Die CDU hat Angst vor der Spaltung

  07 Dezember 2018    Gelesen: 1144
Die CDU hat Angst vor der Spaltung

Der größte Parteitag, die meisten Anträge - und ein spektakulärer Schnitt mit der Ära Merkel? Heute beginnt ein potenziell gefährliches Treffen der CDU. Die Euphorie der Regionalkonferenzen könnte umschlagen in Triumph und Depression.

"Zusammenführen. Und zusammen führen." Wie eine Mahnung steht das Motto des CDU-Parteitags über dem Rednerpult vorne im Saal. Wer auch immer sich dieses subtile Wortspiel ausgedacht hat, es könnte durchaus sein, dass er - oder vielleicht besser sie - dabei an den früheren Unionsfraktionschef Friedrich Merz dachte, weniger an Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die beiden sind die Favoriten, wenn heute der oder die neue CDU-Vorsitzende gewählt wird.

In einem Punkt waren sich die Besucher der Regionalkonferenzen einig: So viel Debatte gab es in der CDU schon lange nicht mehr. Das dürfte sich auch auf dem Parteitag zeigen, der heute um 10.30 Uhr in Hamburg eröffnet wird. Dort wird der oder die neue Vorsitzende gewählt. Und die Gefahr besteht, dass nur eine Hälfte der Partei triumphiert, die andere dagegen in Depressionen verfällt.

Neben der Vorstandswahl soll in Hamburg über deutlich mehr als 200 Anträge diskutiert und abgestimmt werden - darin sind die Änderungsanträge noch nicht eingerechnet. Für die CDU ist das ein Rekord. Die Mittelstandsvereinigung der Union hat bereits vorgeschlagen, im kommenden Frühjahr einen weiteren Parteitag zu veranstalten, damit inhaltliche Fragen dort besprochen werden können.

Auch die Zahl der Menschen, die sich durch die Hamburger Messehallen bewegen werden, ist beispiellos. Zu den 1001 Delegierten kommen mehr als 1600 akkreditierte Journalisten - so viele, dass nicht alle Platz in der Halle finden. Außerdem sind über 1700 Gäste angereist. Es hätten noch sehr viel mehr sein können, doppelt so viele, ist aus der CDU zu hören. Allein, es fehlt an Platz. Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler sagte am Donnerstagabend, es werde "ein Parteitag der Rekorde" sein, der zudem eine "Zäsur" in der Geschichte der CDU bilde.

"Das ist nicht der Parteitag eines Lagers"

Tatsächlich verspricht es, spannend zu werden, nicht nur für CDU-Verhältnisse. Wer am Samstag den Parteitag als neuer Chef oder neue Chefin mit einer Abschlussrede beenden wird, ob ein neuer Generalsekretär gewählt werden kann - das alles ist völlig offen. Beim Presseempfang mit Grünkohl und Bier am Vorabend machten diverse Gerüchte die Runde. Der Landesverband Baden-Württemberg etwa habe sich mehrheitlich für Merz ausgesprochen - aber Kramp-Karrenbauer habe mehr Delegierte aus dem Südwesten auf ihrer Seite als erwartet. Auch in anderen großen Landesverbänden soll die Mehrheit bei Merz liegen. Aber, wie gesagt: Das sind Gerüchte.

Jens Spahn, der dritte Kandidat, dem kaum jemand ernsthafte Chancen zubilligt, hat keineswegs aufgegeben. Er setzt dem Vernehmen nach mindestens auf einen Achtungserfolg. "Wir sind eine diskussionsfreudige Partei", schreibt der Gesundheitsminister kurz vor Beginn des Parteitags vielsagend in einer Mail an seine Unterstützer. "Darauf möchte ich aufbauen." Seine Zeit, so heißt es aus beiden Lagern, kommt wohl erst noch.

Wobei das Wort "Lager" in der CDU offiziell verpönt ist. Ein Journalist aus Luxemburg, der es benutzte, wurde von Schüler dezent gerüffelt. "Wir sind eine CDU", sagte der Bundesgeschäftsführer, der Kramp-Karrenbauer vertritt, weil sie ihr Amt wegen ihrer Kandidatur ruhen lässt. "Und das ist nicht der Parteitag eines Lagers, oder von zwei oder drei Lagern, sondern das ist der Parteitag der CDU Deutschlands."

Dennoch: In den vergangenen Wochen, vor allem in den vergangenen Tagen, haben sich durchaus Lager gebildet. Die größte Schwierigkeit für die neue Führung wird sein, nicht zu sehr aufzutrumpfen. Natürlich betonen die Kandidaten, dass sie die andere Seite einbinden wollen. Kramp-Karrenbauer sagte im ZDF, es sei "ganz wichtig, deutlich zu machen", dass Spahn und Merz "ihren hervorragenden Platz in der Partei haben". Merz versicherte der "Bild"-Zeitung, Gräben seien in der CDU nicht entstanden.

