführung aufstieg. Nur auf dem Posten des Fraktionschefs sollte sich nichts ändern. In der Rückschau wirkt auch dies wie ein erstaunlicher Irrtum.

Die Entscheidung der Fraktionsmehrheit für Brinkhaus ist ein Signal an Merkel, nicht zu lange damit zu warten, ihren Rückzug zu organisieren. Wie lange genau sie dafür noch hat? Auch das wird man erst hinterher wissen. Als Kanzlerin ist sie für die vollen vier Jahre angetreten. Anfang Dezember trifft sich die CDU zum Parteitag in Hamburg. Ein Programmpunkt: die Wiederwahl der Parteivorsitzenden. Möglicherweise wäre Merkel gut beraten, noch einmal gründlich darüber nachzudenken, ob es nicht doch klüger wäre, die Nachfolge für dieses Amt schon jetzt zu regeln.

Einer hat in den vergangenen Wochen übrigens alles richtig gemacht. Ralph Brinkhaus hat es gewagt, gegen den Wunschkandidaten der Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin zu kandidieren. Wichtiger noch: Er hatte den Mut, ein Scheitern in Kauf zu nehmen. Denn auch das ist eine Lehre vom Dienstag: Wer Machtkämpfe gewinnen will, muss etwas riskieren. All die anderen, die darauf hoffen, Merkel zu beerben, haben das in dieser Offenheit bislang nicht getan. Mit einer Ausnahme: Jens Spahn. Schon vor vier Jahren kämpfte er sich ins CDU-Präsidium, ebenfalls gegen den erklärten Willen der Chefin. Spahn dürfte die Vorgänge in der Unionsfraktion mit besonderem Interesse verfolgt haben. Seine Mitbewerber allerdings auch.

n-tv


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