Der türkische Präsident ist seit Donnerstagmittag in Berlin. Im Regierungsviertel gilt Sicherheitsstufe eins. Gestern waren bereits 3500 Polizisten im Einsatz. Sie patrouillierten vor allem zwischen Bundeskanzleramt, Reichstag und dem Hotel Adlon am Brandenburger Tor, wo Erdogan übernachtete. Selbst die Spree wurde teilweise gesperrt. Heute werden es nach Polizeiangaben mit bis zu 4200 Einsatzkräften noch mehr. Denn das offizielle Programm seines Staatsbesuches geht erst jetzt richtig los.
Um 9.30 Uhr ist Erdogans Ankunft am Schloss Bellevue vorgesehen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von der SPD und dessen Frau Elke Büdenbender werden ihn in Empfang nehmen - mit militärischen Ehren. Erdogan wird auch seine Unterschrift im Gästebuch hinterlassen.
Der Besuch Erdogans wird von Anfang an von Protesten begleitet. Schon vor seiner Ankunft protestierten Aktivisten von Reporter ohne Grenzen am Flughafen Tegel. Geschäftsführer Christian Mihr sagte n-tv: "Es sitzen mehr als 100 Journalisten in der Türkei in Haft. In den deutsch-türkischen Beziehungen kann es keine Verbesserungen geben, solange so viele Journalisten zu Unrecht in Haft sitzen." Die wohl größte Demo folgt am späten Freitagnachmittag. Die Veranstalter des Bündnisses "Erdogan not Welcome" wollen mit 10.000 Demonstranten vom Potsdamer Platz in einer weiten Schleife bis vor das Schloss Bellevue marschieren.
Journalist Dündar will Erdogan Kritik gerne direkt ins Gesicht sagen
Nach seiner Begrüßung im Schloss Bellevue ziehen sich Erdogan und Steinmeier zu vertraulichen Gesprächen zurück. Danach geht es weiter in Richtung Bundeskanzleramt. Angela Merkel empfängt Erdogan voraussichtlich um 11.30 Uhr. Merkel und Erdogan wollen dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammen Mittag essen. Die Liste möglicher Themen für die beiden ist lang, doch Erdogan möchte einen klaren Akzent setzen. Vor seiner Anreise warb er für ein "vollständiges Ende" der Spannungen und "vernunftorientierte" Beziehungen auf Augenhöhe. Erdogans Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ließ erahnen, dass ihm dabei angesichts der ökonomischen Misere der Türkei vor allem an Wirtschaftsbeziehungen gelegen ist.
Um 12.30 Uhr soll sich der Staatsgast dann den wohl kritischen Fragen der Medien stellen. Erdogan und Merkel geben eine Pressekonferenz. Der ins deutsche Exil geflohene türkische Star-Journalist Can Dündar kündigte an, den Mann der auch ihn einsperren ließ, zu befragen. Er wolle wissen, warum er Journalisten als Terroristen einsperre. "Ich würde Erdogan meine Kritik gerne direkt ins Gesicht sagen", so Dündar.
Allzu viel Zeit für Fragen bleibt allerdings nicht. Schon um 13.15 Uhr soll Erdogan an der Zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft einen Kranz niederlegen. Die Termine sind so eng getaktet, dass sich Fotografen für den einen oder für den anderen Auftritt entscheiden müssen.
"Staatsbankett kein Ort für politische Auseinandersetzung"
Um 19.30 beginnt der wohl umstrittenste Teil von Erdogans dreitätigem Besuch: das Staatsbankett im Schloss Bellevue. Geladene Politiker aus den verschiedensten Parteien sagten ab, weil sie Erdogan nicht derart hofieren wollen. Christian Lindner etwa von der FDP sagte in der Deutschen Welle: "Ich möchte nicht mit Sekt mit Herrn Erdogan anstoßen." Erdogan trinkt bekanntlich zwar keinen Alkohol, aber die Botschaft ist wohl unmissverständlich. In sozialen Medien wurde bereits gewitzelt, dass das Staatsbankett wegen zu weniger Teilnehmer in eine Döner-Bude verlegt werden würde.
