Österreichs Sozialdemokraten wanken

  30 September 2018    Gelesen: 773
Österreichs Sozialdemokraten wanken

Die nächste Pfeiler der Sozialdemokratie in Europa wackelt: Mit seinem abrupten Abgang verunsichert der ehemalige SPÖ-Chef Kern seine Partei. Seiner Nachfolgerin fehlt die Hausmacht. Die Fronten bröckeln - und der rechtskonservative Gegner ist stark.

Pamela Rendi-Wagner könnte eigentlich eine glückliche Frau sein. Nur eine Woche nach dem überraschenden Rücktritt des SPÖ-Vorsitzenden Christian Kern wurde sie vor einigen Tagen vom Parteivorstand einstimmig als dessen Nachfolgerin bestimmt. Doch nach dem klaren Votum folgt das stetige, parteiinterne Nachtreten mit versteckten Drohungen und Forderungen. Das Chaos bei der SPÖ tritt derzeit offen zutage. Hat Kern mit seinem plötzlichen Abgang die Sozialdemokraten Europas noch tiefer in die Krise gestürzt? Immerhin 26,9 Prozent der Stimmen hatte die SPÖ noch bei der Nationalratswahl im Oktober 2017 geholt. Das reichte zwar nicht zum Regieren, Sozialdemokraten in anderen Ländern würden aber bei solchen Werten wohl zu Freudensprüngen ansetzen.

Zum Vergleich: Die SPD blieb bei der Bundestagswahl nur knapp über der 20-Prozent-Marke - und liegt nun in Umfragen deutlich darunter. Die SPÖ dagegen bewegte sich vor dem Kern-Chaos in Umfragen zwischen 27 und 29 Prozent. Doch derzeit präsentiert sich die SPÖ in erster Linie als zerstrittene Partei, in einer ersten Umfrage nach dem Kern-Abgang büßte sie gleich vier Prozentpunkte ein. Die neue Parteichefin Rendi-Wagner war nach zahlreichen Absagen nicht die erste Wahl, sondern die einzig verfügbare, erklärt Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer: "Pamela Rendi-Wagner ist mehr oder minder eine Quereinsteigerin, sie ist nicht in der Partei verankert und sie hat absolut keine Hausmacht."

Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb krempelte sie die SPÖ im Eilverfahren um, schmiss den Bundesgeschäftsführer Max Lercher und den Fraktionsgeschäftsführer Andreas Schieder raus und ersetzte sie durch Verbündete. Lercher und Schieder fügten sich, konnten aber nicht verbergen, dass sie gerne noch ein wenig in ihren Ämtern geblieben wären. Die Partei trug diese Entscheidungen vordergründig mit - um sie nun täglich zu kritisieren.

"Selbstbeschädigung in Reinkultur"

"Wir sind als loyale Organisation bekannt, aber wir wollen auch etwas", sagte Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig in einem Interview der Zeitung "Heute". Was genau, wolle er ihr lieber persönlich sagen. Einen Tag später legte er im "Kurier" nach: Es wäre kein Nachteil, wenn die Personalentscheidungen an der SPÖ-Spitze noch einmal überdacht würden. "Ich bin überzeugt, dass das so kommt." Es klingt wie eine Drohung.

"Die Partei ist dabei, eine Schlüsselstärke einzubüßen: Die Geschlossenheit nach außen", sagt dazu der österreichische Politikberater Thomas Hofer. Der Abgang Kerns und die folgenden Chaostage beschreibt er als "Selbstbeschädigung in Reinkultur". Die SPÖ erinnere ihn derzeit an die FPÖ vor einigen Jahren, "als es zum guten Ton gehörte, zum Frühstück am Sessel des Parteichefs zu sägen." Dass die Sozialdemokraten in Österreich nun den gleichen Weg gehen müssen wie jene in Frankreich, Deutschland oder Italien, sei aber noch nicht sicher. Eine große Gefahr berge die aktuelle Situation aber in jedem Fall. "Die Sozialdemokratie in Österreich ist weit davon entfernt, dass es ihr gut geht."

Die rechtskonservative Regierung genießt dagegen ein recht gutes Ansehen. Die beiden Regierungsparteien streiten kaum miteinander und setzen Gesetze in Windeseile um. Hinzu kommt die EU-Ratspräsidentschaft, viele Gipfel, Treffen mit Staats- und Regierungschefs und ein Kurs in der Migrationsfrage, der "sicher bei 70 bis 75 Prozent der Bevölkerung auf Zustimmung stößt", sagt Experte Bachmayer. Für eine SPÖ, die durch den Rücktritt von Ex-Kanzler Kern in Personalfragen in Streit geraten ist, wirkt dieser Gegner riesig. Und so steht im kleinen Österreich für Europas Sozialdemokraten doch einiges auf dem Spiel. Bei den letzten Wahlen in Frankreich erhielten sie nur 9,5 Prozent der Stimmen, in Italien 18,7 Prozent, in Deutschland 20,5 Prozent.

In acht Monaten steht nun mit der Europawahl die nächste wichtige Abstimmung an. Ob Christian Kern mit seiner Bewerbung als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten bei dieser Wahl alles zum Positiven wenden kann, wird sich zeigen. Hochmotiviert kam der 52-Jährige bisher allerdings nicht rüber. Im ORF ließ er zuletzt große Zweifel aufkommen, wie ernst er es mit seiner Kandidatur überhaupt meint. "Ich bin der Auffassung, dass wir uns da gemeinsam hinzusetzen haben, das zu diskutieren, wer welche Aufgabe übernimmt. Da gibt es hervorragende Männer und Frauen."

Quelle: n-tv.de


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