Er war Senkrechtstarter, Überflieger, Erfolgsmensch. Keiner konnte ihn aufhalten, bis er französischer Präsident und für die halbe Welt ein Star war. Doch an diesem Abend versucht Emmanuel Macron, sich ein neues Gesicht zu geben.
"Ich übernehme meinen Teil der Verantwortung. Ich weiß, dass ich einige von Ihnen mit meinen Aussagen verletzt habe", sagt der französische Präsident am Montag in einer 20-Uhr-Fernsehansprache an alle Franzosen, die gleich auf mehreren Kanälen läuft.
Es ist nur ein paar Monate her, da nannte er die Franzosen bei einem Besuch in Dänemark "veränderungsresistente Gallier". Das soll also nicht wieder vorkommen.
Für Macron ist es der bislang schwierigste Moment seiner 19-monatigen Amtszeit. Nicht vor einem US-Präsidenten Donald Trump, dem er so lange die Hand drückte, bis Trump rot anlief, geht er in die Knie. Auch nicht vor seiner bekanntesten Gegnerin, der Rechtsextremistin Le Pen, die er vor 19 Monaten in der Stichwahl der Präsidentschaftswahlen besiegte.
Macron geht in die Knie
Aber nun geht Macron sehr wohl in die Knie: vor all den kleinen Leuten, die an diesem Abend in gelben Warnwesten an Kreuzungen und Kreiseln im ganzen Land stehen und auf dem Handy seine Rede anschauen. Das sind die so genannten Gelbwesten, die seit vier Wochen für weniger Abgaben und höhere Löhne demonstrieren. An vier Wochenenden hintereinander mobilisierten sie jeweils über hunderttausend Demonstranten. Es gab spektakuläre Gewaltausschreitungen und vier Tote. Aber jetzt gibt Macron den Gelbwesten dem Anschein nach Recht.
"Die Wut sitzt tief, und ich empfinde sie in vieler Hinsicht als gerechtfertigt", gesteht er. Für einen Präsidenten, der dem Protest lange keinen Zentimeter nachgab, ist das eine Kehrtwende.
"Das ist ein Ton, den man von ihm nicht kennt, gezwungenermaßen bescheiden, nicht arrogant. Einige werden damit vielleicht zufrieden sein", reagiert noch am Abend Sébastien Maillard, Leiter des Jacques-Delors-Instituts in Paris gegenüber dem SPIEGEL. Doch draußen an einem Kreisel im südfranzösischen Department steht eine Frau mit Gelbweste vor einem TV-Mikrofon und sagt: "Er hat versucht, sich zu entschuldigen, aber es ist ihm nicht ganz gelungen." Sie hat sehr genau zugehört. Macron wagt einen versöhnlichen Ton, aber keine Entschuldigung. Ist das glaubhaft?
Immerhin lässt er sich die Sache etwas kosten. Macron will die Gelbwesten auszahlen, damit sie endlich mit ihrem Protest aufhören - wie ein "virtuoser Weihnachtsmann", sagt eine Pariser Fernsehkommentatorin. Er hat einiges im Sack:
Mindestlohnempfängern will er eine zusätzliche, monatliche Sozialhilfe von 100 Euro zahlen.
Rentner sollen erst ab 2000 Euro Rente, und nicht wie bisher ab 1200 Euro Rente, höhere Sozialsteuern zahlen.
Überstunden werden gar nicht mehr besteuert.
Und Unternehmen dürfen Weihnachtszulagen zahlen, ohne dass der Staat Abgaben erhebt.
Alles ab 1. Januar, gibt Macron bekannt. Hat sich der Protest der Gelbwesten also gelohnt?
Was sagen Experten zu den Maßnahmen?
"Es musste sein. Das sind konkrete, seriöse Zugeständnisse. Die Franzosen haben das erwartet", sagt der Pariser Strategie-Experte Dominique Moisi, Gründer des französischen Instituts für internationale Beziehungen (IFRI), dem SPIEGEL. Moisi ist jemand, der die Stimmung in Frankreich in der Vergangenheit oft richtig eingeschätzt hat. "Die Frage ist natürlich, ob das alles zu spät kommt, ob es zu wenig ist", denkt er laut nach. "Mission impossible", meinten andere vor Macrons Rede. Ihnen sagt Moisi jetzt, der Präsident habe die bestmögliche Rede gehalten. Die Gelbwesten seien vielleicht nicht überzeugt, aber Macron sei es vermutlich gelungen, "die öffentliche Meinung zu beruhigen".
Andere sind an diesem Abend beunruhigter denn je. Zu ihnen zählt der Wirtschaftsprofessor Gilbert Cette von der Universität Aix-Marseille, Vordenker von Macrons Arbeitsrechtsreformen und damit ein Art französischer Hartz. "Über die Finanzierung der Maßnahmen habe ich nichts vernommen. Will Macron den europäischen Stabilitätspakt explodieren lassen?", so Cette zum SPIEGEL.
Cette und der Pariser Ökonom Elie Cohen haben dem Präsidenten gerade eine andere Finanzierungsmaßnahme vorgeschlagen: Macron könne die Steuerabschläge für Unternehmen in den nächsten zwei Jahren von 40 auf 30 Milliarden Euro senken und damit zehn Milliarden für die jetzt verkündeten Maßnahmen gewinnen. "Das müsste reichen", sagt Cette. Doch noch etwas anderes hat ihm an diesem Abend gefehlt: "Macron hat keinen neuen Sozialpakt vorgeschlagen. Er hat zum Beispiel keine Zusage gemacht, dass er die Renten nicht zusammenstreicht, wenn er sie wie geplant reformiert", analysiert Cette. Damit sei eine große Chance vertan, für die Zukunft Klarheit zu schaffen.
"Die Wut kann unsere Chance sein", sagt Macron in seiner Rede. Er bietet runde Tische mit allen Bürgermeistern im Land an, will einen neuen sozialen Dialog, gerade mit bislang unorganisierten Bürgern wie den Gelbwesten. Maillard findet das gut, aber Moisi aber winkt ab. "In den drei großen europäischen Ländern Deutschland, Großbritannien und Frankreich wetteifern Merkel, May und Macron um den eigenen Niedergang", sagt er. Daran werde sich auch nach diesem Abend nichts ändern.
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