„Was für ein Theater“ - Hinter den Kulissen des CDU-Parteitags

  09 Dezember 2018    Gelesen: 880
„Was für ein Theater“ - Hinter den Kulissen des CDU-Parteitags

Ein Parteitag ist auch für Journalisten immer etwas Besonderes. Der in Hamburg zu Ende gegangene CDU-Parteitag hat dem Ganzen allerdings noch einmal die Krone aufgesetzt. Sputnik Deutschland Politikchef Marcel Joppa war vor Ort, sein Fazit: „Eine politische Inszenierung der besonderen Art.“ Er hat seine Erlebnisse für Sie zusammengefasst.

Als ich am Freitagmorgen um 5 Uhr auf die Autobahn von Berlin Richtung Hamburg fahre, ist die Vorfreude auf den CDU-Parteitag nicht sonderlich groß, es überwiegt eindeutig die Müdigkeit. Bereits im Vorfeld hatte ich erfahren, dass sich rund 1.600 Medienvertreter für die Veranstaltung akkreditiert hatten, aber lediglich 445 Pressearbeitsplätze zur Verfügung stehen würden. Meine Motivation, sich mit Kollegen um einen strategisch günstigen Platz zu streiten, ist gleich null. Deshalb drücke ich trotz zahlreicher Baustellen auf der A24 aufs Gas, um wenigsten frühzeitig anzukommen… *Blitz*… na toll, wie schnell war ich?

Ein Mekka für Lobbyisten

Als ich an den Hamburger Messehallen ankomme, ist es 9 Uhr. Bereits von weitem konnte man die mit zahlreichen CDU-Fahnen und Bannern geschmückten Gebäude erkennen. Ich merke schnell: Eine kleine Veranstaltung wird das ganz gewiss nicht. Nach einer ausgiebigen Taschenkontrolle bin ich drinnen, schlängele mich vorbei an dutzenden Messeständen von „Audi“, der „Deutschen Post“ oder der „Deutschen Bauwirtschaft“ und erreiche den Pressebereich. Da der Parteitag offiziell erst um 10:30 Uhr startet, ist noch reichlich Arbeitsplatz verfügbar. Doch schnell erlebe ich die nächste Überraschung…

Um in den eigentlichen Plenarsaal zu gelangen, in dem die Delegierten debattieren und wählen, brauche ich eine weitere, ganz spezielle Akkreditierung. Ich stelle mich also am Stand der Pressestelle an, hier warten bereits zahlreiche Journalisten. Vor mir in der Reihe stehen zwei Redakteure von RT Deutsch. Als sie schließlich dran sind, entgegnet ihnen ein älterer und fülliger Pressebeauftragter unfreundlich:

„Nein, ich kann Ihnen keine Zugangskarte für den Plenarsaal ausstellen. Auf meiner Liste steht, dass da bereits ein Team vom russischen Fernsehen in der Halle ist. Das reicht.“

Ihm scheint es unbegreiflich, dass es in Russland anscheinend mehr als ein Medium gibt. Die Intervention der RT-Kollegen lässt ihn kalt, sie bekommen keinen Einlass. Nun bin ich an der Reihe. Ich erkläre, dass ich nicht vom russischen Fernsehen, sondern von einer russischen Nachrichtenagentur bin, was ja ein großer Unterschied sei. Nach einem kurzen prüfenden Blick bekomme ich ohne Probleme meine Zugangsberechtigung.

Ein riesiges Durcheinander…

Als ich danach für eine Zigarette in den Innenhof gehe, fährt gerade Jens Spahn in einer Ministeriums-Limousine vor, begleitet von zahlreichen Security-Mitarbeitern. Er benutzt den Hintereingang und wirkt recht fröhlich. Das sollte sich später ändern. Ich schaue nun kurz im Plenarsaal vorbei, um meine neue Zugangsberechtigung zu testen. Es funktioniert, ich werde reingelassen. Ein leichtes Gefühl des Triumphes macht sich bei mir breit. Da sich in dem Saal allerdings die über 1000 Delegierten, weitere CDU-Politiker, internationale Gäste und hunderte Journalisten gegenseitig über die Füße laufen, kehre ich zurück zu meinem Pressearbeitsplatz in der benachbarten Halle.

