Rede von Merkel in München Startsignal für EU-Umbau? – Aktuelle Stunde im Bundestag

  21 Februar 2019    Gelesen: 785
 Rede von Merkel in München Startsignal für EU-Umbau? – Aktuelle Stunde im Bundestag

Der Bundestag hat sich in einer Aktuellen Stunde mit der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz befasst und welche Konsequenzen sie für die deutsche Außenpolitik habe. Dabei konnte man den Eindruck gewinnen, die viel gelobte Rede von Angela Merkel in München sei kein Zufall, sondern ein Startsignal für den Umbau der EU gewesen.

Dass eine Regierungskoalition eine Aktuelle Stunde beantragt, ist nicht der Regelfall, aber auch keine Seltenheit. Wer die Aktuelle Stunde „Erhaltung und Stärkung der regelbasierten internationalen Ordnung“ vor einem spärlich gefüllten Plenum verfolgte, der ahnte ziemlich schnell, was der Grund für ihre Einberufung war. Der so genannten Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD ging es wohl vor allem darum, den Schwung und die wohlwollende Kritik, die von der angeblichen oder tatsächlich kämpferischen Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSK) ausgegangen sein soll, zu nutzen. Zum einen, um sich selbst Mut zuzusprechen in einer eher wackeligen Koalitionskonstellation.

Zum anderen und vor allem aber scheint Angela Merkel in München eine Entscheidung gefällt zu haben, dass es an der Zeit ist, das Hoffen aufzugeben, mit der gegenwärtigen US-Administration doch noch irgendwie so ins Geschäft zu kommen, um die bisherige internationale Beziehungsarchitektur, in der die westlichen Staaten den Ton angaben, zu retten. Stattdessen scheint Deutschland den Plan zu haben, diese internationale Ordnung, von der sie bislang profitierte, mit so vielen Staaten wie möglich, gegen die USA zu retten. Solange, bis im Weißen Haus ein Präsident an der Macht ist, mit dem sich wieder besser Kirschen essen lässt. Denn natürlich steht für Berlin die transatlantische Ausrichtung deutscher Außenpolitik nicht zur Disposition, auch wenn von den Koalitionsparteien in der Aktuellen Stunde auffallend oft die virtuelle Hand in Richtungen ausgestreckt wurde, auf die man bislang lieber gerne mit dem Finger des Oberlehrers zeigte.

Deutschland will offenbar die EU zur Basis des Überwinterns dessen umformen, was immer als transatlantische Werteallianz gepredigt wurde. Und in einer solchen EU fällt Deutschland natürlich eine führende, wenn nicht sogar die Schlüsselposition zu. Aber es bedeutet auch, dass diese EU sich deutlich intensiver den Mächten zuwenden muss, die direkte Nachbarn sind oder jedenfalls deutlich schlüssiger mit der EU verbunden sind, wenn man auf Landkarten blickt. Zu oft war in dieser Aktuellen Stunde das Loblied auf die Bundeskanzlerin gesungen worden. Und zu deutlich waren die Aussagen bezüglich einer Neuordnung von internationalen Organisationen.

Vorgaukeln einer Souveränität, die es nicht mehr gibt?

Den Reigen eröffnete der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt. Offenbar mit Bedacht, denn die wahrscheinlich folgenreichste Wortmeldung kam erst später vom eigentlichen Außenpolitiker der Union. Aber dazu kommen wir gleich. Jürgen Hardt jedenfalls gab zunächst die Marschrichtung zukünftiger Berliner Außenpolitik vor:

„Deutschland repräsentiert gut ein Prozent der Weltbevölkerung, mit sinkender Tendenz. Und wenn wir in der Welt uns mit unseren Vorstellungen, mit unseren Ideen behaupten wollen, dann brauchen wir Verbündete und müssen wir mit Verbündeten arbeiten. Diejenigen, die den Menschen erzählen, sie könnten die Probleme aus eigener Kraft lösen, ohne Vertrauen auf multilaterale Strukturen, gaukeln, insbesondere wenn es um die kleineren Länder geht, ihren Bürgerinnen und Bürgern eine Souveränität vor, die es in Wirklichkeit gar nicht mehr gibt.“

Zur Erreichung dieses Ziels sei der Übergang zum Mehrheitsprinzip unverzichtbar, wie Hardt es formulierte. Natürlich ist das eindeutig auf die EU gemünzt, was insbesondere die kleineren Staaten in der Union sehr genau vernommen haben werden. Und es sind vor allem die kleineren osteuropäischen Staaten, die nicht nur aus russischer Sicht die eigentlichen Spaltpilze in der EU sind, mit klarer Ausrichtung und Unterwerfung unter US-amerikanische Interessen.

Weltpolitik nur Durchsetzung eigener Interessen?

