Im Text des am Dienstag in Aachen besiegelten Abkommens ist die Rede von regelmäßigen Austauschen für die Mitarbeiter der Botschaften, Konsulate und Missionen bei internationalen Organisationen. Berlin und Paris wollen ihre Positionen zu internationalen Angelegenheiten aktiv abstimmen und im Interesse Europas vorgehen. Einer der wichtigsten Punkte des Abkommens ist das Streben von Berlin und Paris nach einem ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat. Sputnik sprach mit Professor Steven Keen von der Crowdfunding-Plattform Patreon aus Großbritannien über den Vertrag von Aachen.
Sputnik: Die Unterzeichnung des Abkommens erfolgt vor dem Hintergrund einer angespannten Lage für Macron wegen der Proteste der Gelbwesten. Zugleich hat Angela Merkel wegen der innenpolitischen Auseinandersetzungen im eigenen Lande an Nimbus verloren. Warum haben Frankreich und Deutschland gerade jetzt beschlossen, sich anzunähern?
Steven Keen: Meines Erachtens ist das in vielerlei Hinsicht gerade mit diesen beiden Aspekten verbunden. Beide willigten in die Unterzeichnung des Abkommens bereits im März des vergangenen Jahres ein. Wegen der Proteste der Gelbwesten und der Unannehmlichkeiten in Deutschland gab es keine üblichen Kommentare. Ich denke, dass der Prozess vielleicht beschleunigt wurde, weil das Zusammenwirken mit der EU-Öffentlichkeit diesen Protesten widerspricht.
Ich bin nicht von der Effizienz dieses Abkommens überzeugt, weil der ursprüngliche Vertrag von 1963 von beiden Seiten als eine wichtige Versöhnung betrachtet wurde, doch jetzt ist er mehr auf die Unterstützung der EU angesichts der wachsenden Zahl der protestierenden Gelbwesten, die nicht ganz von der Effizienz dieser Idee überzeugt sind, gerichtet.
Wie langfristig ist diese Vereinbarung zwischen beiden Ländern?
Sie wird dauerhaft sein. Ihr Erfolg wird davon abhängen, wie diese Kooperation endet. Doch die übliche Tagesordnung der Europäischen Union verfolgt die Erweiterung, deswegen beharrt Macron auf einem klaren föderalen Format des Systems. Selbstverständlich beharrt er auf einer föderalen Besteuerung. Das bedeutet, dass alle Einwohner der EU-Mitgliedsstaaten als Steuereinnahmequellen für die EU betrachtet werden.
Nun ist diese Tagesordnung ein Teil seines allgemeinen Programms, das stark von Protesten der Gelbwesten betroffen wurde, die ihn zur Reduzierung der Steuern drängten. Der Gedanke, dass er übernationale Steuern erfolgreich anwenden könnte, ist meines Erachtens zum Scheitern verurteilt.
Inwieweit stimmen die Ansichten von Merkel und Macron bezüglich der Zusammenarbeit überein, gibt es Streitpunkte? Könnten Sie vielleicht erklären, wie die Auseinandersetzungen tatsächlich aussehen?
Ich denke, dass es zwischen Macron und Merkel keine besonderen Streitpunkte gibt. Beide wollen, dass die EU erweitert wird, und Macron ist für die Bildung einer europäischen Armee, Steuern auf gesamteuropäischer Ebene u.a. Diese Punkte widerspiegeln ihre gemeinsamen Interessen.
Mir scheint, dass das Problem in der Tat in den verschiedenen Ansichten zur Zukunft der EU besteht, was in vielerlei Hinsicht in den Abkommen selbst sowie an den Reaktionen in Ländern wie Frankreich, Italien, Griechenland, Deutschland u.a zu erkennen ist. Dort gibt es Meinungen, dass keiner der ursprünglich genannten Vorschläge erreicht wurde. Nun wollen sie diesen Prozess aufheben.
Wir erkennen, dass die EU in den letzten fünf bis sieben Jahren offensichtlich Schwierigkeiten hat. Die nächste Prüfung wird der Brexit sein, der in den nächsten zwei bzw. drei Monaten zustande kommen soll oder auch nicht. Jetzt erklärt Merkel, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit darauf gerichtet sei, der Europäischen Union einen neuen Impuls zu verleihen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, angesichts der Tatsache, dass der Brexit bevorsteht und in vielen EU-Ländern die EU-skeptischen Stimmungen zunehmen?
Mir scheint, dass es ein bedeutender negativer Faktor ist. Natürlich hat der 20. Jahrestag der Euro-Einführung, den die EU am 1. Januar mit Pauken und Trompeten zu feiern versuchte, nicht den erwarteten Eindruck hinterlassen, weil niemand das feiern wollte. Mit Personen wie Juncker in der europäischen Bürokratie konnte kein Erfolg, mit dem ursprünglich gerechnet worden war, erzielt werden. Deswegen meine ich, dass gerade das liberale Zentrum, das gegen Proteste und Neoliberale ist, wohl effektiv sein wird.
Merkel hat die EU-Länder zur gemeinsamen Nutzung ihrer Möglichkeiten zur Schaffung von Waffensystemen, die unabhängig von den USA sein würden, aufgerufen. Die Beziehungen zwischen der EU, Nato und den USA waren in den vergangenen zwei Jahren wegen der Versuche von Donald Trump, Länder wie Deutschland zur Erhöhung der Rüstungsausgaben der Nato zu zwingen, unterkühlt. Wie groß ist die Chance, dass Europa unabhängiger beim Thema Verteidigung sein wird, wenn dieses Konzept ins Leben gerufen wird?
Meines Erachtens kann mehr Autonomie zwar erreicht werden, jedoch nicht auf friedlichem Wege. Das ist im gewissen Sinne damit verbunden, dass es immer noch die Verpflichtungen von Macron und Merkel auf der höchsten Ebene bezüglich der Union gibt, weil es jetzt einen Anführer in Italien gibt, der sich über dasselbe Ziel lustig macht. Deswegen sind die Tage einer einheitlichen Position zur Entwicklung der EU wohl gezählt. Auch am Anfang waren die Vereinbarungen ziemlich zweifelhaft. Vor allem weil Charles de Gaulle wegen den Deutschen sehr gereizt war, weil der ursprüngliche Vertragstext zugunsten der Bildung der Nato und einer engeren Allianz mit den USA verändert wurde, die er zu verhindern versuchte. Diese Geschichte längst ist nicht so transparent und sauber, wie sich das Brüssel wünscht.
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