Auch dort ist es voll geworden. Ob die CDU mit den für die Pressevertreter kostenlosen Brötchen, Suppen, Kaffeekannen und Mineralwasservorräten wohl die Tendenz der Berichterstattung beeinflussen will? Bei dem vergangenen SPD-Parteitag in Dortmund musste ich für meine Currywurst zahlen. Es ist mir aber auch egal, ich schreibe in meinen Artikeln eh, was ich will. Gespannt warten alle Anwesenden auf den ersten wichtigen Tagesordnungspunkt: Die Rede der Bundeskanzlerin und scheidenden Parteichefin Angela Merkel.

Stress kommt auf…

Leider funktionieren zwar die Fernseher im Pressebereich, die eine Liveübertragung aus dem Plenarsaal zeigen, jedoch ohne Ton. Sehr ungünstig! Flotten Fußes renne ich rüber in die Nachbarhalle, um mir die Kanzler-Rede direkt vor Ort anzuschauen. Natürlich habe ich hier meinen Laptop nicht dabei. Also tippe ich das erste Mal in meiner Journalisten-Karriere (und hoffentlich das letzte Mal) einen kompletten Artikel inklusive Live-Zitaten Merkels auf dem Handy. Noch während der Abschluss-Applaus ertönt und die Kanzlerin sich artig verbeugt, schicke ich den Text zu unserer Onlineredaktion, damit er umgehend veröffentlicht werden kann. Puh… geschafft. Es folgt ein Telefonat mit meinem Kollegen Paul Linke, der unsere Mittagssendung bei „SNA Radio“ moderiert und mich live zum Parteitag befragt.

Ich bekomme Hunger. An den Messeständen, die ich zunächst nicht groß beachtet hatte, merke ich nun einen Unterschied zu Parteitagen anderer Parteien: Alles ist kostenlos. An einem Stand gibt es Waffeln in CDU-Form, an einem anderen Stand kann man sich Weingummi und Lakritz in eine Papiertüte packen, am nächsten Stand gibt es Lebkuchenherzen mit persönlicher Widmung. „Ja ja… die CDU und die Wirtschaft“, denke ich mir. Eine Waffel nehme ich mir trotzdem.

​Bei den Journalisten im Pressebereich ist unterdessen Unruhe ausgebrochen. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wann endlich die Wahl zum Parteivorsitz stattfindet. Es kursieren unterschiedliche Zahlen, ein Kollege aus Italien spricht von 15 Uhr, eine Kollegin aus Frankreich von 16 Uhr. Als sich nun die drei Kandidaten Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn in einer jeweils 20-minütigen Rede nochmals den Delegierten vorstellen, wird es ruhig, und die meisten Pressevertreter tippen fleißig auf ihren Laptops herum. Ich auch.

Nach einer gefühlten Ewigkeit beginnt endlich die eigentliche Wahl, die Delegierten stimmen per Zettel ab. Die Auszählung beginnt. Auch das dauert wieder eine Ewigkeit. Ich würde gerne eine Toilette aufsuchen, aber ich könnte etwas verpassen. CDU-Politiker und Präsidiumsmitglied David McAllister ist auf den Bildschirmen zu sehen, er will das Ergebnis verkünden. Eine dänische Kollegin neben mir fragt mich nervös, ob ich ihr die Zahlen in Englisch übersetzen könne. Ich schreibe sie auf einen Block: AKK 450, Merz 392, Spahn 157 Stimmen. Oh nein, kein eindeutiges Ergebnis, es wird einen zweiten Wahlgang mit einer Stichwahl geben. Ich gehe auf die Toilette.

Eilmeldung!!!

