Am 2. September 1999 kommt Johanna Bohnacker vom Spielen nicht nach Hause. Am selben Abend wird das Fahrrad der Achtjährigen gefunden. Mehr als ein halbes Jahr lang bleibt das Mädchen vermisst, bis am 1. April 2000 Spaziergänger in einem Waldstück die skelettierte Leiche eines Kindes entdecken. Schnell ist klar, dass es sich um die kleine Johanna handelt. Die Ermittler gehen zunächst davon aus, dass der Täter das Mädchen in seine Gewalt gebracht haben muss, sie fesselte, nötigte und schließlich tötete, um seine Tat zu verdecken.
Trotz einer groß angelegten Fahndung fehlt vom Täter lange Zeit jede Spur. Erst mehr als 15 Jahre später wird die Polizei im Rahmen der Ermittlung in einem anderen Sexualverbrechen auf den mutmaßlichen Mörder Rick J. aufmerksam. Er war im August 2016 von Passanten bei einem sexuell motivierten Fesselungsspiel mit einer 14-jährigen in einem Maisfeld beobachtet worden. Ins Visier der Ermittler im Fall Johanna geriet der Mann, weil er wie bei dem Mädchen Klebeband zur Fesselung benutzte. So war es auch bei Johanna gewesen. Bei einer Wohnungsdurchsuchung stellt die Polizei mehr als 17 Millionen Dateien mit kinder- und jugendpornografischem Inhalt sowie verschiedene Klebebänder sicher.
Daraufhin richtet das Polizeipräsidium Mittelhessen die dreißigköpfige Sonderkommission "Johanna 2017" ein. Der arbeitslose Rick J. wird observiert, neue Zeugen vernommen. Entscheidend ist schließlich ein Teilfingerabdruck, der an dem Klebeband gesichert wurde, mit dem Johanna gefesselt war. Auch dank verbesserter Technik konnten Übereinstimmungen mit dem linken Daumen des Beschuldigten festgestellt werden. Außerdem gab es Faserspuren, die mit denen im Fall Johanna identisch waren. Auf den Mann war zudem 1999 ein VW Jetta zugelassen, von einem Fahrzeug dieses Typs hatten Zeugen im Zusammenhang mit Johannas Verschwinden berichtet.
Am 25. Oktober 2017 wird Rick J. festgenommen. Vor dem Haftrichter gesteht er den überwiegenden Teil der ihm vorgeworfenen Taten, bezeichnet den Erstickungstod des Mädchens jedoch als Unfall. Er räumt ein, Johanna entführt, sie mit Äther betäubt, ihr auf die Nase geschlagen, ihren Mund verklebt und sie in seinen Kofferraum gesperrt zu haben. Als er den Kofferraum wieder geöffnet habe, sei sie tot gewesen.
Staatsanwaltschaft plädiert auf Mord
Seit dem 20. April 2018 läuft vor dem Landgericht Gießen der Prozess gegen den inzwischen 42-jährigen Rick J. wegen Mordes und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern. Auch hier hält Rick J. an der Unfall-Theorie fest, streitet einen sexuellen Missbrauch des Mädchens weiter ab. Zwar sei er an jenem Septembertag 1999 auf der Suche nach einem Mädchen gewesen, um sich an ihm zu vergehen. Seine Pläne seien jedoch durch Johannas Unfalltod zunichte gemacht worden.
Die Staatsanwaltschaft ist jedoch davon überzeugt, dass J. Johannas Ersticken vorsätzlich herbeigeführt hat. Dies wird durch den Gutachter untermauert: "Das Opfer wurde nicht im bekleideten Zustand gefesselt", steht für ihn fest. Das stützt die These, dass Johanna nackt mit Klebeband gefesselt und sexuell missbraucht wurde. Nachweisen lässt sich das aber nicht, eindeutige Spuren gab es durch den skelettierten Zustand der Leiche nicht mehr.
In seinem Plädoyer fordert Staatsanwalt Thomas Hauburger lebenslange Haft für die Entführung und Ermordung von Johanna. Rick J.s Verteidiger Uwe Krechel sieht keine Mordmerkmale verwirklicht: "Anhand der objektiven Spuren haben wir keinerlei Anzeichen dafür, dass die Tötung in Zusammenhang mit sexueller Begierde stand", sagt er n-tv.de. "Es gibt außerdem keine eindeutigen Erkenntnisse darüber, dass mein Mandant mit Verdeckungsabsicht handelte. Rein juristisch dürfte es daher schwierig sein, ihm einen Mord nachzuweisen." An einen Unfall glaubt aber auch der Krechel nicht. "Natürlich ist der Unfall Quatsch, der ist widerlegt. Darauf kommt es doch auch gar nicht an. Wer einem kleinen Kind mit Panzerband 29-mal den Kopf umwickelt, der muss damit rechnen, dass das Kind erstickt. Das nennt man bewusstes Inkaufnehmen, deshalb habe ich auch den Tötungsvorsatz bejaht." J.s Verteidiger plädiert auf Totschlag. Darauf stünden maximal fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe.
Johannas Vater starb bereits im Jahr 2016, ohne zu erfahren, wer seine Tochter umgebracht hat. Ihre Mutter, Gabriele Bohnacker, die an jedem Verhandlungstag nur wenige Meter entfernt vom mutmaßlichem Mörder ihrer Tochter Platz nahm, tritt im Verfahren als Nebenklägerin auf. Ihre Tochter sei zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, sagte sie im Gießener Gerichtssaal. Gabriele Bohnacker erinnerte an Johanna, die kurz vor der Tat in die zweite Klasse gekommen war. "Wir haben um Hanna getrauert, sie unsäglich vermisst und gelitten. Aber auch wir standen immer im Verdacht", sagt sie.
Für Johannas Schwestern sei ihr Verschwinden das Ende einer unbeschwerten Kindheit gewesen, ein Einschnitt, der das Leben der Familie noch heute beeinträchtige. Die Hoffnung der Mutter ist es, dass die beiden nach dem Urteil auch abschließen können. "Ein so sinnloser Tod", sagt Gabriele Bohnacker am Ende ihres Plädoyers. "Dafür soll ihr Mörder durch eine lebenslange Strafe sein restliches Leben büßen."
Quelle: n-tv.de
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