Wer je in Georgien war, schwärmt von der Schönheit des Landes. Immer mehr Touristen zieht es an die Strände des Schwarzen Meeres, auf die Wochenmärkte von Tiflis und in die beeindruckende Bergwelt des Kaukasus. Mit touristischen Schnappschüssen haben die Arbeiten der drei Fotografinnen Dalo Sulakauri, Anka Gujabidze und Natela Grigalashvili allerdings gar nichts zu tun. Ihr Bildband "Wartezimmer zum Glück" zeigt die georgische Realität dieser Tage in verschiedenen, thematisch angelegten Serien.
Sulakauri ist Jahrgang 1985 und hat in Tiflis und New York studiert. Die preisgekrönte Fotografin arbeitet unter anderem für National Geographic und die Nachrichtenagentur Reuters. Von ihr stammt in dem Band unter anderem das Bild einer augenscheinlich sehr jungen Braut. Zunächst sieht man nur, wie sie in unzählige Schichten Tüll gehüllt versucht, der Blutlache eines frisch geschlachteten Schafes zu entgehen. Später sitzt sie makellos geschminkt auf einem Sofa, der Gesichtsausdruck seltsam leer, während um sie herum Kinder toben. Vom Bräutigam fehlt jede Spur. "Geraubte Jugend" nennt Sulakauri ihre Serie.
Auf anderen Bildern der Serie ist die Einfachheit der Hütte zu sehen, in der die Braut sich zurechtmacht. Durchs Fenster öffnet sich der Blick auf ein beeindruckendes Bergpanorama. Mehr als 14 Prozent der georgischen Mädchen werden als Minderjährige verheiratet. Ohne Mitbestimmungsmöglichkeit finden sie sich häufig in einer von Gewalt geprägten Ehe wieder und geben ihre Schulausbildung auf. Obwohl diese Zwangsheiraten illegal sind, werden sie kaum geahndet.
In der Serie "Grenzverschiebungen" thematisiert Sulakauri die schwierige Situation in den Regionen Südossetien und Abchasien. Dort wird der Alltag der Menschen von Grenzen bestimmt, die auf keiner Karte zu finden sind und die sich immer wieder verschieben. Dafür stehen Bilder von Stacheldraht und Straßensperren, aber auch Fotos von badenden Kindern, die sich ihre Lebensfreude an einem heißen Tag nicht nehmen lassen. "Das schwarze Gold", so der Titel einer weiteren Serie, nennen die Bergarbeiter von Tschiatura das Mangan, das sie in 12-Stunden-Schichten mit uralten Maschinen aus der Erde holen.
Anka Gujabidze ist für ihre Serie "Poti" in die Stadt am Schwarzen Meer zurückgekehrt, in der sie als Kind ihre Sommer verbrachte. "Nichts hatte sich geändert. Alles atmete die gleiche Ordnung, den gleichen Geist wie bei meinem letzten Besuch", schreibt sie über die Wiederbegegnung. Ein Mann angelt, eine Frau geht mit ihrem Katzenbaby spazieren, eine Kuh grast vor Neubaublocks. Daneben posieren ein paar junge Männer wie Bodybuilder. Ihre Bilder zeigen Sowjetcharme im Instagram-Zeitalter. Über allem liegt ein Hauch Wehmut, in den Gesichtern der Traum von einem besseren Leben.
Unter dem Titel "Bianka" erzählt Gujabidze die Realität transsexueller Menschen in ihrem Land. Bianka ist die Freundin einer Transgender-Aktivistin, die im November 2014 ermordet wurde. Die offizielle Lesart ist: Es ging um Geld. Doch in der mehrheitlich tiefreligiösen Gesellschaft Georgiens können Transgender-Menschen kaum auf Toleranz hoffen. Die Fotos von Bianka, wie sie sich kleidet, lebt und ausgeht, entstanden 2015. Im Februar 2016 wird sie tot aufgefunden. Die offizielle Todesursache: Gasvergiftung durch ein Leck.
Ein Land im Umbruch
Natela Grigalashvilis Fotos haben auf den ersten Blick noch am ehesten etwas von Postkartenidylle, Mädchen in traditioneller Kleidung wandern über blühende Wiesen. Doch die Duchoborzen, die die Region Samzche-Dschawachetien im Süden Georgiens als ihr gelobtes Land ansehen, spüren die Umbrüche des Landes besonders stark. Auf der Suche nach einem besseren Leben, haben viele die Heimat bereits verlassen.
Grigalashvili konfrontiert den Betrachter jedoch auch mit einer extrem persönlichen Perspektive. Sie zeigt das Dorf ihrer Kindheit, ihre Mutter und erzählt damit auch etwas von der Entfremdung einer Generation, die diese Herkünfte längst hinter sich gelassen haben. Was sollen sie auch noch dort, wo es kaum weiterführende Schulen und meist schlechte Straßen und kaum Internet gibt. Abscharien, wie es die Fotografin zeigt, ist rau, wild und wunderschön, aber die Menschen finden hier kaum noch eine Lebensgrundlage.
Seit der Unabhängigkeit 1991 ist in Georgien eine ganze Generation herangewachsen. Doch während in den großen Städten das Leben pulsiert, Start-ups gegründet werden und Galerien öffnen, geht es in den Weiten des Landes geradezu archaisch zu. Wer diesen Gegensätzen nachgehen will, sollte sich die Bilder dieser drei Fotografinnen unbedingt ansehen.
Quelle : n-tv.de
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