Greift Kramp-Karrenbauer vorzeitig nach dem Kanzleramt?

  12 März 2019    Gelesen: 749
Greift Kramp-Karrenbauer vorzeitig nach dem Kanzleramt?

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bringt die Partei und sich mit neuen Tönen ins Gespräch. Manche sehen sie vor einem schnellen Wechsel nach oben.

Wenn Kevin Kühnert und Alexander Mitsch eine politische Debatte dominieren, ist das eigentlich ein sicheres Zeichen für einen Sturm im Wasserglas. Der Juso-Chef und der Vorsitzende der Werte-Union stehen in ihren Parteien für Extreme. Kühnert wünscht sich eine außerparlamentarische SPD auf Linkskurs, Mitsch und seine kleine Truppe von Ultrakonservativen bilden den rechten Rand der CDU. Der eine wie der andere mag Angela Merkel nicht. Mitsch will die Kanzlerin möglichst auf der Stelle durch die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ersetzt sehen. Kühnert hingegen hat plötzlich seine Liebe zum Status quo entdeckt: Merkel vor der Zeit weg – nein danke!

Das klingt nach verspätetem Karnevalsscherz, doch steckt ein ernster Kern dahinter. Der Wellengang im Wasserglas markiert den nervösen Zustand, in dem sich die Koalitionäre ein Jahr nach dem Start ihrer Regierung befinden. Am Donnerstag jährt sich Merkels vierte Kanzlerwahl im Bundestag. Doch seit ihrem Verzicht auf den CDU-Vorsitz gilt es vielen als ausgemachte Sache, dass sie nicht mehr bis zum regulären Ende ihrer Amtszeit 2021 im Kanzleramt bleibt.

Seit die neue Parteichefin Kramp-Karrenbauer im Wochentakt neue Töne in der CDU anschlägt, fragen sich viele erst recht, ob die Saarländerin einen zügigen Wechsel vorbereitet. Vom „Werkstattgespräch“ zur Flüchtlingspolitik bis zum Europa-Grundsatzartikel am Wochenende – Kramp-Karrenbauer besetzt systematisch und in hohem Tempo Themenfelder, die bis dahin Domäne der Kanzlerin waren.

Die Neue rechtfertigt ihr Vorgehen mit aufziehenden Wahlkämpfen und der stärkeren Rolle, die sie der Partei im Wettrennen um den Vorsitz versprochen hat. In der Sache sind die Unterschiede zu Merkels Politik und Positionen tatsächlich oft viel geringer, als von interessierter Seite hineingelesen wird. Die „Asylwende“ etwa, die Konservative feiern, hat längst vorher stattgefunden.

AKK schlägt aber einen anderen Ton an, frei von Merkels alten Kämpfen. Sie geht auf CSU und Konservative so offen zu wie auf den Wirtschaftsflügel. Das Ziel hat sie früh formuliert: Die jahrelang heillos zerstrittene Union wieder geeint und kampagnenfähig zu machen. Es stehen schwere Wahlen an – Europa, dann Brandenburg, Thüringen und Sachsen.

Doch das Misstrauen bleibt, dass Kramp-Karrenbauer zugleich ihre Kanzlerschaft vorbereitet. Selbst in der Union sind es nicht nur Merkel-Hasser, die einen zügigen Machtwechsel befürworten. Auch die Anhänger der neuen Chefin machen sich Gedanken, wie lange sie warten kann, ohne sich im Politikalltag abzunutzen. Und natürlich wäre es für die Union ideal, mit neuer Kanzlerin und Amtsbonus in die nächste Wahl zu ziehen.

Das Problem ist: So einfach ist das mit dem Wechsel nicht. Es ist im Gegenteil richtig schwer. Das Grundgesetz lässt die Auflösung des Bundestags und Neuwahlen nur als allerletztes Mittel zu – eine Reaktion auf die schlechten Erfahrungen aus der Weimarer Republik.

Tatsächlich hat die Verfassung nicht einmal den Kanzler-Rücktritt eingeplant. Geregelt sind nur zwei Wege, um mitten in einer Wahlperiode das Kanzleramt neu zu besetzen: Das konstruktive Misstrauensvotum und die Vertrauensfrage. Der wichtigste Unterschied zwischen beiden Wegen liegt im Initiativrecht: Das Misstrauensvotum beantragt das Parlament, die Vertrauensfrage stellt der Kanzler selbst an seine Unterstützer.

