Wagenknecht: Politiker dürfen nicht klagen

  18 März 2019    Gelesen: 688
Wagenknecht: Politiker dürfen nicht klagen

Sahra Wagenknecht will sich aus der Spitzenpolitik zurückziehen - ihr ist der Dauerstress mittlerweile zu viel. Bei "Anne Will" wirkt sie entspannt und ausgeruht und stürzt sich in eine Debatte, zu der auch Ex-Minister de Maizière viel beizutragen hat.

Vor einer Woche ließ Sahra Wagenknecht eine kleine Bombe platzen - sie kündigte ihren Rückzug von der Spitze der Linken-Fraktion und ihrer Bewegung "Aufstehen" an. Die Gründe: Überlastung, Stress, die Gesundheit. Nun die nächste Überraschung: Sie saß am Sonntagabend gleich wieder in der größten Talk-Show des Landes, bei "Anne Will". Doch dort gehörte die Linken-Politikerin auch hin, denn die Sendung dreht sich um die Fragen, die Wagenknecht selbst aufgeworfen hatte. Ist der Preis, den Politiker zahlen zu hoch? Nimmt der Stress gar in der gesamten Arbeitswelt überhand?

Dazu hatte Anne Will den Psychiater und Resilienzforscher Klaus Lieb eingeladen, den Krankenpfleger und Buchautor Alexander Jorde sowie die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Katja Suding. Und dann war da noch der vielleicht perfekte Gast, da er sich aus Überlastung niemals zurückgezogen hätte: Thomas de Maizière, langjähriger Minister unter Merkel, der mehrmals klaglos das Ressort gewechselt hatte, bis er schließlich sein Amt ganz aufgeben musste. Seine Haare sahen etwas grauer aus als vor anderthalb Jahren, dafür wirkte er erfrischt und gut gelaunt.

Doch die ersten zehn Minuten gehörten Sahra Wagenknecht, mit der Will zum Auftakt der Sendung ein Einzelinterview führte. "Die Frage ist, wie viel bewegt man noch, wenn man innerlich immer ausgebrannter ist?", sagte Wagenknecht. Sie hatte sich aber erkennbar vorgenommen, nicht zu sehr das eigene Leiden in den Vordergrund zu stellen. Sie verwies darauf, dass es einfache Arbeitnehmer viel schwerer hätten als sie, weil sie ständig mit der Angst vor dem Absturz leben müssten. Will hakte nach, denn da war ja auch noch der Dauerstreit in Wagenknechts Partei mit dem Vorstand um Bernd Riexinger und Katja Kipping. "Ich will jetzt nicht nachtreten. Es gab Konflikte, das ist bekannt, aber es nur darauf zu reduzieren, wäre auch nicht richtig."

De Maizière: Vielleicht war es ganz gut so

An dieser Stelle holte Will De Maizière ins Boot und fragte ihn, ob er jemals an den Punkt gekommen sei, an dem er nicht mehr konnte. De Maizière erzählte von seinen Belastungsproben in seiner Zeit als Minister - die Flüchtlingskrise, Terroranschläge, Beerdigungen gefallener Soldaten, stundenlange Befragungen in Untersuchungsausschüssen. Situationen also, in die Oppositionspolitiker gar nicht erst kommen. Belastung ja, Überlastung nein, so könnte man seine Antwort zusammenfassen.

Der CDU-Politiker reagierte entspannt und ausgeruht auf Fragen nach seinem abrupten Karriereende. Ja, da habe ein "Verhandlungsführer das Wasser nicht halten können", sagte er, gemeint war Horst Seehofer, der über die Presse verbreitet hatte, dass er De Maizières Nachfolger werde. Die Kanzlerin habe ihn aber danach sofort angerufen, sei mit ihm essen gegangen und man habe sich ausgesprochen, sagte De Maizière. Mit ein paar Monaten Abstand sei es vielleicht ganz gut so gewesen. Er habe seine "Alltagstauglichkeit" wiederherstellen können. Die Notwendigkeit habe er bemerkt, als er am Flughafen seine Kosmetika nicht in kleine Plastikbeutel gepackt hatte - "obwohl ich die Regel selbst beschlossen hatte."

Wie De Maizière das Ende seiner Laufbahn wegsteckte, wirkte wie Anschauungsunterricht für den Resilienzforscher Klaus Lieb. Bei Resilienz gehe es darum, Rückschläge zu verarbeiten, sie ins Positive zu wenden und weiterzumachen, wenn es nicht läuft wie gewünscht. Es sei aber nur ein Faktor, wie man selbst die Situation bewertet. Die andere Frage betreffe die Arbeitsverhältnisse. Die müssten so sein, dass man die Anforderungen überhaupt bewältigen könne. Es müsse genug Zeit geben, die Akkus wieder aufzuladen.

Jorde zählt Pflege-Probleme auf

Dazu konnte Alexander Jorde eine Menge erzählen. Der Auszubildende in der Krankenpflege erlangte im vergangenen Bundestagswahlkampf Bekanntheit, als er in einer Sendung Kanzlerin Merkel eloquent über Missstände im Gesundheitswesen berichtete. Auch jetzt brachte er viele Probleme auf den Punkt: Pflegende dürfen laut Tarifvertrag zwölf Tage am Stück arbeiten und dabei munter zwischen drei Schichten hin und her wechseln. So sei es möglich, dass jemand an einem Tag bis 21 Uhr arbeite und am nächsten schon um 6 wieder auf der Matte stehen müsse. Da sei es nicht möglich, ausreichend zu regenerieren. Ein Einspielfilm zeigte, wie hart Krankenschwestern mitunter schuften müssen - und dass sich die Krankmeldungen wegen psychischer Belastungen in den vergangenen Jahren vervielfacht haben.

Der Druck, den die Pfleger spüren, hat Gründe - der Personalmangel ist einer davon. Ein anderer ist aber auch der Zwang von Krankenhäusern und Pflegeheimen, Gewinne zu erwirtschaften. Für das Personal bedeutet das oft, immer mehr in immer kürzerer Zeit zu schaffen. FDP-Politikerin Suding wollte ganz schnell darüber hinweg gehen, doch Will ließ sie nicht so schnell vom Haken. Sie wollte wissen, ob die Privatisierung von Krankenhäusern nicht ein Fehler war - etwas das voll und ganz der FDP-Linie entsprach. Suding wich weiter aus, griff stattdessen Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU an, forderte, der müsse mehr tun und verwies auf den Personalmangel. Der kritische Krankenpfleger Jorde, übrigens SPD-Mitglied, war auch hier klarer: "Dass Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften müssen, ist der totale Fehlanreiz", meinte er.

Was die Pflege betrifft, legte die Diskussion die Antwort auf die Ursprungsfrage der Sendung nahe - ja, das ist zu viel, was die Beschäftigten da schultern müssen. Und in der Politik? Da waren sich die Linken-Politikerin und der CDU-Mann ausnahmsweise mal einig - nein, da ist es nicht so. Er habe zwar während der Flüchtlingskrise mit 40 Grad Fieber im Bett gelegen, sich dann aber aufgerappelt, "weil die Aufgabe in den Vordergrund rückte", sagte De Maizière. Aber man mache das freiwillig und überdies fühle sich auch manch einer bedeutend, das Amt schmeichele der Eitelkeit. Wagenknecht hatte auf einem Parteitag sogar mal eine Torte ins Gesicht geschmiert bekommen - doch auch solche Momente müsse man hinnehmen, meinte sie. Wenn man in die Politik gehe, habe man immer noch die Wahl, ob man in die erste Reihe geht. Da dürfe man nicht klagen.

Quelle: n-tv.de


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