Durchgeschüttelt, nicht geeint

  09 Dezember 2018    Gelesen: 711
Durchgeschüttelt, nicht geeint

Mit Annegret Kramp-Karrenbauer und Paul Ziemiak hat die CDU ein neues Führungsduo. Ob es ihm gelingt, die Partei zu einen? Die Anhänger von Friedrich Merz sind enttäuscht. Einige streuen wilde Gerüchte.

Zum Abschluss stehen alle auf, Absingen der Nationalhymne, Ende.

Also alles wie immer beim 31. Bundesparteitag der CDU?

Das kann man wirklich nicht sagen. Gleich mehrere Rekorde wurden in der Hamburger Messehalle aufgestellt: Noch nie waren so viele Journalisten und Gäste dabei, noch nie traten drei Kandidaten um den Parteivorsitz gegeneinander an, noch nie war es so spannend.

Aber noch etwas ist anders: So durcheinander, so durchgeschüttelt, ist die CDUwohl noch aus kaum einem Parteitag gegangen.

Die Personalien sind entschieden: Zur Nachfolgerin von Angela Merkel, die nach 18 Jahren an der Parteispitze den Vorsitz aufgab, wurde Annegret Kramp-Karrenbauergewählt, ihr Amt als CDU-Generalsekretärin übernimmt der Junge-Union-Chef Paul Ziemiak.

Nur: Geklärt ist offenbar kaum etwas in der CDU. "Zusammenführen. Und zusammen führen" lautet das Motto des Parteitags in Hamburg. Letzteres wollen Parteichefin Kramp-Karrenbauer und ihr Generalsekretär Ziemiak künftig versuchen. Aber mit dem Zusammenführen dürfte es schwierig werden.

Böse Gerüchte und Verschwörungstheorien

Man muss sich nur Carsten Linnemann anhören, Bundestagsfraktionsvize und Chef der Mittelstandsvereinigung MIT, der sich am Samstagvormittag beinahe flehend an die Partei wendet: "Wir müssen den Laden zusammenhalten" ruft er mit heiserer Stimme am Rednerpult, "verdammt noch mal!". Und schiebt hinterher: "Es wird nicht einfach."

Linnemanns eindringliche Worte gelten auch den eigenen Leuten. Gerade in der Mittelstandsvereinigung gibt es viele Mitglieder, die nach der denkbar knappen Niederlage von Friedrich Merz am Vortag gegen Kramp-Karrenbauer nicht wissen wohin mit ihrer Wut. Von ersten Parteiaustritten ist die Rede, entsprechende Formulare sollen schon kurz nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Stichwahl verschickt worden sein - und allerlei böse Gerüchte und Verschwörungstheorien werden von enttäuschten Merz-Fans gestreut.

So wird etwa behauptet, dass die Parteitagsregie am Freitagnachmittag das Mikrofon während der Rede von Merz bewusst heruntergedimmt habe. Eine Art Dolchstoßlegende: Das Establishment soll schuld daran sein, dass Merz mit seiner Rede nicht so durchgedrungen ist wie erhofft.

Auch dass die neue Parteichefin sich für JU-Chef Ziemiak als Generalsekretär entschieden hat, erklärt aus Sicht mancher Merz-Fans die Niederlage ihres Favoriten: Wegen der Aussicht auf den Posten habe Ziemiak, ein Vertrauter des im ersten Durchgang ausgeschiedenen Jens Spahn, die entscheidenden Stimmen für Kramp-Karrenbauer besorgt. Beweise gibt es keine, Kramp-Karrenbauer und Ziemiak sagen, sie hätten sich erst am Freitagabend verständigt.

Am Tag eins nach Angela Merkel geht es wüster zu in der CDU als zuvor. Dabei sollte doch nun alles besser werden.

Verpuffte Hoffnung auf einen Neustart

Die Ex-Vorsitzende schaut sich an diesem Samstag auf ihrem neuen Platz auf der Parteitagsbühne das Geschehen in der Messehalle an. So ganz kann ihr nicht egal sein, was da passiert: Merkel will die Koalition mit der SPD fortsetzen, der Zustand ihrer derangierten Partei spricht nicht eben dafür, dass dies nun leichter für die Kanzlerin wird.

Der ungewohnte Auswahlprozess über die vergangenen Wochen hat Kräfte freigesetzt, die man in der CDU gar nicht mehr vermutete. Die Basis lebte während der Regionalkonferenzen auf. Aber die Hoffnung, diese nun am Parteitag zu bündeln und anschließend mit neuer gemeinsamer Kraft durchzustarten, ist fürs Erste verpufft.

Auch in manchen Landesverbänden sorgt die knappe Merz-Niederlage für schwere Verwerfungen. Besonders in Baden-Württemberg, ohnehin seit Jahren tief gespalten, gibt es neuen Ärger. Von befürchteten Handgreiflichkeiten beim Parteiabend ist am Samstag allerdings doch nichts zu hören.

Eine Hoffnung unter Merz' Unterstützern: den früheren Unionsfraktionschef weiter einzubinden. Mancher wünscht ihn sich als Wirtschaftsminister anstelle von Peter Altmaier. MIT-Chef Linnemann wirbt am Samstagmorgen erneut um Merz. "Lieber Friedrich, bleib bitte bei uns", sagt er. "Wir brauchen dich." Aber der Unterlegene will offenbar lieber wieder an die Seitenlinie zurückkehren. Es wäre zudem schwer vorstellbar, dass er in ein Kabinett von Merkel eintritt.

CDU kann nur mit Einigkeit punkten

Und ob die Ernennung von JU-Chef Ziemiak, in dessen Organisation große Begeisterung für Merz herrschte, als Friedensmaßnahme fruchten wird, muss sich zeigen: sein für CDU-Verhältnisse miserables Wahlergebnis von knapp 63 Prozent spricht nicht dafür.

Dass die Partei am Samstag ein paar sehr interessante Debatten führte und bemerkenswerte Beschlüsse fasste, geht bei all dem Durcheinander etwas unter. So will die CDU den Solidaritätszuschlag bis Ende 2021 für alle abschaffen und Beitragszahlungen zur Kranken- und Pflegeversicherung, die auf die private Altersvorsorge erhoben werden, neu regeln. In beiden Fällen setzten die Delegierten weitergehende Anträge als von der Parteiführung empfohlen um.

Die Lust am Widerspruch, an offenen Debatten, sie ist weiterhin spürbar. Aber dem neuen Führungsduo muss es jetzt rasch gelingen, diese Energie zu kanalisieren. Im kommenden Jahr stehen die wichtige Europawahl, Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Bremen sowie Kommunalwahlen in etlichen Bundesländern an. Und so gut es sich für viele Christdemokraten im Moment anfühlt, zu diskutieren und zu streiten: Beim Wähler kann die CDU nur mit Einigkeit punkten.

In jeder Hinsicht außergewöhnlich sei dieser Parteitag gewesen, sagt die neue Parteichefin Kramp-Karrenbauer zum Abschluss in der Messehalle. Die Mahnung folgt auf dem Fuß: "Ob es ein historischer sein wird, liegt auch an uns selbst."

spiegel


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