Macron will nun ein neues Kapitel in Europa aufschlagen

  19 November 2018    Gelesen: 977
Macron will nun ein neues Kapitel in Europa aufschlagen

Eigentlich ging es im Bundestag um das Erinnern an die Kriegstoten. Angesichts der Krisen in der Welt aber hat Emmanuel Macron bei seinem aufrüttelnden Auftritt eine eindringliche Botschaft.

it Erinnerungen an die Vergangenheit hielt Emmanuel Macron sich an diesem Volkstrauertag nicht lange auf. Er erwähnte bei seiner Gedenkrede im Bundestag zwar die Kriege, aber sie waren für den 1977 Geborenen eher ein fernes Echo.

Die Zukunft war sein Thema. Europa als Faktor der Weltpolitik! Europa als Quelle einer fairen Weltordnung! Europa mit einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, mit einer Weltmarktwährung, mit einer Mission gegen diejenigen, die sich abschotten und in Großmachtrivalitäten erschöpfen wollen!

Macron kam an einem Sonntag nach Berlin, der ihn eigentlich in Frankreich hätte sehen müssen. Die Proteste gegen die Erhöhung der Benzinsteuer zum 1. Januar werden größer. 18 Monate nach seiner Amtseinführung liegt die Zustimmungsrate für ihn bei nur noch 25 Prozent. Aber Macron flog nach Berlin. Zu wichtig ist ihm das „deutsch-französische Herz“ einer offenen und einflussreichen Europäischen Union.

Er kam mit „Dankbarkeit“, das war sein erster Satz. Nichts habe Deutschland verpflichtet, zum 100. Jahrestag des Kriegsendes und der Revolution ausgerechnet den Präsidenten Frankreichs einzuladen. Gerade das zeige ja, dass Deutschland beschlossen habe, historische Konflikte zu überwinden.

Das „deutsche Wunder“ werde von einem Deutschland verkörpert, das die „blutrünstigen Geister des Nationalismus“ überwunden und seine älteren Wurzeln in der Demokratie und der Philosophie wiederentdeckt habe.

Mit dieser Selbstvergewisserung habe es zugleich ein Vertrauen in die Institutionen der EU entwickelt, das in Frankreich noch fehle. Beide Länder aber seien dem Aufruf Goethes „Und so, über Gräber vorwärts“ gefolgt. Vorwärts, voran, allons – das war Macrons eigentliche Botschaft.

Heute, sagte er, müssen wir „ein neues Kapitel in Europa aufschlagen“. Klimawandel, künstliche Intelligenz, Immigration, Digitalisierung – „das sind jetzt die neuen Themen“. Aber die EU taste sich mit den Berührungsängsten eines Anfängers an diese Themen heran.

Macron machte Frankreich dafür mitverantwortlich. Sein Land trauere noch den Anfängen der EU nach, der Sechs-Staaten-Gruppierung der Montangemeinschaft für Kohle und Stahl. „Wir haben vergessen, wie ängstlich wir damals waren.“ Heute gehe es um ebenso Großes, ja um viel Größeres. Eine europäische Armee, der Euro als internationale Reservewährung – „all das wartet auf uns. Das ist unsere Aufgabe.“

Von Europa sei der Kampf gegen den Klimawandel ausgegangen. Europa vereine digitale Arbeitswelten, Datenschutz und die Einhegung großer Internetkonzerne. Europa dürfe sich nicht mit einer untergeordneten Rolle in der Weltpolitik zufriedengeben.

Andere – gemeint war offenkundig Donald Trump – versuchten, sich in Europas Debatte „einzumischen“, um es kleinzuhalten. (Trump hatte Macrons Forderung nach einer EU-Armee scharf kritisiert und auf Twitter geschrieben, Frankreich sei ein „nationalistisches Land“, er meinte das als Lob.) Europa, sagte Macron, könne zeigen, „dass die Hoffnung stärker als das Schicksal ist“. Ein Endstadium gebe es nicht. „Dieser Kampf ist nicht gewonnen, dieser Kampf wird nie gewonnen sein.“

Ansprachen französischer Präsidenten haben oft tiefen Eindruck hinterlassen, und immer fanden sie mit einer sehr konkreten Absicht statt. Von Charles de Gaulles Triumphreise durch Deutschland im September 1963 blieb ein Halbsatz auf dem Bonner Marktplatz in Erinnerung, seinem ersten öffentlichen Auftritt jenseits des Staatsprotokolls: „… das Vertrauen, das ich für Ihr großes Volk, jawohl! – für das große deutsche Volk, hege.“

Nur 18 Jahre nach Kriegsende nannte der Anführer des französischen Widerstands die Deutschen ein „großes Volk“. Vergessen ist heute das Misstrauen, das de Gaulles Reise in Washington weckte. Denn de Gaulle sprang mit der Nato damals rüde um, weitaus rüder als heute Trump. Er wollte sie sprengen, er sabotierte sie, wo er nur konnte, er wollte Europa an ihre Stelle setzen, und mit diesem Ziel schlug er 1963 in Bonn eine Politische Union vor.

Schon den berühmten Gottesdienst de Gaulles mit Adenauer in der Kathedrale von Reims im Juli 1962 verstanden manche als Abwerbeversuch durch einen französischen Nationalisten. Vergessen auch ist der lange Streit, der ab 1963 in der CDU/CSU zwischen „Gaullisten“ und „Atlantikern“ ausbrach, zwischen solchen, die in Frankreich, und solchen, die in den USA den wichtigsten Verbündeten sahen.

Als François Mitterrand am 9. Mai 1995 zum 50. Jahrestag des Kriegsendes in Berlin über die „ehrbaren Deutschen“ sprach und die Soldaten der Wehrmacht einschloss, ging es ihm darum, mittelbar die Akzeptanz für den gerade beschlossenen Euro zu erhöhen. Nun intoniert Emmanuel Macron wieder die Melodie des starken Europas. Er tut das aber als jemand aus der Generation Europa. Dies und Trumps Polemik gegen Frankreich, Deutschland und die EU sorgen dafür, dass Macrons Botschaft wohl gehört wird.

Quelle: welt


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