Ein Interview mit Prof. Dr. Timo Braun, Wirtschaftswissenschaftler und Immobilienexperte an der Freien Universität Berlin.
Herr Prof. Braun, das Thema Wohnungsnot und hohe Mieten steht wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Immer mehr Menschen gehen gegen Immobilienfirmen und steigende Wohnkosten auf die Straße. Wie angespannt ist die Immobilien-Lage in Deutschland tatsächlich?
Wir können über die letzten Jahre sehr deutlich beobachten, dass sich der Markt für Mietimmobilien sehr stark angespannt hat. Das trifft natürlich insbesondere die Metropolregionen. Also vor allem München, Stuttgart, Frankfurt und Berlin. Wobei Berlin ein Sonderfall ist, weil wir von einem vergleichsweise geringen Niveau gestartet sind, aber dafür sind die relativen Wachstumsraten bei diesen Preissteigerungen sehr hoch.
In Berlin läuft aktuell das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co enteignen“. Linke und auch Grüne im Bundestag halten das in letzter Konsequenz für angebracht. Wie wirksam könnte dieses Mittel sein?
Ich finde es erst einmal sehr erstrebenswert und sehr gut, dass überhaupt so eine Mobilisierung stattfindet. Dass es zunehmend einen gesellschaftlichen Diskurs darüber gibt, wie man von staatlicher Seite vielleicht auch anderweitig bei dieser Mietpreisentwicklung intervenieren kann. Was den konkreten Sinn und Zweck dieser Initiative betrifft, da bin ich ehrlich gesagt sehr skeptisch. Denn Enteignung wird niemandem so richtig weiterhelfen.
Diejenigen, die davon profitieren, das sind vielleicht die, die im Moment Mieter bei Deutsche Wohnen und Co sind. Aber wer aus einer Enteignung eindeutig erst einmal einen Nachteil ziehen wird, ist der Steuerzahler. Enteignen bedeutet in Deutschland ja nicht, dass man solche Gesellschaften bestraft und denen diese Immobilien einfach wegnehmen könnte. Sondern Enteignung bedeutet, man muss eine adäquate Gegenleistung geben und diese Immobilien sehr teuer zurückkaufen. Das würde massiv auf den Berliner Haushalt schlagen und würde uns Steuerzahler über viele Jahrzehnte treffen.
Nun gibt es auch Parteien, wie AfD oder CDU, die allein bei dem Gedanken an Enteignungen an Sozialismus und die DDR denken. Dabei wird in Deutschland ja von jeher zum Beispiel bei dem Bau von Autobahnen oder dem Tagebau enteignet…
Das Thema Enteignung hat grundsätzlich schon seine Bewandtnis. Und ich würde auch nicht auf die Idee kommen, komplett darauf zu verzichten. Nur bin ich skeptisch, ob es gerade in dieser Situation das adäquate Mittel ist. Aus meiner Sicht ist der aktuelle Markt so gestaltet, dass man sehr viel Geld in die Hand nehmen müsste, um diese Wohnungen zurückzukaufen. Und ich vermute, dass wir uns auf dem Immobilienmarkt einem Höhepunkt annähern: Berlin würde diese Wohnungen dann teuer kaufen und könnte dann niemals mehr dieses Preisniveau, was es jetzt aufbringen müsste, in Zukunft halten. Es würde wahrscheinlich sogar an Wert verlieren.
Seitens der GroKo heißt es, Enteignungen würden nicht mehr Wohnraum schaffen. Stattdessen müsste viel mehr gebaut werden, auch soll mehr Bauland zur Verfügung gestellt werden. Nun sind viele Baufirmen auf Jahre ausgelastet und neues Bauland ist knapp. Was halten Sie von dieser Forderung?
Ich glaube, das ist tatsächlich ein Weg, um den Markt etwas zu entspannen. Sicherlich ist das schwierig, aber ich sehe da noch Potential. Zum Beispiel beim Thema Verdichtung lässt sich sicherlich noch etwas machen. Bei dem Thema Genehmigungsverfahren von Neubauten ist immer noch Potential, diese zu beschleunigen und zu vereinfachen. Beim Thema Bauvorschriften könnte es auch Erleichterungen geben. Und vielleicht sollte man auch Anreize setzen, um die Leute wieder stärker in den ländlichen Raum zu locken. Denn dort ist das Bauland eher vorhanden, es ist auch preiswerter, also warum nicht auch dort stärkere Anreize setzen? Also da sehe ich in der Tat Möglichkeiten, um die Lage zu entspannen.
Was ich hingegen kritisch sehe, ist das Baukindergeld. Denn dadurch steigert man den Anreiz, selbst zu bauen und die Immobiliengesellschaften greifen sozusagen diese Subventionen ab. In dem Moment, wo das Programm von der Bundesregierung aufgelegt wurde, sind auch direkt die Immobilienpreise angezogen. Das Baukindergeld kommt letztlich nicht den Familien zugute, sondern das bleibt bei den Immobiliengesellschaften hängen.
Wir haben jetzt einige Maßnahmen gegen Wohnungsnot besprochen. Einige sind Ihrer Meinung nach sinnvoll, einige eher nicht. Welches Maßnahmenbündel würde also am besten wirken und wohin könnte sich die Immobilienkrise entwickeln, wenn eben nicht gegengesteuert wird?
Ich sehe die Gefahr, auch übereinstimmend mit der Berliner Bürgerinitiative, dass Immobilien in Deutschland zunehmend ins Visier von internationalen Spekulationsgeschäften gekommen sind. Das birgt natürlich die Gefahr, dass sich das weiter hochschaukelt, dass die Preise in einer ähnlichen Dynamik weiter ansteigen werden — sowohl beim Kauf als auch in dessen Folge auch bei den Mieten. Es gibt aber keine einfache Lösung. Ich halte nichts davon zu sagen, wir müssen nur enteignen, oder wir müssen nur dies oder jenes machen. Es brauchen mehrere abgestimmte Aktionen.
Wir müssen einerseits weiter verdichten, also das ausschöpfen, was wir an städtischen Bebauungsmöglichkeiten haben. Wir müssen weiter Anreize setzen, um Leute wieder stärker aufs Land zu ziehen: Zum Beispiel könnten Bundesbehörden anstatt sich immer in Großstädten anzusiedeln aufs Land gehen und Arbeitskräfte dorthin ziehen. Oder wir schaffen zusätzliche steuerliche Anreize für Unternehmen, dass die ihre Geschäftssitze eher im ländlichen Bereich aufbauen. Über solche Anreize kann es gelingen, dass wir mehr Bevölkerung in den ländlichen Raum ziehen. Das ist ein wichtiger Ansatzpunkt. Wovon ich wie gesagt wenig halte, ist die Nachfrage weiter zu stärken: Also wenn wir über Wohnkindergeld oder Ähnliches versuchen, die Nachfrage noch weiter zu erhöhen, wird sich die Situation eher noch verschärfen.
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