Afroamerikaner im Ersten Weltkrieg

  23 Oktober 2018    Gelesen: 741
Afroamerikaner im Ersten Weltkrieg

Die schwarzen Infanteristen verloren im Krieg keine einzige Schlacht. Hinter der Front sorgte ihre Divisionskapelle für Furore: Die Harlem Hellfighters Band brachte vor 100 Jahren Vorboten des Jazz nach Europa.

Die Franzosen am Kai von Brest brauchten mehrere Takte Zeit, bis sie den Song erkannten. War das die Marseillaise? Natürlich! Soldaten und Matrosen nahmen Haltung an und salutierten, Zivilisten sangen begeistert mit, als diese schwarze Militärkapelle ihre Nationalhymne mit explosivem Elan und rhythmischem Drive intonierte. So hinreißend hatten die Franzosen ihre Marseillaise noch nie gehört.

Die 65 Musiker waren am Neujahrstag 1918 an der bretonischen Küste gelandet und gehörten zu einem kurz zuvor eingetroffenen US-Infanterieregiment: der einzigen afroamerikanischen Einheit, die im Ersten Weltkrieg in Europa zum Einsatz kam. Die in den USA als "minderwertig" verhöhnten schwarzen Soldaten bewährten sich fabelhaft und sollten als "Harlem Hellfighters" in die Geschichte eingehen.

Das Regiment erhielt das französische "Croix de Guerre"; 171 der 2000 Soldaten wurden für "außergewöhnliche Tapferkeit" ausgezeichnet. "Wir können diese Männer nicht aufhalten", soll ein deutscher Offizier gesagt haben, als die Höllenkämpfer im November 1918 den Rhein erreicht hatten, "das sind Teufel. Sie lächeln, während sie töten, und sind lebend nicht zu fassen."

An der Front verloren die schwarzen Infanteristen keine einzige Schlacht - dahinter sorgte ihre Regimentskapelle für Furore. Die Band der Harlem Hellfighters reiste über 3000 Kilometer durch Frankreich, spielte in Kasernen und Lazaretten für französische, britische und amerikanische Truppen. Vor allem aber begeisterten die Musiker die kriegsgeplagte Bevölkerung.

"Frauen und Kinder weinten"

"Wann immer wir an einem Bahnhof ankamen", schrieb Bandmanager Leutnant Arthur Little, "mussten Polizisten dafür sorgen, dass die Schienen geräumt wurden. Wenn die Band abfuhr, jubelte die Menge endlos weiter, Frauen und Kinder weinten." In den Pariser Tuilerien traten die Hellfighters vor 50.000 Leuten auf - und spielten die British Grenadier's Band wie auch die Kapelle von Frankreichs Republikanischer Garde an die Wand.

Die Hellfighters begeisterten die Menschen mit einem Repertoire, das weit mehr bot als Militärmärsche. So brachten sie Gospelstücke, modische Cakewalk-Melodien, Blues und Semi-Klassik. Ihre Spielweise mit Breaks, Riffs, gestopften Trompeten und gezogenen Posaunen entnahmen sie dem gerade aufkommenden Musikstil des Jazz.

"Als sie den Memphis Blues spielten", schrieb ein Kriegskorrespondent aus Frankreich, "marschierten die Männer nicht länger; stattdessen schien die Musik ihnen direkt in die Füße zu gehen, sodass sie förmlich tanzten." Die Pariser Firma Pathe nahm die Hellfighters auf Platte auf.

Heute gilt die Harlem Hellfighter Band als Wegbereiter des Jazz in Europa: Die Männer um James Europe stimmten die Menschen ein auf die "Eigenarten einer neuen musikalischen Sprache, die im Widerspruch zu allem stand, woran der europäische Musikhörer seit Jahrhunderten gewöhnt war", wie der 2017 verstorbene Musiker und Jazzforscher Ekkehard Jost schrieb.

spiegel


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