Anton Friesen, der Obmann der AfD im Bundestags-Unterausschuss „Vereinte Nationen“ forderte in seiner Rede vor allem eine Fokussierung deutscher Außenpolitik auf deutsche Interessen, wobei die Vermutung naheliegt, dass die AfD darunter etwas anderes versteht als die anderen Parteien. Friesen forderte namens der AfD, dass Deutschland sich nicht an allen Konfliktlösungen in der Welt beteiligen müsse, da die Geschichte gezeigt habe, dass solches Engagement auch kontraproduktiv wirken könne:

„In Afghanistan hat die Intervention raum- und kulturfremder Mächte zu einem Desaster geführt und der blütenhafte arabische Frühling wurde in Libyen und Syrien ganz schnell zu einem blutigen Winter. In der Weltpolitik geht es eben nicht nur um ein Wünsch-Dir-was, sondern um die Durchsetzung eigener Interessen und die Sicherstellung der grundlegenden Stabilität. Dann klappt es auch mit Lösungen auf der Münchener Sicherheitskonferenz.“

Europa ohne Russland undenkbar?

Der stellvertretende Fraktionschef der SPD, Rolf Mützenich, ging darauf nicht ein, sondern erinnerte daran, dass die MSK gezeigt habe, dass Nationalismus und Geltungssucht von deutscher Seite ein Bekenntnis zum Multilateralismus entgegengesetzt wurde, auch wenn innerhalb der Großen Koalition unterschiedliche Ansichten in Details bestünden, wie zum Beispiel bei der Bewertung des Endes des INF-Vertrages:

„Auf der einen Seite die offensichtliche Verletzung des Abkommens über die Mittelstreckenraketen, aber auf der anderen Seite durchaus auch berechtigte Fragen von Seiten Russlands, was (die) Raketenabwehr, insbesondere wenn sie mit der Nato verknüpft ist, auch für Russland bedeutet."

Wer Europa denke, müsse auch Russland mitdenken, meinte Mützenich.

Dürfen Stärkere Respekt von Schwächeren für Kräfteverhältnisse in Organisationen erwarten?

Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP, hatte einen anderen Blickwinkel und machte deutlich, dass sich Deutschland keineswegs von seiner in die gesamte Gesellschaft der Bundesrepublik vernetzten transatlantischen Bindung abwenden wird. Denn Lambsdorff erinnerte zu Recht daran,

„dass die USA, dass die transatlantischen Beziehungen mehr sind als der Mann im Weißen Haus und sein Stellvertreter".

Lambsdorff sang zwar das bekannte Loblied, „wir wollen in den internationalen Beziehungen die Stärke des Rechts als das Recht des Stärkeren“. Aber dann bekam er einen Zungenschlag, der mal wieder die Doppelstandards mancher westlicher Politiker, den vor allem aber kleinere Staaten in internationalen Organisationen, und damit ist natürlich an erster Stelle die EU gemeint, mit Sorge vernehmen werden:

„Und die Stärkeren in diesen Organisationen erwarten dann, wie ich finde mit Recht, innerhalb dieses Regelwerks auch ein bisschen den Respekt der Schwächeren davor, dass die Kräfteverhältnisse nun einmal unterschiedlich sind."

Es gäbe internationale Institutionen, die aufgelöst werden könnten, weil wir sie nicht mehr brauchen, meinte Lambsdorff, wobei er mit „wir“ natürlich Deutschland und den Westen meinte.

War Münchner Konferenz nur Konflikt, wie westliche Politik durchgesetzt werden soll?

Für Tobias Pflüger, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion der Partei Die Linke, war die MSK nicht ein Showdown zwischen Angela Merkel und dem Vizepräsidenten der USA, Mike Pence, sondern ein „innerwestlicher Showdown“, denn, so Pflüger:

„Das Ganze war doch eher ein Konflikt darüber, wie westliche Politik weltweit derzeit durchgesetzt werden soll.“

Und da würden sich weder die USA noch Deutschland oder andere westliche Staaten gegenseitig etwas nehmen. Auch Deutschland hätte in München in Gestalt der Bundeskanzlerin und von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen „nur eine Leier“ gekannt, „aufrüsten, aufrüsten, aufrüsten“. Bei den „skandalösen Aufrüstungszahlen“, mit denen Deutschland plane, müsse gefragt werden, wie das finanziert werden und wo der Rotstift bei anderen Ausgaben angesetzt werden soll, schimpfte Pflüger. Und er kritisierte in diesem Zusammenhang einmal mehr den neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, mit dem die ohnehin nicht wirklich strengen Kontrollregeln für den Rüstungsexport noch mehr aufgeweicht werden sollen.

Haben deutsche Waffen Entspannung und Demokratie exportiert?

