Entschuldigung? Kommt nicht in Frage!

  07 März 2019    Gelesen: 597
Entschuldigung? Kommt nicht in Frage!

Ein Toilettenwitz brachte der CDU-Chefin einen Shitstorm. Sie findet ihre Kritiker verkrampft und nutzt den politischen Aschermittwoch zum Gegenangriff. 

Karneval ist, politstrategisch betrachtet, eine gefährliche Zeit. In Berlin ist nicht viel los, da füllt ein Büttenwitz leicht die Titelseiten. Über der Tennishalle von Demmin liegt infolgedessen eine ganz unübliche Spannung. Jahrelang hat die Kanzlerin ihrem Heimatverband den Fasching eher ruhig ausklingen lassen. Diesmal hat sie die Neue losgeschickt.

„Aschermittwoch ohne Merkel?“ plakatiert die Linkspartei draußen spöttisch: „Macht nichts, wir sind immer da.“ Drinnen verspricht die CDU Mecklenburg-Vorpommern „Zeit für deutliche Worte“. Und damit Annegret Kramp-Karrenbauer gleich weiß, was von ihr erwartet wird, reimt der Europaabgeordnete Werner Kuhn zur Begrüßung: „Im Saal ist man schon ganz perplex – in Pommern kenn' wir keinen Unisex!“

Kramp-Karrenbauer winkt von der Bühne den vielleicht 800 Gästen zu. Dieser Witz über die Toiletten fürs dritte Geschlecht hat ihr eine wilde Debatte eingetragen. Sie gipfelte in Vorwürfen, die oberste Christdemokratin biedere sich auf Kosten intersexueller Minderheiten bei den Reaktionären an, ja sie sei in tiefster Seele selber eine. Wenn jemand mit gewisser Wahrscheinlichkeit die nächste Bundeskanzlerin wird, hört der Spaß schon mal ganz schnell auf.

Dabei war der inkriminierte Auftritt vor dem Hohen Grobgünstigen Narrengericht zu Stockach für Kramp-Karrenbauer eigentlich ein voller Erfolg. Der närrische Strafprozess ist das süddeutsche Gegenstück zum Aachener Orden wider den tierischen Ernst, nur Jahrhunderte älter und sehr viel derber. Die Liste der Beklagten ist trotzdem prominent: Kiesinger, Strauß, Genscher, Merkel, Nahles; auch Joschka Fischer wurde ans Hanfseil gefesselt zur Bühne gezerrt.

Kramp-Karrenbauer haben sie vorige Woche wegen „gewaltsamer Kastration der CDU“ nach Stockach zitiert. Die Angeklagte hat der reinen Männerriege vor ihr sofort in gleicher Münze zurückgezahlt: Ach je, die bedrohte Vormacht, die Männerbündler! Wie in ihrer Partei. „Man weiß nicht, was schlimmer ist – dass sie’s versuchen oder dass sie jedes Mal an einer Frau scheitern.“

Der Saal – speziell die weibliche Hälfte – lachte und staunte. Um die Ecke hat Wolfgang Schäuble seinen Wahlkreis. Auch sonst wünschten sich im Südwesten viele Friedrich Merz zurück. Und jetzt spottet diese Frau über den Unterlegenen und über den örtlichen CDU-Mann in einem Aufwasch gleich mit. Den hat bei der Landtagswahl ebenfalls eine Frau besiegt, eine Grüne: „Ja da kann er ja fast eine Selbsthilfegruppe mit Friedrich Merz aufmachen!“ Tusch.

Sollten in der Jahnhalle ein paar Reaktionäre sitzen, wäre jetzt ein guter Moment, um beleidigt aufzustehen. Aber der örtliche CDU-Mann lacht und, soweit man das im Fernsehen hinter seiner Maske erkennt, offenbar von Herzen. Die Frauen biegen sich vor Vergnügen. Die traut sich ja was! Die Sache mit dieser Anbiederung ist also offenbar ein wenig komplizierter.

Drei Monate ist Kramp-Karrenbauer jetzt Vorsitzende der größten Partei im Land. Der Sieg beim Hamburger Parteitag war knapp. Niemand hätte es ihr verdenken können, wenn sie danach erst einmal vorsichtig vom verglasten Obergeschoss des Konrad-Adenauer-Hauses aus die Kräfteverhältnisse gepeilt hätte. Die CDU kennt das ja auch nicht mehr anders. Schon bei Helmut Kohl galt „Aussitzen“ als Markenzeichen. Angela Merkels Blitzwenden irritierten die Partei doppelt, weil sie dem Gewohnten widersprachen.

tagesspiegel


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