Für das Misstrauensvotum braucht es allerdings – deshalb „konstruktiv“ – eine Kanzlermehrheit für einen Gegenkandidaten. So soll vermieden werden, dass Unzufriedene die Regierung sprengen, ohne eine Alternative zu haben.

Die Vertrauensfrage wiederum ist eigentlich gedacht als schärfstes Instrument des Kanzlers, meuternde Truppen zum Gehorsam zu zwingen. Doch schon Brandt und Kohl entdeckten, dass sich ein Schleichweg zur Neuwahl eröffnet: als „unechte“ Vertrauensfrage in der Absicht, sie zu verlieren. Zuletzt nutzte Gerhard Schröder den Trick.

Der Haken dabei ist wiederum, dass der Bundespräsident mitspielen muss. Nur wenn das Parlament mit Kanzlermehrheit einen Neuen oder eine Neue wählt, muss das Staatsoberhaupt ihn ernennen. Nach verlorener Vertrauensfrage kann der Bundespräsident Neuwahlen ansetzen – er muss aber nicht, sondern kann den Unterlegenen einfach weiter dienstverpflichten. Und so betont am Staats- und Verfassungsrecht orientiert wie Frank-Walter Steinmeier sich nach der Bundestagswahl verhalten hat, mag niemand darauf setzen, dass der sich ein unechtes Vertrauensvotum bieten ließe.

In diesem engen verfassungsrechtlichen Regelwerk bleibt für einen gezielten Personalwechsel im Kanzleramt kaum Raum. Nur so erklärt sich, weshalb SPD- Leute aus der zweiten Reihe sich gerade lautstark bemühen, Kramp-Karrenbauer einen der wenigen legalen Wege zuzusperren. Der sähe so aus, dass Merkel sich für amtsmüde erklärt und die bestehende Koalition die CDU-Chefin zur neuen Kanzlerin wählt – sozusagen ein konstruktives Misstrauensvotum ohne Misstrauen.

Übermäßig realistisch war das noch nie, auch ohne dass einer wie der SPD-Mann Johannes Kahrs für den Fall mit „Amok“ droht, dass die Union diese Situation herbeiführen würde. Denn warum sollten die Sozialdemokraten der Konkurrenz den Startvorteil für die nächste Wahl freiwillig gewähren? Freilich gibt es quer durch den Bundestag durchaus Strategen, die sich die Frage stellen, ob die SPD denn wirklich Nein sagen könnte. Bei Umfragewerten um die 17 Prozent Neuwahlen in Kauf zu nehmen wäre womöglich das größere Risiko.

Die zweite reguläre Möglichkeit, vorzeitig das Amt zu übernehmen, könnte wieder über ein Misstrauensvotum ohne Misstrauen führen – nur diesmal mit neuen Partnern. Helmut Kohl hat das Modell 1982 vorgeführt, als sich die FDP zum Partnerwechsel von Helmut Schmidts SPD zur CDU/CSU entschloss. Theoretisch stünden neue Mehrheiten bereit. Und wenn man hört und liest, wie Christian Lindner neuerdings wieder tagtäglich in irgendeinem Interview versichert, dass er mit seiner FDP diesmal zum Regieren bereit wäre, könnte glatt auf den Gedanken kommen, Jamaika II stehe direkt vor der Tür.

Nur braucht es dafür drei. Und die Grünen rücken nicht nur deshalb in letzter Zeit wieder etwas auf Distanz zur CDU, weil ihnen programmatisch nicht gefallen kann, wie Kramp-Karrenbauer sich um die konservativen Teile der Union bemüht. Auch sonst erscheint ein fliegender Regierungswechsel aus ihrer Sicht wenig attraktiv. Ihre Umfragewerte liegen gut doppelt so hoch wie ihr 8,9-Prozent-Wahlergebnis 2017. In einem Jamaika-Bund wären sie trotzdem nur Dritte – die FDP kam vor zwei Jahren auf 9,2 Prozent. Der Vizekanzler hieße Lindner und nicht Robert Habeck.

tagesspiegel


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