Auch in der Universitätsstadt Tübingen in der Nähe von Stuttgart steigen die Mieten und es herrscht Wohnungsmangel. Dies hat den Oberbürgermeister der Stadt Boris Palmer von den Grünen zu einem drastischen Schritt bewogen. In einem Brief fragt er etwa 450 Grundstücksbesitzer der Stadt, ob sie planen, ihre Flächen in den nächsten vier Jahren zu bebauen. Sollte dies nicht der Fall sein, bietet die Stadt an, ihre Grundstücke zum Verkehrswert zu kaufen.
Falls die Besitzer weder bebauen, noch verkaufen wollen, droht Ihnen ein Zwangsgeld als Strafe. Die Stadt behalte sich sogar eine Enteignung vor, heißt es in dem Schreiben des Oberbürgermeisters. Keine Beantwortung dieses Schreibens würde als Ablehnung des Angebots der Stadt gewertet werden.
Die „taz“ berichtet, dass die Stadt Tübingen mit dieser Aktion insgesamt 550 Grundstücke wieder nutzbar machen will für den Wohnungsmarkt. Im Moment sind die Grundstücke unbebaut.
Als rechtliche Begründung für sein Vorgehen hat Palmer einen Paragrafen im Baugesetzbuch gefunden. Im sogenannte „Baugebot“ (§ 176) heißt es:
„Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans kann die Gemeinde den Eigentümer durch Bescheid verpflichten, innerhalb einer zu bestimmenden angemessenen Frist sein Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans zu bebauen.“
Auch rechtfertigt Palmer sein Vorgehen mit dem Grundgesetz, in dem von einer „Sozialbindung von Eigentum die Rede ist.
In der Praxis sind die unbebauten Grundstücke vor allem im Besitz älterer Grundstücksbesitzer, die ihre Flächen später gern vererben möchten. Allerdings sind viele der Nachkommen gar keine Tübinger mehr und haben kein unmittelbares Interesse an einer Übernahme und Bebauung der Grundstücke, wie die „taz“ berichtet. Somit wären die Flächen Spekulationsobjekte, die dringend benötigten Wohnraum in der Stadt verknappen.
Palmer hält das Aufheben von Grundstücken über Jahrzehnte für nicht angemessen. Hier ständen die Interessen einiger weniger Besitzer den Bedürfnissen ganzer Familien gegenüber, schreibt der grüne OB in seinem Brief. Zwar sei das Vorhaben, Grundstücke für nächste Generationen aufzuheben, zwar individuell verständlich. Aber auch das sei nach mehreren Jahrzehnten nicht mehr angemessen, schreibt Palmer weiter in seinem Brief. Er möchte mit der "neoliberalen Einstellung der letzten Jahre" brechen. Palmer sieht dies selbst als revolutionären Schritt.
Über den Brief soll nun Ende März im Verwaltungsausschuss von Tübingen beraten werden. Bislang gab es Kritik aus den lokalen Verbänden der CDU und FDP. Auch der baden-württembergische Gemeindetag hat sich gegen Zwangsenteignungen ausgesprochen. Reaktionen der betroffenen Grundstücksbesitzer sind bisher nicht bekannt.
Der Tübinger Oberbürgermeister sorgt regelmäßig durch unkonventionelle Vorschläge und Maßnahmen für Aufsehen. Seine Kritik an Aspekten der Flüchtlingspolitik wurde von seiner Partei, den Grünen, weitestgehend verurteilt.
sputniknews
Tags: