Kunden verbünden sich gegen Volkswagen

  01 November 2018    Gelesen: 966
Kunden verbünden sich gegen Volkswagen

Bislang sträubt sich der VW-Konzern, Dieselkunden in Deutschland eine Entschädigung zu zahlen. Das soll sich jetzt ändern: Der Verbraucherzentrale Bundesverband reicht am Donnerstag eine neuartige Sammelklage ein.

Am Donnerstag tritt ein neues Gesetz in Kraft: Erstmals können sich Verbraucher in Deutschland einer Art Sammelklage anschließen. Gleich am ersten Tag reicht der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) eine solche Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen ein - stellvertretend für Zigtausende betroffener Dieselkunden. Worum geht es? Und wer kann davon profitieren? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was ändert sich?

Anders als zum Beispiel in den USA, gab es in Deutschland bisher keine Sammelklagen. Jeder Kunde, dem ein Schaden entstanden ist, musste seine Rechte selbst vor Gericht durchsetzen. Künftig sollen Verbraucher leichter gegen Unternehmen vorgehen können: Sie müssen nicht mehr alle einzeln klagen, sondern schicken zunächst einen Verbraucherverband vor. Wird die Klage vom Gericht zugelassen, können sich betroffene Kunden kostenlos in einem Klageregister anmelden. Das Gerichtsverfahren kann am Ende zu einem Vergleich oder einem Urteil führen.

Wie geht die Verbraucherzentrale gegen VW vor?

Die Klage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig richtet sich gegen den Volkswagen-Konzern und seine Marken VW, Audi, Skoda und Seat. Es geht um Autos mit Dieselmotoren, die eine unzulässige Abschalteinrichtung enthielten. In Deutschland sind davon ungefähr 2,5 Millionen Dieselfahrzeuge betroffen. Sie alle haben auf der Straße viel mehr giftige Stickoxide ausgestoßen als auf dem Prüfstand. Die Verbraucherschützer argumentieren, den deutschen Autofahrern stehe deshalb eine Entschädigung zu.

Tatsächlich haben viele Dieselfahrer erhebliche Nachteile erlitten: Ihr Auto hat teils drastisch an Wert verloren, außerdem drohen ihnen in immer mehr Städten Fahrverbote. Anders als in den USA, wo geschädigte Dieselkunden ihre Autos zurückgeben oder bis zu 10.000 Dollar Entschädigung verlangen konnten, gingen Kunden in Deutschland bislang leer aus.

Wer kann sich der Klage anschließen?

Anmelden können sich alle Kunden, die nach dem 1. November 2008 ein Dieselfahrzeug erworben haben, das einen Motor des Typs EA189 enthält. Voraussetzung ist auch, dass das Fahrzeug offiziell zurückgerufen wurde. Sprich: Die Existenz einer illegalen Abschalteinrichtung muss durch die Verkehrsbehörden festgestellt worden sein. Anschließen kann sich auch, wer sein Auto mittlerweile verkauft hat.

Wie lange dauert das Verfahren?

Lässt das Gericht die Klage zu, können sich betroffene Kunden bereits ab Mitte November beim Bundesamt für Justiz in das Klageregister eintragen lassen. Danach folgt ein langwieriges Verfahren. Die vzbv rechnet damit, dass die mündliche Verhandlung im kommenden Jahr beginnt, 2020 wäre dann mit einem Gerichtsurteil zu rechnen. Legt die Verliererpartei Berufung ein, geht der Fall vor den Bundesgerichtshof. Dann dauert es wohl weitere zwei Jahre, bis Klarheit herrscht. Wenn ein endgültiges Urteil vorliegt, müssen die registrierten Kunden nochmals einzeln vor Gericht ziehen. Dort wird dann über die Höhe des Schadensersatzes entschieden. Immerhin: Dieser letzte Schritt soll dann aber relativ schnell gehen. Das Musterurteil vereinfache die Rechtsdurchsetzung, sagen die Verbraucherschützer.

Mit welchen Summen können betroffene Kunden im Erfolgsfall rechnen?

Dass Kunden wie in den USA den vollen Kaufpreis zurückerhalten, erscheint unrealistisch. Zumindest die Wertminderung durch den jahrelangen Gebrauch müsste wohl abgezogen werden. Im Erfolgsfall bleiben wohl, je nach Fahrzeug, ein paar Tausend Euro übrig. Für Volkswagen wäre das teuer, aber verschmerzbar: Angenommen, 50.000 Kunden schließen sich der Klage an und erhalten im Schnitt 5000 Euro Entschädigung, müsste der Konzern eine Viertelmilliarde Euro bezahlen.

Wie stehen die Chancen?

Das lässt sich schwer sagen, weil das Instrument der Musterfeststellungsklage noch ganz neu ist. Volkswagen gibt sich siegessicher, der Konzern sieht keinen Anlass, die Kunden in Deutschland zu entschädigen. Bis heute behauptet VW, in Deutschland nicht gegen Gesetze verstoßen zu haben. Spätestens nach dem Rückruf und den Software-Updates seien alle Fahrzeuge "zu 100 Prozent gesetzeskonform". Volkswagen glaubt, die Gerichte auf seiner Seite zu haben: Bisherige Klagen einzelner Verbraucher seien überwiegend für VW entschieden worden.

Die Verbraucherzentrale Bundesverband widerspricht dieser Darstellung. "Es werden immer mehr Urteile zu Gunsten von VW-Kunden gefällt", sagt der Rechtsanwalt Marco Rogert. An mehr als 80 von 115 Landgerichten hätten einzelne Kunden bereits für sie positive Urteile erstritten. Nach Ansicht der Verbraucherschützer kauft der VW-Konzern viele klagende Kunden aus den Prozessen heraus, die dadurch nicht in der Statistik erscheinen.

Wer steckt hinter der Musterfeststellungsklage gegen VW?

Der vzbv ist die Dachorganisation aller Verbraucherzentralen - gemeinnützige Vereine, die auf Landesebene organisiert sind. Ihr Vorsitzender Klaus Müller war früher Grünen-Politiker und Umweltminister in Schleswig-Holstein. Er ist einer der schärfsten Kritiker des VW-Konzerns und verurteilt dessen Umgang mit den Kunden. "Dass sich Kunden nach Betrugsskandalen, Kartellvorwürfen und halbherzigen Umsetzungen von Koalitionsbeschlüssen von der deutschen Autoindustrie abwenden, ist die Antwort auf die Arroganz und Ignoranz der Manager", sagte Müller dem SPIEGEL. Konzerne wie VW würden "ihre Kunden nicht freiwillig entschädigen und bis heute keine kostenlosen Hardwarenachrüstungen ermöglichen".

spiegel


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