Das Bundespräsidialamt füllt die 120 Plätze umfassende Gästeliste aber auf. Und auch einige prominente Erdogan-Kritiker wollen sich die Chance nicht entgehen lassen, den türkischen Präsidenten spüren zu lassen, dass sie da sind. Der grüne Cem Özdemir sagte: "Er muss mich, der für die Kritik an seiner autoritären Politik steht, sehen und aushalten." Erdogan ist bekannt dafür, dass er kritische Stimmen aus seinem persönlichen Umfeld verbannt. Seine politische Führungsriege besteht mittlerweile laut Türkei-Kennern weitgehend aus Ja-Sagern.
Gökay Sofuoglu von der Türkischen Gemeinde in Deutschland, der ebenfalls eingeladen ist, erwartet bei seinem ersten Staatsbesuch allerdings keinen Eklat. "Das ist kein Ort für politische Auseinandersetzungen", sagte er n-tv.de. Er erwarte sich mehr von den vertraulichen Gesprächen Erdogans mit den deutschen Regierungsvertretern. Sofuoglu begrüßt das diplomatische Tauwetter – auch mit Blick auf das Zusammenleben von Deutschen und Deutschtürken in der Bundesrepublik. Er pocht aber darauf, dass Demokratie und Menschenrechte niemals zur Verhandlungsmasse werden dürften.
Kanzlerin Merkel wird beim Staatsbankett nicht dabei sein. Erdogan hat beim Frühstück am Samstagmorgen aber eine weitere Gelegenheit für Gespräche mit ihr. Gegen 10 Uhr soll er dafür wieder im Kanzleramt sein.
Einsatzplanung der Kölner Polizei steht noch nicht
Für den nächsten Termin reist Erdogan nach Köln. Dort wird er nach Angaben des "Kölner Stadtanzeigers" zunächst den Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, Armin Laschet, treffen. Für beide Beteiligten scheint dies aber eher eine protokollarische Pflicht zu sein. Nach Köln kommt Erdogan kurz vor seiner Rückreise in die Türkei vor allem für die Eröffnung der Zentralmoschee des religiösen Dachverbands Ditib. Der Termin, der für 14 Uhr angesetzt ist, ist nicht mehr Teil des offiziellen Staatsbesuchs. Das macht ihn aber nicht weniger brisant. Ditib setzt Imame der türkischen Religionsbehörde Diyanet ein. Einige der Prediger verbreiten Berichten zufolge Erdogans politische Weltsicht von der Kanzel. Die Bundesanwaltschaft ermittelte auch schon wegen Spionagevorwürfen gegen Ditib-Imame. Für die Eröffnungsfeier setzt Ditib nun ausschließlich auf Erdogan. Zumindest ließen Ankündigungen des Verbands in sozialen Netzwerken nicht erahnen, dass auch deutsche Politiker bei der Zeremonie sprechen würden. Nordrhein-Westfalens Integrationsstaatssekretärin Serap Güler sagte n-tv.de: "Der Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, wird nicht mit Leben gefüllt, wenn der türkische Präsident Erdogan alleine diese Moschee eröffnet." Das Satz werde konterkariert. Dass Ditib ein unabhängiger deutscher Verein sei, bezeichnet Güler als "Behauptung", die offensichtlich wenig mit der Realität zu tun habe. Für solch eine Veranstaltung eigentlich gesetzte Gäste wie Ministerpräsident Armin Laschet und Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker wollen nicht zur Eröffnungszeremonie zu kommen.
Wie beim Staatsbankett gilt aber: Um zu wenig Gäste muss sich Erdogan in Deutschland nicht sorgen. Die Kölner Polizei kündigte sicherheitshalber an, "nur" 5000 Menschen auf den Vorplatz der Moschee zu lassen, nachdem Ditib "alle deutschen und türkischen Freunde und Freundinnen" zu der Moschee-Eröffnung eingeladen hatte.
Auch in Köln wird es Protest gegen Erdogan geben. Aktivisten rufen zu mehreren Gegendemonstrationen auf. Unter welchen Bedingungen Moschee-Eröffnung und Proteste stattfinden können, ist allerdings noch unklar. Die Einsatzplanung der Kölner Polizei ist noch nicht abgeschlossen - weil Ditib bisher kein Sicherheitskonzept vorgelegt hat. Polizei-Präsident Uwe Jacob setzte dem Verband eine Deadline bis heute Morgen. Polizeichef Jacob musste am Vortag einräumen, dass er nicht ausschließen könne, dass noch alles abgesagt wird, wenn Ditib bis dahin nicht ausreichend Informationen liefere. Eine ungewöhnliche Lage. Ein ungewöhnlicher Gast.
n-tv
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