Ok, der zweite Wahlgang startet. Eine kleine Umfrage unter den neben mir sitzenden Kollegen bestätigt, dass wir uns alle einig sind: Die Stimmen von Spahn, der nicht mehr antreten darf, würden sicher an Merz gehen, der damit AKK überholen und neuer Vorsitzender wäre. Umso überraschter sind wir alle, als es dann doch anders kommt. Ich notiere: AKK 517, Merz 482 Stimmen. Huch… wie kommt denn das? Schnell schicke ich meine vorbereitete Eilmeldung, in die ich nur die aktuellen Zahlen einsetzen musste, an die Onlineredaktion. Als die Meldung blitzschnell auf unserer Webseite erscheint, klappe ich meinen Laptop zufrieden zu und vertrete mir die Beine.

Was mir bisher anscheinend entgangen war: An einigen Messeständen werden kostenlos alkoholische Getränke verteilt! Mehrere Delegierte kommen mir mit kleinen Flaschen „Astra“, „Holsten“ oder Weingläsern entgegen. Mir wurde umgehend klar, dass ich die Quelle finden muss. Schließlich habe ich das letzte Live-Telefonat hinter mir, es ist schon 18 Uhr und ich habe Durst. Ich werde am Messestand von „Huawei“ fündig, es hat sich hier bereits eine große Traube von CDU-Delegierten gesammelt. Ich nehme ein Bier und kehre damit zurück in den Pressebereich. Hunderte neidische Blicke von Kollegen fokussieren meine Bierflasche. Das ist mir irgendwie unangenehm. Ich setze mich kleinlaut an meinen Platz und checke, ob mein letzter Artikel online ist.

Ich beschließe um 19:30 Uhr, meine Sachen zusammenzupacken und noch einmal am „Huawei“-Stand vorbeizuschauen. Dort ist die Stimmung mittlerweile deutlich gestiegen, Herren mit roten Köpfen unterhalten sich laut, Damen im gesetzten Alter johlen, man hört lautes Lachen. Ich höre Wortfetzen:

„So eine Scheiße… naja wenn der Merz schon nicht gewonnen hat, dann trinken wir eben den Laden leer… Holsten knallt am dollsten…“  

Oha. Ob denen bewusst ist, dass hier auch noch Journalisten herumlaufen? Ein Pressekollege verrät mir, dass das noch gar nichts sei, auf CSU-Parteitagen würden  bereits vormittags die Fässer angestochen. Am „Huawei“-Stand ist mittlerweile das Bier ausgegangen, es gibt nur noch Rotwein und „Berliner Luft“.

Es ist 21 Uhr, eigentlich müsste jetzt in einer Nachbarhalle der so genannte „Hamburg-Abend“ starten, zu dem die CDU alle Delegierten und Gäste eingeladen hat. Geplant sind Grill-Buffett, Musik und reichlich Getränke. Aber durch den langen Wahlgang hat sich das Programm im Plenarsaal nach hinten verschoben, die Delegierten diskutieren noch über Anträge der Parteispitze, ein Ende ist nicht absehbar. Ich entschließe mich, darauf nicht zu warten und mir ein Taxi zu meinem Hotel zu nehmen. Schließlich soll das Programm des Parteitags am Samstag um 9 Uhr weitergehen. Meine Müdigkeit, die ich bisher erfolgreich mit Kaffee bekämpft hatte, ist mit aller Macht zurückgekehrt. Ich kapituliere und verlasse die Messehallen für heute.

