Im Präsidentschaftswahlkampf 2016 veröffentlichte Donald Trump zwei Listen mit Personen, die er für etwaig vakant werdende Plätze im Supreme Court im Auge hatte. Er hatte die Listen nicht selbst zusammengestellt, das hatte er einen konservativen Think Tank, die Heritage Foundation, sowie eine Juristenvereinigung, die Federalist Society, machen lassen.
Die Listen und die Zusammenarbeit mit den beiden Organisationen waren ein klares Signal an die Wähler: Seht her, ich entspreche vielleicht nicht der Idealvorstellung eines konservativen Politikers. Aber ich garantiere euch, dass ich ausschließlich lupenreine Konservative an den Obersten Gerichtshof entsenden werde. Dieses Versprechen hat Trump gehalten.
Anders als in Deutschland ist die Berufung von Richtern für das höchste Gericht eine extrem politische und zunehmend kontroverse Entscheidung. Wenn konservative Wähler an den Supreme Court denken, dann denken sie an Abtreibung und Waffenbesitz - Themen, die die amerikanische Gesellschaft seit Jahrzehnten so sehr spalten, dass sie die politischen Lager geradezu definieren. Die Aussicht auf neue Berufungen an den Supreme Court war für traditionelle Konservative, die Trumps Privatleben und sein aggressives Auftreten ansonsten möglicherweise eher befremdlich fanden, der wohl zentrale Impuls, ihn zu wählen. In einer Nachwahlbefragung am 8. November 2016 sagten 56 Prozent der Trump-Wähler, dies sei "der wichtigste Faktor" für ihre Wahlentscheidung gewesen.
Nach der Berufung von zuerst Neil Gorsuch und jetzt Brett Kavanaugh zu Verfassungsrichtern besteht der Supreme Court aus fünf Richtern, die von republikanischen Präsidenten berufen wurden, und vier Richtern, denen Demokraten ins Amt halfen. Allein das ist für Trump ein enormer politischer Erfolg. Gorsuch und Kavanaugh sind beide Anfang 50. Sie werden den Supreme Court für mehr als eine Generation prägen. Dazu kommt, dass derzeit alle Bereiche des politischen Systems der USA von Republikanern dominiert werden: das Parlament, die Exekutive und die Rechtsprechung.
Erfolgreich ist, wer spaltet
Doch Trumps Erfolg geht noch weit über den unmittelbaren politischen Sieg hinaus. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums in den USA haben die Vorwürfe gegen Kavanaugh eine Solidarisierungswelle ausgelöst, die selbst Konservative erfasste, die bislang Abstand zum Präsidenten gehalten hatten. Auch die Senatoren Jeff Flake und Bob Corker, die beide mehrfach deutlich gemacht haben, dass sie Trump für inkompetent und unmoralisch halten, stimmten für Kavanaugh. Der konservative Blogger Erick Erickson, der sich im Wahlkampf 2016 gegen Trump gestellt hatte, nahm den Fall sogar zum Anlass, seine Haltung zu revidieren: Er könne sich gut vorstellen, 2020 Trump zu wählen, schrieb er.
Trump hat verstanden, dass die Besetzung des Supreme Court ein glänzendes Thema ist, um die traditionellen Konservativen hinter sich zu scharen. Er tat allerdings noch mehr: Der Präsident nutzte die Vorwürfe gegen Kavanaugh, um auch einen anderen Teil seiner Basis anzusprechen: die Wütenden, die Lauten, die Aggressiven. Nachdem er Christine Blasey Ford - die Psychologie-Professorin, die Kavanaugh versuchte Vergewaltigung vorwirft - zunächst "eine sehr feine Frau" genannt hatte, änderte er seinen Kurs: Bei einem Auftritt in Mississippi vor einer Woche machte er sich über Ford lustig und unterstellte ihr, sich an nichts erinnern zu können. Das Publikum jubelte. Den Demokraten, so Trump, gehe es nicht um Aufklärung, sondern darum, einen unbescholtenen Juristen zu demontieren.
Auch die Republikaner im Senat argumentierten, dass für Kavanaugh die Unschuldsvermutung gelten müsse. Doch Trump hatte noch eine andere Botschaft für seine Fans: Er schilderte den Fall als Bedrohung für jeden anständigen Amerikaner. "Dies ist eine sehr unheimliche Zeit für junge Männer in Amerika, wo man für schuldig erklärt werden kann, obwohl man nichts getan hat." Ihm selbst sei das schon oft passiert. Und dann spielte er einen jungen Mann, der seiner Mutter erzählt, dass er gerade einen tollen Job bekommen habe, jetzt aber entlassen werde, weil eine Frau, "die ich nie getroffen habe, sagt, dass ich Dinge getan habe, die schrecklich waren". Trump spielt die Verzweiflung des fiktiven Mannes ausführlich vor: "Mom, ich weiß nicht, was ich tun soll. Mom, was soll ich tun? Was soll ich tun, Mom? Was soll ich tun, Mom?"
Trumps Erfolg beruht darauf, dass er die unterschiedlichen Teile der republikanischen Wählerschaft an sich binden kann - die einen durch Politik, die anderen durch Populismus. In einer Gesellschaft, die so gespalten ist wie die USA, gewinnt der, der es schafft, die eigene Basis zur Wahl zu treiben - auch wenn das bedeutet, das Land noch weiter zu spalten. Das ist schlecht für die USA. Aber gut für Trump. (Ob an den Vorwürfen gegen Kavanaugh etwas dran ist, dürfte ihn nie interessiert haben. Die vom Weißen Haus in Auftrag gegebene FBI-Untersuchung jedenfalls war ganz offensichtlich von vornherein so angelegt, dass nichts dabei rauskommen konnte.)
Die Demokraten hatten gehofft, bei den Kongresswahlen am 6. November vom Fall Kavanaugh zu profitieren. Das könnte ein Irrtum gewesen sein. Trump ist nach wie vor ein unbeliebter Präsident. Aber mehr als zwei Drittel der Amerikaner sagt, dass er für seine Überzeugungen einsteht. Zudem gehen seine Umfragewerte wieder nach oben, genauer: seit Mitte September. Das ist exakt der Zeitpunkt, an dem der Streit um Kavanaugh begann.
Quelle: n-tv.de
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