Wie Autofahrer bei den neuen Musterklagen mitmachen können

  01 Dezember 2018    Gelesen: 3698
Wie Autofahrer bei den neuen Musterklagen mitmachen können

Seit kurzem gibt es zwei Musterfeststellungsklagen gegen VW und die Mercedes-Benz-Bank. Doch was genau ist das? Wer kann sich anschließen? Die Behörde macht es den verärgerten Kunden nicht gerade leicht.

Das Ziel ist einfach. Die Musterfeststellungsklage soll es Verbraucherverbänden erlauben, Urteile für vergrätzte Kunden zu erstreiten. Das könnte klappen.

Als erstes haben der Bundesverband Verbraucherzentrale (vzbv) und die Schutzgemeinschaft für Bankkunden zwei Musterklagen eingebracht, um den Kampf für den Verbraucher aufzunehmen. Das gibt Autokäufern die Chance auf Schadensersatz, ohne dass sie ein Risiko eingehen müssen. Sollte das Ziel der Musterklage erreicht werden, müssen die Käufer dann zwar noch mal selber für die individuelle Schadenersatzsumme vor Gericht ziehen. Aber das sollte dann nach einem höchstrichterlichen Urteil Anfang des kommenden Jahrzehnts so einfach sein, "wie ein Elfmeter aufs leere Tor" (O-Ton vzbv-Chef Klaus Müller).

Beim Herausspielen dieses Elfmeters zeigen sich jetzt aber noch ein paar Hürden. Bislang können sich Verbraucher zwei Klagen anschließen (eine dritte ist angekündigt):

Im einen Fall geht es dabei gegen den VW-Konzern wegen der manipulierten Diesel der Baureihe EA 189.

Im zweiten Fall geht es gegen die Mercedes-Benz-Bank, weil in deren jüngeren Autokreditverträgen Pflichtinformationen fehlen und sie deshalb auf ewig widerrufen werden können. Das kann Ihren Diesel oder Benziner jeglicher Marke betreffen, Hauptsache, der ist von der Mercedes-Benz-Bank finanziert.

Verbraucher können sich auch gleichzeitig an mehreren Klagen beteiligen, wenn es um unterschiedliche Ansprüche geht. In allen Fällen sehen sie sich aber vor dem Problem, auf 2500 Zeichen genau zu erklären, warum sie eigentlich zu dieser Klage berechtigt sind. Warum sie also glauben, einen Anspruch gegen den Autokonzern oder die Autobank zu haben.

Im Prinzip können sie das ganz formlos per E-Mail tun. Damit es aber für die zuständige Behörde, das Bundesamt für Justiz, die Gerichte und auch Kunden einfacher wird, hat das Bundesamt ein Online-Anmeldeformular entwickelt. Das Amt und die beteiligten Anwaltskanzleien meinten diese Woche auf Anfrage, man brauche fürs Ausfüllen des Anmeldeformulars im Regelfall keinen Anwalt. Wenn man ein notwendiges Feld vergessen habe, meckert das Dokument sogar.

Und doch zeigt sich, ganz so einfach ist das nicht.

Erstmal soll man in der "Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage" nachlesen, was das Gericht in dem Prozess feststellen soll. Genau genommen ist da in Bürokratendeutsch von den "Feststellungszielen der Musterkläger" die Rede, also des vzbv gegen VW oder der Schutzgemeinschaft für Bankkunden gegen die Mercedes-Benz-Bank.

Die dort beschriebenen Ziele ziehen sich seitenlang hin: 22.000 Zeichen beim vzbv und knapp 6000 Zeichen bei Schutzgemeinschaft. Stolze elf Unterpunkte haben die Anwälte des VZBV formuliert, mit diversen Unterpunkten von a bis f, die "hilfsweise" oder "höchst hilfsweise" erreicht werden sollen. Die Schutzgemeinschaft hat sich immerhin auf drei Unterpunkte beschränkt, die dann maximal von a bis d reichen. AGB für Handy-Apps sind im Vergleich dazu ein literarisches Ereignis.

Die Anmeldung zur Klage muss konkret von den "dort formulierten Feststellungszielen" abhängen: "Beschreiben Sie hier genau und eindeutig den Sachverhalt, der Ihrem Anspruch zugrunde liegt. Erklären Sie dabei, inwiefern Ihr Anspruch oder Rechtsverhältnis von den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage abhängt. Beschreiben Sie das tatsächliche Geschehen, z. B.: Welcher Gegenstand ist betroffen? Welcher Vertrag liegt zugrunde? Was ist passiert? Durch Ihre konkrete Darlegung des Sachverhalts soll Ihr Anspruch individualisiert werden," heißt es in den Ausfüllhilfen des Bundesamtes. Das dürfte so manchen Klagewilligen tief beeindrucken. Und womöglich verschrecken.

Der vzbv hat für sein Verfahren schon mehrere Lückentexte formuliert

Das Gesetz der großen Koalition, das die Musterfeststellungsklage erst möglich macht, sollte echte Fortschritte bringen. Aber an dieser Stelle ist das neue Verfahren noch zu kompliziert. Wünschenswert wäre eine Klarstellung vom Gesetzgeber, dass tatsächlich eine einfache Darstellung des Sachverhaltes reicht - ohne dass der Kunde und Laie begründen muss, inwiefern der Anspruch genau vom Ergebnis der Musterfeststellungsklage abhängt.

Wie notwendig solche Klarheit ist, konnte ich am Donnerstag direkt bei einer Call-In-Sendung in der ARD feststellen: Dort wurde ich gelöchert, woher der VW-Kunde denn den Dienstleister nimmt, der ihn bei diesem Angriffszug fachkundig berät. Ohne Dienstleister, so der Eindruck der Zuschauer, geht es nicht.

Immerhin hat der vzbv für sein Verfahren schon mehrere Lückentexte formuliert (wie in der Schule). Damit sollte die große Mehrheit der betroffenen Verbraucher ihren Fall einigermaßen darstellen können. 34.000 hatten sich bis zum Freitagfrüh dieser Klage bereits angeschlossen.

Im Fall der VW-Klage eilt es ja auch ein wenig. Denn die Kunden müssen sich bis zum Jahresende im Klageregister eingetragen haben, sonst sind ihre Ansprüche gegen den Konzern wegen der manipulierten EA-189-Diesel verjährt.

Wie das Ganze funktioniert - inklusive des Lückentexts für große Teile der zwei Millionen geschädigten Kunden des VW Konzerns.

Wem Mustertexte zu wenig präzise sind, oder wer sich in den konkreten Lückentexten nicht wiederfindet, dem bleibt zunächst die Chance, sich an die Kläger und ihre Anwälte zu wenden. Per Mail oder über eine Hotline. Kläger und Anwälte erklärten in beiden Fällen, sie würden kostenlos beim Formulieren behilflich sein. Wer absolut nicht durchkommt, kann auch einen anderen Anwalt um Hilfe bitten. Das kostet dann Geld, falls man nicht rechtschutzversichert ist. Als Ausgleich haftet dann aber auch den Anwalt für die Richtigkeit des Textes.

Und damit sind Sie immerhin schon mal im gegnerischen Strafraum angekommen. Und falls die Richter dann tatsächlich den Elfer geben, müssen Sie nur noch verwandeln.

spiegel


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