Irgendwas ist anders…

Diese Strategie haben ganz eindeutig nicht alle Delegierten und Journalisten gewählt: Als  ich am Samstag um 9 Uhr wieder zurückkehre, sind die Messehallen deutlich leerer als am Vortag. Herren in schwarzen Anzügen und mit roten Augen laufen mir über den Weg. Am Huawei-Stand ist wieder alles aufgeräumt, freundliche junge Frauen schenken Wasser und Cola aus. Ich begebe mich zu den Pressearbeitsplätzen. Diese sind fast leer. Auch um 11 Uhr ist höchstens ein Viertel der Plätze besetzt. Wo sind die alle? Abgereist? Verkatert? Verschollen? Ich habe mittlerweile einen neuen Artikel geschrieben, denn AKK hat den Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, überraschend zum neuen Generalsekretär wählen lassen. Eine Tatsache, die so manch ein Journalistenkollege wegen Abwesenheit nicht mitbekommen hat.

Die Bildschirme im Pressebereich haben schon wieder Tonprobleme. Am Nebentisch unterhalten sich finnische Kollegen laut über Sportfischen. Das glaube ich zumindest, da sie Angel-Bewegungen imitieren. Ich entscheide mich, noch einmal rüber in den Plenarsaal zu gehen. Auch hier ist es viel leerer als noch am Vortag. Die Kollegen von ntv und der ARD führen in ihren Logen-Plätzen der Halle Interviews mit CDU-Spitzenpolitikern. Schade, mir wollten Merkel, AKK oder Spahn keine Interviews geben. Die Delegierten diskutieren derweil über einen Antrag zur betrieblichen Altersvorsorge. Als wenn die CDU hier tatsächlich gute Vorschläge hätte, denk ich mir.

Gegen 13:30 Uhr tippe ich gedankenverloren an diesem Text. Einer der finnischen Journalisten packt seine Sachen, sein Teleobjektiv fällt ihm aus der Hand, trifft meine volle Kaffeetasse, der Inhalt ergießt sich auf meine Unterlagen und meine Hose. Während seine Kollegen Servietten organisieren, kommt mir unweigerlich der Gedanke: Das muss ein Zeichen sein, ich sollte auch besser gehen. Der Parteitag soll eh plangemäß gegen 15 Uhr enden. Mit nasser Hose tippe ich meinen Artikel fertig.

So, genug jetzt. Um 14:00 Uhr packe ich die wenigen nicht mit Kaffee getränkten Unterlagen zusammen und begebe mich Richtung Ausgang. Ich schaue noch ein letztes Mal am Stand von „Huawei“ vorbei. Auch hier wird langsam zusammengeräumt. Ich lasse noch spontan ein Lebkuchenherz mit dem Namen meiner Freundin signieren, die das garantiert kitschig finden und bei dem Anblick die Augen verdrehen wird. Bei dem Gedanken muss ich lachen. Gut gelaunt verlasse ich die Hamburger Messehallen und suche mein Auto. Meine Akkreditierungskarte landet auf dem Rücksitz, ich schalte das Radio an und es läuft ein Bericht über den Parteitag. Ich schalte das Radio wieder aus.

Das Fazit…

CDU-Parteitage unterscheiden sich grundsätzlich von den Veranstaltungen anderer Parteien. Bei den Linken gibt es beispielsweise keine finanz-motivierten Messestände, die Delegierten dort tragen T-Shirts oder Kapuzenpullover anstatt schwarzer Anzüge. Bei der SPD geht es rustikaler zu, es wird leidenschaftlich debattiert und dann gemeinsam eine Currywurst gegessen. Bei der FDP wird kaum debattiert, stattdessen knüpfen die Delegierten Geschäftskontakte. Bei der CDU, so habe ich es erlebt, steht vor allem die ganz große Inszenierung im Fokus. Alles muss eine Nummer größer, eine Nummer auffälliger sein. Das ganz große Theater eben. Und jeder spielt darin seine Rolle: Die Delegierten, die CDU-Funktionäre, die Wirtschaftsvertreter und auch wir Journalisten. Es hat mir dennoch Spaß gemacht. Denn am Ende denke ich mir: Wenn die wüssten, wie ich über sie schreibe… Sie hätten mir sicher keine kostenlosen Brötchen gegeben. Sie hätten mir höchstens einen Kaffee über die Beine geschüttet…

sputniknews


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