Sie stehen in Reih und Glied am Gleis 1. Junge Soldaten in grünen Uniformen, Kadetten in blauen. Und Kinder in sandfarbener Kleidung und roten Mützen der "Junarmija", der "Jungen Armee". "Gerühmt sei das Land! Wir sind stolz auf dich!", singen sie. Vorne salutiert Generaloberst Alexander Lapin, er steht während der Hymne auf einem der Waggons. Mit dabei ein orthodoxer und ein islamischer Würdenträger, Veteranen, Jugendlichen und Politiker.
Es hat etwas gedauert, bis der Soldat den Zug besteigt, der am Mittag in den Bahnhof von Tscheljabinsk im Südural gerollt ist. Das Banner mit Säulenmonumenten aus Palmyra, vor dem er nun strammsteht, rutschte immer wieder von einem der Stahlpfosten. Auf dem Bahnsteig befanden sich nicht alle da, wo sie nach Meinung eines Soldaten mit mehreren Sternen auf der Schulterklappe stehen sollten.
"Zurück, aber bitte zerdrücken sie nicht die Kinder", ruft er in die Menge. Denn für die Kinder mache man das schließlich alles, damit sie nicht nur Computerspiele, sondern die Realität anschauten, wie es der Generaloberst ausdrückt. Alles soll perfekt sein in Tscheljabinsk. Aus Jekaterinburg, dem Hauptstandort der Armee in der Region, ist auch extra ein Militär angereist. Er soll der SPIEGEL-ONLINE-Korrespondentin "bei der Arbeit zur Seite stehen", wie er sagt.
"Syrische Wende" heißt der Zug des russischen Verteidigungsministeriums. 18 Waggons ist er lang, 500 "Trophäen", angeblich erbeutet von den Terroristen in Syrien, werden der Armee zufolge ausgestellt: darunter ein Panzer, Geländewagen, das "Dschihad-Mobil" eines Selbstmordattentäters, Transporter, Granatwerfer, selbstgebaute Drohnen, Gewehre, die Rekonstruktion einer Chlorgasanlage.
Seit Ende Februar ist der Zug auf Order von Präsident Waldimir Putin unterwegs. "Die mobile patriotische Aktion", wie eine Moderatorin den Zug in der Bahnhofshalle nach dem Tusch einer Militärkapelle ankündigt, startete in Moskau. In Etappen fuhr er in den Süden auf die von Russland besetzte Krim, nun rollt er ostwärts Richtung Wladiwostok.
Der Sonderzug soll Russland das zurückgeben, was zuletzt etwas verloren gegangen scheint: Stolz. Stadt um Stadt soll der Patriotismus gestärkt werden, der das Land mit seinen elf Zeitzonen und 146 Millionen Menschen nach dem Willen Putins zusammenhält.
Es ist eine Zehntausende Kilometer lange Tour durch mehr als 60 Städte, die Anfang Mai schließlich zum Tag des Sieges wieder in Moskau endet. "Den Versuch einer neuen Militarisierungswelle" nennt das der kremlkritische Militärexperte Alexander Golz.
Die patriotische Stimmung ist vor dem fünften Jahrestag der Krim-Annexion, die Moskau als "Wiedereingliederung" diese Woche feiert, merklich abgeflaut. Doch ob Syrien die patriotische Wende bringen kann, ist fraglich. Den Krieg verstehen viele nicht - zu weit weg, zu kompliziert erscheint er und will kein Ende nehmen. Dabei begann die russische Operation schon Ende September 2015 und kostet Milliarden Rubel. Putin erklärte 2018 den Sieg über die Terroristen, auch damals verkündete er den Abzug russischer Truppen. Doch noch immer sind sie im Einsatz, wie viele, ist unklar.
spiegel
Tags: