Die DFB-Elf ohrfeigt sich selbst

  20 November 2018    Gelesen: 705
Die DFB-Elf ohrfeigt sich selbst

Alle sind glücklich, auch Thomas Müller. Wäre eine schöne Überschrift zum Ende des miserablen Jahres der DFB-Elf gewesen. Das Remis gegen die Niederlande lässt stattdessen ein genervtes Team und viele offene Fragen zurück.

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat in diesem Jahr ungewöhnlich viele Ohrfeigen in ungewöhnlich vielen Situationen von ungewöhnlich unbekannten Spielern kassiert. Der Mexikaner Hirving Lozano war so einer. Zum Auftakt der Weltmeisterschaft in Russland langte er einmal kräftig hin. Die Südkoreaner Young-Gwon Kim und Heung-min Son packten zum vorzeitigen Ende der deutschen Desaster-WM doppelt schmerzhaft zu. Der französische Weltfußballerkandidat Antoine Griezmann mischte sich ebenfalls ein. Seine Doppel-Schelle in der Nations League Mitte Oktober bereitete den Abstieg der DFB-Elf vor. Warum also sollte dieses Jahr ohne Ohrfeige zu Ende gehen?

Und so lag die Schlusspointe am Montagabend in niederländischer Hand: Mit ihren Toren zum 2:2 (0:2) verdarben Quincy Promes und Kapitän Virgil van Dijk in der 85. und 91. Minute dem Team von Bundestrainer Joachim Löw in Gelsenkirchen einen letzten Länderspielabend. An dem doch alle zufrieden sein wollten und sollten, und es lange auch waren. Thomas Müller zum Beispiel. Der war zufrieden. Die Bilder auf dem Videowürfel im Stadion ließen das vermuten. Früh war klar, dass der zum Dauerreservisten degradierte Offensivspieler des FC Bayern sein 100. Länderspiel würde machen können. Die Kollegen hatten bis zur 66. Minute, bis zu seiner Einwechslung, prima vorgearbeitet.

Sie hatten phasenweise sehr schönen Fußball gespielt. Sie hatten das Tempo ihrer Moped-Gang, so hatte Abwehrspieler Niklas Süle die offensive Dreierkette mit Leroy Sané, Timo Werner und Serge Gnabry nach dem 3:0 im Test gegen Russland getauft, gut auf die Strecke gebracht. Werner in der neunten und der enthemmte Sané in der 20. Minute hatten die Tore geschossen. Es hätten auch noch zwei, drei mehr sein können. Aber so war es ja auch schön, eigentlich. Nur die Kulisse war ähnlich wie am Donnerstag in Leipzig trostlos. Doch als Bundestrainer Joachim Löw Müller einwechselte, legte das Publikum seine Zurückhaltung etwas ab und feierte den Jubilar. Dann ließen die 42.186 Zuschauer auch noch einige Wellen kreisen. Mittlerweile ist La Ola allerdings ein für die stimmungsarmen Spiele der DFB-Elf reservierter Anachronismus. Wenn die Dortmunder Borussia im Topspiel der Bundesliga über den FC Bayern hinwegfegt, machen die Fans alles, nur keine Welle.

Nur Ahlenfelder hätte helfen können

Und dennoch: Hätte sich spontan ein Schiedsrichter wie Wolf-Dieter Ahlenfelder gefunden, der einst eine Halbzeit nach 32 Minuten abpfiff, Deutschland und sein offizieller Fan-Club hätten ihr Happy-End-Märchen gehabt. Auf Schalke aber spielten sie unter der souveränen Leitung des Rumänen Ovidiu Alin Hategan bis zum Ende, nämlich 94 Minuten. Neun Minuten zu lang für die DFB-Elf. "Ein 2:0 darf man so nicht mehr hergeben", schimpfte Werner mit sich und mit der Mannschaft. Zwar stand der Leipziger bei den letzten beiden Ohrfeigen des Jahres längst nicht mehr auf dem Platz, seine Chancen in den Minuten 46, 53 und 62 hätten aber auch nutzen und so das Spiel entscheiden können.

So aber geht's für den längst entthronten Weltmeister noch ein Stück ernüchterter raus aus der Eliteklasse der Nations League, während der Nicht-Weltmeisterschaftsteilnehmer Niederlande dank seiner stürmischen Schlussphase im Juni kommenden Jahres mit England, der Schweiz und Gastgeber Portugal in Portugal den ersten Titelträger des neuen Wettbewerbs ausspielt. Das lässt viele Fragen offen. Wie gut sind eigentlich diese Niederländer? Nach dem famosen 2:0 gegen Frankreich am Freitag keimten rund um die Elftal nach zwei verpassten Turnieren gar zarte Titel-Gedanken. Im Interview mit n-tv.de hatte Youri Mulder, einst niederländischer Stürmer beim FC Schalke 04, gesagt, diese Mannschaft mit ihren hervorragenden Fußballern könne etwas erreichen. Doch bis auf einen ziemlich lässigen Mare turn - das ist der Trick, dem Zinédine Zidane bei der WM 1998 zu Berühmtheit verholfen hatte - des 21 Jahre alten Frenkie de Jong gegen Toni Kroos war von dieser Extraklasse nichts zu sehen. Oder versteckte sie sich nur wenig elegant in der späten Wucht, mit der das lange träge Oranje die deutsche Abwehr zu zwei fatalen Fehlern zwang?

Und was sagt dieses Spiel eigentlich über die zumindest in Teilen neue deutsche Mannschaft aus? Hat sie einen starken Gegner 85 Minuten klar beherrscht? Hat sie Pech gehabt, als Leon Goretzka vor dem 1:2 den Ball vertändelte und Toni Kroos vor dem 2:2 eine Flanke nicht verhinderte? Weist die Moped-Gang mit ihren Rochaden, ihrem Zug zum Tor und ihrer Liebe zum schönen, direkten, manchmal aber auch zu schnörkeligem Spiel nun den Weg in eine erfolgreichere Zukunft? Oder fehlt auch Sané, Gnabry und Werner der Killerinstinkt, den Müller ja schon länger vermissen lässt? Eine Antwort, die hatte auch Löw nicht. "Ich bin enttäuscht über das Ergebnis, aber wenn ich die ganze Spielzeit sehe, habe ich mehr Positives als Negatives gesehen. Wir haben 80 Minuten gezeigt, dass wir Mannschaften wie Holland in arge Bedrängnis bringen können."

So sieht sie also aus, die deutsche Fußball-Realität Ende des Jahres 2018. Ein 1:2 in Frankreich macht Mut. Eine starke Halbzeit gegen schwache Russen ebenso, dito ein 2:2 gegen Oranje. "Ich gehe nach den letzten Länderspielen mit einem guten Gefühl in die Winterpause", sagte der Bundestrainer am ganz späten Montagabend. "Wir haben viel Potenzial. Das macht viel Mut für das nächste Jahr. Wir sind mit diesen Spielern gut aufgestellt. Wir werden eine Mannschaft auf den Platz schicken, die erfolgreich und gut Fußball spielt." Ganz ohne Ohrfeigen? Kaum vorstellbar.

Quelle: n-tv.de


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