"Wir brauchen Führung, keine Mediation"

Das ist eine verharmlosende Darstellung. Unter den Anhängern beider Lager scheint sich eine Stimmung breit gemacht zu haben, die nur schwer mit einer Niederlage klarkäme - und die einen Sieg nicht unbedingt als Aufruf zur Versöhnung ansähe. "Wir brauchen keine Mediation, sondern jemanden, der klar führt", zitiert die Deutsche Presse-Agentur eine Stimme aus dem Merz-Lager. "Die Menschen wollen jemanden haben, der klar weiß, wo es hingeht." Gehe Merz als Verlierer aus dem Parteitag hervor, werde es viele wohl nicht mehr in der Partei halten. Ob das stimmt? Die Wahl bestehe zwischen einem "Weiter so abwärts mit AKK" und einem "Aufbruch zu mehr Profil mit Merz", sagt Alexander Mitsch, der Chef der Werteunion, einem Zusammenschluss von Konservativen in CDU und CSU. Noch im Februar hatte Mitsch die Wahl von Kramp-Karrenbauer zur CDU-Generalsekretärin begrüßt.

Dabei sind die inhaltlichen Unterschiede zwischen den drei Kandidaten bei den Regionalkonferenzen eher abgeschliffen worden - die drei klauten einander munter Formulierungen und Positionen. Doch die Vehemenz, mit der jetzt für die Kandidaten geworben wird, deutet auf eine tiefe Zerrissenheit hin.

Aus Sicht des AKK-Lagers wurden die Gräben durch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vertieft, der am Dienstag in der FAZ klar ausgesprochen hatte, was ohnehin jeder wusste: dass er Merz unterstützt. Dagegen meinen Merz-Anhänger, Wirtschaftsminister Peter Altmaier habe die Lagerbildung vorangetrieben. Der sagte der "Rheinischen Post", da Schäuble "nun den Damm gebrochen hat, kann ich sagen: Ich bin überzeugt, dass wir mit Annegret Kramp-Karrenbauer die beste Chance haben, die CDU zu einen und Wahlen zu gewinnen". Das Wort vom "Dammbruch" nimmt man Altmaier auf der Merz-Seite der CDU übel. Allerdings war auch diese Wortmeldung alles andere als überraschend: Altmaier kommt wie Kramp-Karrenbauer aus dem Saarland, er ist ein Merkel-Getreuer und damit selbstverständlich für AKK.

Furcht vor der Spaltung nicht unbegründet

Die Angst vor einer Spaltung basiert vor allem auf den holzschnittartigen Bildern, die von Merz und Kramp-Karrenbauer im Umlauf sind. Darin ist der eine aus persönlichen Rachegefühlen darauf aus, "diese Dame" zu beseitigen. Die andere will Merkels Kurs unverändert fortführen. Beide Einschätzungen haben mit der Realität nicht viel zu tun: Weder wird Merz die CDU zurück in die neunziger Jahre führen noch wird Kramp-Karrenbauer eine zweite Merkel sein. Beide wollen Wähler von der AfD zurückholen; beide müssen davon ausgehen, dass sie früher oder später die Grünen zum Regieren brauchen.

Doch diese Holzschnitte erklären, warum die Furcht vor der Spaltung nicht unbegründet ist. Zumal die CDU einen solchen Wettstreit nicht gewöhnt ist. Die letzte Kampfabstimmung um den CDU-Vorsitz gab es 1971. Damals gewann Rainer Barzel gegen Helmut Kohl. Die Bundestagswahl im folgenden Jahr ging verloren, 1973 übernahm Kohl die Partei.

Nur eine ist ganz entspannt: Angela Merkel. Beim Presseempfang am Donnerstagabend erzählt sie von Besuchen in Hamburg in ihrer Kindheit in der Zeit der deutschen Teilung. Sie macht nicht den Eindruck, als sorge sie sich darum, dass ihr Erbe von einem Rivalen aus den Nullerjahren zunichte gemacht wird oder ein Flügel die Partei verlassen könnte. Sie habe sich "absolute Neutralität bezüglich der Personalentscheidung auferlegt", sagt Merkel. Ihrer Partei wünsche sie "wirklich alles Gute". Vermutlich hofft sie, dass ihr Nachfolger - oder vielleicht besser ihre Nachfolgerin -  die CDU zusammen führen wird. Und natürlich zusammenführen.

Quelle: n-tv.de


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