„Chancen nutzen“, so stand es heute beim Treffen der Liberalen in Stuttgart als Slogan auf der Riesenleinwand. Ein wenig spät für diese Botschaft, werden die Kritiker der FDP schnell einwenden, in ihren Augen hat die Partei nach der Bundestagswahl vor allem eine Chance vergeben, nämlich, an der Seite von Union und Grünen eine neue Regierung zu bilden. Vor der Partei liegen schwierige Landtagswahlen in Ostdeutschland, wo ihre Existenz als außerparlamentarische Opposition keine bloße Erinnerung, sondern gelebter Alltag ist. Bundesweit kann die FDP auf relativ stabile Umfragen zwischen neun und zehn Prozent verweisen, in den ostdeutschen Bundesländern sieht das ganz anders aus, spezifische Botschaften für die Wähler in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, hatte Parteichef Christian Lindner heute nicht im Gepäck.
Die Liberalen in Warteschleife
„Wir befinden uns in einer Zwischenzeit“, schilderte Lindner heute die politische Gemengelage im Land, die Ära Merkel gehe zu Ende, noch sei sie aber im Amt. So weit, so richtig. Für die Liberalen bedeutet diese Einschätzung – und man merkte es der Rede des Parteichefs deutlich an – dass sie ihre Runden momentan in einer Warteschleife dreht. Christian Lindner hat heute in weiten Teilen eine Rede aus dem Wahlkampf 2017 gehalten. Für eine Neupositionierung der FDP sieht er keine Notwendigkeit. Um ihn herum haben sich Koordinaten verändert, neue Köpfe bei CDU, CSU und den Grünen, sorgen für neue Jamaika-Fantasien, doch das Heft des Handelns haben die Liberalen aus der Hand gegeben. Den Zeitplan bestimmen andere. „Wir laufen nicht davon, für faire Angebote sind wir jederzeit offen.“ Das ist die FDP-Tonlage in der Warteschleife.
Das Wort klingt schlimmer als es in diesem Fall ist. Wartezeiten sind im besten Fall Belege für strategische Geduld. Die FPD hatte 2017 gute Gründe, die Koalitionsverhandlungen – vielleicht zu spät, ja – abzubrechen. Das Risiko des Scheiterns von Jamaika war für die wiederauferstandenen Liberalen ungleich größer als für die Verhandlungspartner. Glaubt irgendjemand, dass die CSU mit ihrer Fixierung auf die Landtagswahlen in Bayern mit einem liberalen Koalitionspartner anders umgesprungen wäre als mit CDU und SPD? Und hätte man damals die Koalition geschmiedet: Wären wir alle heute in einer besseren Lage, wenn Jamaika als politische Konstellation durch Querelen 2018 heute bereits schwer beschädigt und für die Zeit nach Angela Merkel so mit schwerer Hypothek belastet wäre?
Bundestagswahl. Es stimmt, noch immer ist die Partei allzu sehr auf ihren Vorsitzenden fixiert. In Stuttgart wollte man diesem Befund heute schon rein optisch entgegenwirken. Anders als in den Vorjahren, stand Lindner nicht allein im Rampenlicht. Doch 16 mehr oder weniger prominente Parteifreunde im Lounge-Setting auf der Bühne, acht Männer, acht Frauen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Partei mehr tun muss, damit das Image der Liberalen nicht durch zwei oder drei Gesichter geprägt wird.
In der zweiten Reihe haben sich im vergangenen Jahr viele Fachpolitiker profiliert, die im Bundestag, im Plenum und mehr noch in den Ausschüssen, Erfahrungen sammeln. Das mag noch nicht für regelmäßige Auftritte in den Talkshows reichen, doch bei möglichen Sondierungen und Verhandlungen sorgt es für Augenhöhe, die so 2017 nicht gegeben war. Auch die inhaltlichen Schnittmengen möglicher Koalitionspartner sind in Bewegung. Steuerpolitisch klingen FDP- und CSU-Positionen aktuell mitunter wortgleich. Die Kritik an konservativen Wertvorstellungen der neuen CDU-Vorsitzenden deutet auf neue Konflikte mit den Christdemokraten.
Keine Palmen nördlich von Stuttgart – mit diesem Motto zog die liberale Parteijugend heute vor dem Opernhaus in Stuttgart auf. Christian Lindner nahm das Thema ausführlich auf. Grüne und FDP nehmen für sich in Anspruch, die Bedeutung der Probleme in gleichem Maße erkannt zu haben. Die politischen Antworten könnten aber gegensätzlicher kaum sein. Beide Seiten wissen das, hier müssen Kompromisslinien gefunden werden. Informell, hinter Kameras und Mikrofonen. Auch dafür eignen sich Warteschleifen ganz gut.
deutschlandfunk
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