Herr Schwarzer, keine Woche mehr, dann beginnt mit dem Eröffnungsspiel der deutschen Mannschaft gegen die gemeinsame koreanische Mannschaft die Handball-WM in Deutschland. Wächst die Vorfreude?
Christian Schwarzer: Ja, so allmählich beginnt die Anspannung zu wachsen. Und das wird in den kommenden Tagen ganz sicher noch intensiver. Gegenwärtig aber bin ich noch in den österreichischen Bergen und verbringe ein paar ruhige Tage.
Aber zum WM-Start sind Sie in Berlin, oder?
Klar, das erste Spiel gegen Korea werde ich natürlich live erleben. Das wird schon ein ganz unangenehmes Spiel für die deutsche Mannschaft. Es ist ungemein wichtig, dass die Jungs gut ins Turnier starten. Insofern drücke ich die Daumen, dass alles gut gehen wird.
Die Skepsis rund um die deutsche Mannschaft überwiegt. Können Sie das nachvollziehen?
Es gibt schon ein paar Dinge, die ein wenig Sorge bereiten. Da ist die Verletzung von Julius Kühn (Kreuzbandriss, Anm.d.Red.), dessen Ausfall kaum zu kompensieren sein wird. Als Shooter im linken Rückraum werden wir die sogenannten einfachen Tore vermissen. Das ist schon gravierend. Auch auf Rückraum Mitte sind wir nicht optimal besetzt. Martin Strobel ist sicher ein spielintelligenter Mittelmann, aber in den vergangenen Jahren spielte er nur noch in der zweiten Liga. Ob das für das Niveau einer WM reichen wird, muss man abwarten. Spieler wie Fabian Wiede, Paul Drux oder Tim Suton können da sicher mal aushelfen, aber es wäre schon enorm wichtig, einen Gestalter zu haben, der in jeder Phase eines Spiels an den richtigen Schrauben drehen kann.
Lag es möglicherweise auch am Trainer Christian Prokop, dass die Europameister von 2016 zuletzt nicht an die Form jenes Turnieres anknüpfen konnten?
Das kann ich nur schwer beurteilen. Immerhin hat Prokop kommuniziert, dass er in der Vergangenheit Fehler gemacht habe. Vor allem hat er sich mit Entscheidungen - zum Beispiel der Nicht-Nominierung Finn Lemkes vor einem Jahr - unnötige Probleme geschaffen. Das alles und auch seine Art mit den Spielern zu diskutieren, sei angeblich gründlich analysiert worden. Ob nun alles ausgeräumt ist, weiß ich nicht. Zuletzt hieß es, Mannschaft und Trainer wollten wieder bei Null anfangen. Ich frage mich, wie so etwas im Leistungssport gehen soll.
Was trauen Sie der Mannschaft denn zu?
Schwer zu sagen. Seit der EM im vergangenen Jahr hat die DHB-Auswahl kaum einmal in Stresssituationen spielen müssen. Zuletzt waren es nur noch Testspiele, die auch wichtig sind, aber von der Belastung kaum zu vergleichen sind mit den kommenden WM-Spielen. Was die Mannschaft kann, wird man erst im Turnier sehen.
Ab wann wäre die Heim-WM eine erfolgreiche?
Aufgrund des Modus mit Vor- und Hauptrunde und ohne Achtel- und Viertelfinale ist die deutsche Mannschaft dazu verdonnert, mindestens ins Halbfinale zu kommen. Das muss das Ziel sein. Alles andere ist nicht zwangsläufig eine Enttäuschung, aber ein dritter Platz zum Abschluss der Hauptrunde ist halt nichts Greifbares. Am Ende musst du halt um die runden Dinger mitspielen.
Wichtiger noch wäre es aus Sicht des Verbandes, dass die Veranstaltung eine ähnliche Euphorie entfacht wie die WM 2007, bei der mehr als 20 Millionen Fernsehzuschauer das Finale gegen Polen mitverfolgten. Was muss die Mannschaft dafür tun?
Wenn du den Nachwuchs vom Handball begeistern willst, brauchst du Erfolg. Nur dann folgen dir die Kids. Und wenn du Werbung in eigener Sache machen willst, bist du zum Erfolg verdammt. Kampf und Leidenschaft, das beeindruckt auch, aber am Ende schalten die Leute das TV-Gerät nur dann ein, wenn du ganz vorne mitspielst.
In der Halle müssen die Spieler die Zuschauer mitnehmen. In der Kölner Arena herrschte 2007 Ausnahmezustand ab dem Viertelfinale. War das Ihr größtes Erlebnis in Ihrer Karriere als Handball-Profi?
Jedes WM-Spiel, das ich damals absolvieren durfte, war besonders, aber was in Köln abging, das war unvergleichlich. Ich kann das selbst heute nicht richtig in Worte fassen. Wenn es der Mannschaft gelingt, den Mythos Köln Arena wieder zum Leben zu erwecken, dann ist ganz viel möglich.
Sie wurden damals als 38-Jähriger erst spät im Turnierverlauf nachnominiert. Was genau ist denn damals passiert?
Begonnen hatte alles damit, dass ich beim ZDF als Experte diese WM begleiten sollte. Ich stand zugleich in jenem 28-Kader, aus dem Heiner Brand tauschen konnte. Schon vor der WM hatte Heiner irgendwann mal bei mir angerufen. Ich wollte erst gar nicht abnehmen, weil ich geplant hatte, zu Dirk Nowitzki nach Dalls zu fliegen. Das wollte ich mir nicht verderben. Meine Frau hat mir dann gut zugesprochen und ich habe mit Heiner gesprochen. Der aber sagte nur: Keine Angst, flieg nur nach Dallas, aber halte Dich bitte fit.
So richtig ernst wurde es dann nach dem zweiten Spiel der deutschen Mannschaft im westfälischen Halle …
… nach dem Match gegen Argentinien, genau. Da kam Yorck Polus vom Sender zu mir und sagte nur: Das war's dann wohl. Im ersten Moment dachte ich, ich hätte Mist gebaut und sei raus beim ZDF. Aber er hatte bereits die Info, dass sich Andrei Klimovets einen Muskelfaserriss zugezogen hatte und sagte nur: "Blacky, morgen gegen Polen sehen wir Dich auf der Platte."
Wie konnten Sie der Mannschaft Impulse geben?
Sportlich konnte ich der Mannschaft nicht gewaltig weiterhelfen. Aber die ersten beiden Spiele haben gezeigt, dass die Jungs einen verunsicherten Eindruck machten. Es fehlte die Körpersprache, die Präsenz auf dem Feld. In der Mannschaft waren zudem die sogenannten deutschen Attribute wie Kampfkraft und Siegeswillen zu wenig vorhanden. Und auch der Funke zum Publikum war noch nicht übergesprungen.
Und dann rauschte die deutsche Mannschaft durchs Turnier und war am Ende Weltmeister.
Ich habe so viele Großveranstaltungen gespielt, aber das war eine besondere Erfahrung. Es war auch schön, mit Barcelona die Champions League zu gewinnen oder mit Lemgo Meister zu werden. Aber die WM mit ihren unglaublichen Momenten war eines der schönsten Erlebnisse. Das sind Dinge, die kannst du mit Geld nicht kaufen.
Mit Christian Schwarzer sprach Arnulf Beckmann
Quelle: n-tv.de
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