Der Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten für die Europawahl, Frans Timmermans, nutzt den neuen Streit um Ungarns Regierungschef Viktor Orbàn für eine Attacke auf seinen konservativen Kontrahenten Manfred Weber. Die Idee, man könne Orbán innerhalb der Europäischen Volkspartei (EVP) einhegen, werde nicht funktionieren, sagte Timmermans dem SPIEGEL. "Ich will die EVP und Herrn Weber warnen: Sie könnten sich anstecken."
Ungarns Regierungschef Orbán hatte in den vergangenen Wochen mehrfach gegen Brüssel geschossen. In seiner Rede zur Lage der Nation hatte Orbán Timmermans, der in der EU-Kommission für Rechtstaatsfragen zuständig ist, als einzigen ausländischen Politiker gleich zwei Mal kritisiert. Am Montag hatte Ungarns Regierung zudem eine Plakatkampagne gegen Brüssel und Kommissionschef Jean-Claude Juncker gestartet und ihm vorgeworfen, illegale Einwanderung zu fördern.
Orbáns Fidesz-Partei gehört, wie auch CDU und CSU, zur EVP. Aus Sicht Timmermans bewegen sich Europas Christdemokraten mit Leuten wie Orbán und dessen Fidesz-Partei immer weiter auf den rechten Rand zu. "Die junge Generation der EVP, beispielsweise Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, verschiebt die Partei nach rechts", so der Sozialdemokrat, der auch Erster Vizepräsident der EU-Kommission ist.
Führende Politiker von CDU und CSU bezogen bereits am Donnerstag gegen Orbáns Verhalten deutlich Stellung, darunter auch EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber.
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer drohte mit einem Abbruch der regelmäßigen Gespräche mit der Fidesz-Partei. Man habe in der EVP in der Vergangenheit "zusammen mit unseren Schwesterparteien daran gearbeitet, dass Europa als Ganzes zusammenwächst", sagte Kramp-Karrenbauer dem SPIEGEL.
Dies bedeute auch die Fähigkeit zu haben, es über streitige Sachfragen nicht zu einer erneuten Spaltung Europas kommen zu lassen. "Dieses oben genannte Ziel ist durch die jüngsten nicht nachvollziehbaren und haltlosen Vorwürfe der Fidesz unter Viktor Orbán in Gefahr geraten. Sie schwächen und schaden darüber hinaus die EVP als Ganzes", sagte sie.
Weber distanzierte sich in der "Süddeutschen Zeitung" von Orbàn: Dessen jüngste Aktionen "lösen in der EVP großes Unverständnis und Verärgerung aus". Er halte "manche Formulierungen für inakzeptabel". Man könne nicht wie Orbán "der EVP angehören und gegen den amtierenden EVP-Kommissionspräsidenten Wahlkampf machen, das geht nicht". Und CSU-Chef Söder sagte der FAZ, "die jüngsten Äußerungen von Viktor Orbán sind nicht akzeptabel". Dieser müsse zeigen, dass er noch zur EVP dazugehören will. "Wir wollen auch niemanden aus der europäischen EVP-Familie hinaustreiben", so Söder. "Aber man muss auch klarstellen, was geht und was nicht."
All das ist eine harte öffentliche Distanzierung von Orbán, allerdings kein Aufruf zum Rausschmiss.
Timmermans Warnung an die EVP kommt vor dem Start des Parteitages von Europas Sozialdemokraten am Freitagabend in Madrid. Die Partei will dort unter anderem ihr Programm für die Europawahl diskutieren.
Das dreiseitige Papier, dessen Entwurf dem SPIEGEL vorliegt, setzt beim Kampf gegen Europas Populisten vor allem auf sozialpolitische Versprechungen wie Mindestlöhne in allen EU-Ländern und eine Angleichung der Bezahlung von Männer und Frauen. Dazu gibt es deutliche Sprache in Richtung der Rechtspopulisten: "Wir werden gegen diejenigen kämpfen", heißt es darin, "die Hass predigen, Intoleranz oder die Diskriminierung anderer."
spiegel
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