Das war auch der Hauptkritikpunkt von Omnid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Ihm lag vor allem eine Äußerung der Bundesverteidigungsministerin schwer im Magen, die sie in München von sich gab, als sie meinte, Deutschland sollte sich in punkto Rüstungsexporte nicht einbilden, moralischer als Frankreich zu sein. Das verkenne, so empörte sich Nouripour, dass es nicht um Moral, sondern um Sicherheit gehe:

„Wie viele Waffensysteme, die Deutschland nach Saudi-Arabien geschickt hat, haben zu einer Entspannung Saudi-Arabiens mit dem Iran geführt? Wie viele deutsche Waffensysteme, die wir nach Ägypten geliefert haben, haben dazu geführt, dass das Land demokratischer wird?“

Ist das Südchinesische Meer eine Basis deutschen Wohlstandes?

Mit derlei lästigen Fragen hielt sich Norbert Röttgen nicht auf. Der innerhalb der Unionsfraktion wohl eigentlich maßgebliche Außenpolitiker setzte bemerkenswerte Akzente in seiner Rede, die einen Blick darauf ermöglichen, was die EU in naher Zukunft von deutscher Außenpolitik zu erwarten haben wird. Zunächst streute er Asche auf das Haupt der außenpolitischen Aktivitäten der Bundesregierung in den zurückliegenden Monaten:

„Es ist eine Schwäche von uns, dass wir zu stark in der alten Welt verhaftet bleiben mit unseren Argumenten und unseren Ansichten. Wir haben es mit einer neuen Realität geopolitischen Großmächtewettbewerbs zu tun, und dieser neuen Realität müssen wir uns stellen, und das braucht sicher auch neue Antworten von uns."

Und die lauten nach Überzeugung von Röttgen, jedenfalls, wenn man seinen Worten Glauben schenken darf, „bestehende und neue Allianzen mit Inhalten und Verantwortung“ zu füllen. Deutsche Außenpolitik müsse in Allianzen denken. In diesem Punkt war er auf einmal in überraschender Nähe zum bereits erwähnten AfD-Redner, Anton Friesen, der nämlich auch gefordert hatte, dass so genannte Koalitionen der Willigen ein effektives Mittel seien, „um die eigenen Interessen durchzusetzen, um das Chaos einzuhegen und um zumindest regional für Ordnung zu sorgen“.

Braucht Europa eine Gruppe von Ländern, die sich als Avantgarde betrachten?

Exakt das forderte auch Norbert Röttgen, als er das Südchinesische Meer zu einer Basis des deutschen Wohlstandes erklärte, wo das Prinzip der Freiheit der Meere gerade verletzt werde. Den angeblichen oder tatsächlichen „Verletzer“ nannte Röttgen nicht beim Namen, aber das musste er auch nicht mehr, hatte er ja den Namen des verletzten Meeres genannt.

Das war auch nicht der Punkt, sein Punkt. Der Ausflug ins Südchinesische Meer war für Röttgen nur das Vehikel für die Proklamation, Deutschland müsse sich fragen, ob und wie es eine Ordnung nicht nur nutzt, sondern auch stabilisieren will, von der es profitiere. Nun war Röttgen wieder zurück in Europa, auch wenn er – wir kennen diese Namensanmaßungen schon – eigentlich „nur“ die EU meinte. Aber, so Röttgen, Europa müsse beginnen, seine Rolle in der Welt zu definieren, ein Akteur seiner eigenen Interessen zu werden.

Er, Röttgen, glaube nicht, dass dies im Rahmen der EU gelingen kann, wie sie derzeit konstituiert ist. Weshalb er nicht mehr, aber auch nicht weniger tat, als die EU in ihrer derzeitigen Verfassung sturmreif zu schießen:

„Wir müssen beginnen, mit einer Gruppe von Ländern. Mit einer Avantgarde, die anfängt, gemeinsame Außenpolitik zu betreiben, sich auf Kompromisszwang verständigt und dann gemeinsam Politik macht, damit anfängt, was notwendig sein muss, damit wir bestehen, nämlich unsere Art zu leben, friedlich tolerant auch in der Welt zu vertreten. Diese Avantgarde für europäische Außenpolitik, die kann und die muss sehr, sehr rasch entstehen.“

Wer also wissen will, welche Schlüsse die Große Koalition aus der Münchner Sicherheitskonferenz gezogen hat, wer vermutet, dass die für merkelsche Verhältnisse wirklich außergewöhnliche Rede vielleicht kein Zufall, sondern Absicht, ein Startsignal gewesen sein könnte und weshalb die Parteien der Großen Koalition diese Aktuelle Stunde beantragten, der wusste spätestens nach der Rede von Norbert Röttgen Bescheid.

sputniknews


Tags:


Newsticker