Sterbehilfe-Debatte: Hat man Recht auf Tod?

  20 April 2019    Gelesen: 980
 Sterbehilfe-Debatte: Hat man Recht auf Tod?

Diese Woche verhandelt in Karlsruhe das Bundesverfassungsgericht darüber, ob Sterbehilfe als Dienstleistung weiterhin strafbar sein soll. Wer soll im Endeffekt darüber entscheiden, wann ein Leben zu Ende geht?

Totkranke, die unerträgliche Schmerzen erleben, äußern manchmal den Wunsch, nicht künstlich am Leben gehalten zu werden. Doch der Wille des Patienten scheint nicht immer Gesetz zu sein. Sterbewillige sollen ins Ausland fahren, meistens in die Schweiz, falls sie das deutsche Gesetz zum Sterbehilfeverbot umgehen und die Helfer nicht kriminalisieren wollen. „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, steht es in Paragraf 217 des Strafgesetzbuches.

Eine Frage von Leben und Tod

Nun klagen mehrere Kranke und Sterbehilfevereine gegen diesen Paragrafen vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie berufen sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und demgemäß auf das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Ein Leben lang werde man bei jeder Gelegenheit auf den freien Willen verwiesen, aber wenn es um den Tod gehe, sei plötzlich Schluss, argumentieren die Befürworter. Das Recht auf Leben und das Recht auf Selbstbestimmung stehen hier in einem Widerspruch. Was soll prävalieren?

Ärzte, Juristen und Geistliche beschäftigen sich seit langem mit der Frage, ob Sterben wirklich Privatsache ist.

Dura lex, sed lex

Der Sterbewunsch ist eine private Angelegenheit, und solange man bei klarem Verstand ist, soll man das für sich selbst klären. Das war auch die Motivation der Gesetzgeber. Der Bundestag wollte mit dem nun umstrittenen Paragrafen 217 verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten. Das Problem besteht aber in der Formulierung selbst. Was heißt „geschäftsmäßig die Gelegenheit gewähren, verschaffen oder vermitteln?“ Geht es um die kommerziellen Leistungen? Nicht unbedingt, meinen die Juristen, weil dieser Begriff nicht genau definiert ist. Es handelt sich dabei nicht nur um kommerzielles Interesse. „Geschäftsmäßig“ kann auch juristisch bedeuten, dass eine Arztpraxis, ein Verein oder eine Institution Sterbehilfe anbietet, die auf Dauer angelegt ist.

Ärzte fühlen sich in der Grauzone gefangen

Wegen der unklaren Interpretation des Gesetzes befürchten einige Palliativmediziner, sich bei der Betreuung ihrer Patienten strafbar zu machen. Die Ärzte klagen, dass sie sich in der Grauzone gefangen fühlen. Einerseits gibt es Paragraf 217, dem zufolge bis zu drei Jahre Haft drohen, andererseits gibt es Extremfälle, wo eine indirekte Sterbehilfe von Patienten selbst benötigt wird.

Das Gesetz beschneide die Arbeit von Palliativärzten, meint Susanne Vogel aus dem Klinikum Neumarkt im Interview mit dem Bayrischen Rundfunk. „Das sensible Feld in der Gesprächsführung in der Palliativmedizin da in dieser Endlebenssituation braucht ganz viel Vertrauen, und wenn ich dann als Arzt sagen muss: ‚darüber darf ich mit Ihnen nicht reden, weil das Strafgesetz dagegen ist‘, dann stört das meine ärztliche Tätigkeit.“

Der Berliner Arzt Michael de Ridder, Autor des Buches „Abschied vom Leben“ hält das Gesetz auch für schlecht gemacht. „Ich klage gegen Paragraf 217, weil ich der Meinung bin, dass jedem Menschen das Recht zugestanden werden sollte, sein Leben eigenverantwortlich so zu beenden, wie es seiner Vorstellung von sich selbst entspricht“, sagte er gegenüber dem Spiegel.

Sterbehilfe aus kirchlicher Sicht

Die katholische und die evangelische Kirche treten gemeinsam gegen jede Form von aktiver Sterbehilfe auf. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, plädierte dafür, „dass wir kein Leben aktiv beenden“. Stattdessen solle man sich auf weitere Verbesserungen in der Palliativversorgung fokussieren. In diesem Sinne soll es um Hilfe beim Sterben, nicht um Hilfe zum Sterben gehen.

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, warnte davor, dass es mit der Zulassung organisierter Suizidbeihilfe durch Sterbehilfevereine zu einer gesellschaftlichen Normalität werden könne. „Durch das Angebot eines assistierten Suizids wird das Gefühl verstärkt, niemandem zur Last fallen zu dürfen – erst recht, wenn die Beihilfe zu einer rechtlich und gesellschaftlich akzeptierten Option wird“, steht es in der offiziellen Erklärung der ZdK.

Diese Aussagen sorgten im Netz für Empörung.

Michael Schmidt-Salomon, deutscher religions- und kulturkritischer Publizist, kritisierte auch die Position der Kirche vor dem Bundesverfassungsgericht aufs Schärfste: „Würde des Einzelnen ist dadurch bestimmt, dass der Einzelne über seine Würde bestimmt – nicht der Staat oder die Kirche. Deshalb muss der Rechtsstaat dafür sorgen, dass die Pluralität der Würdedefinitionen der Bürgerinnen und Bürger in der Gesetzgebung berücksichtigt wird. So muss der Staat es einem strenggläubigen Katholiken ermöglichen, den Überzeugungen von Papst Johannes Paul II. zu folgen, der meinte, das Leben sei ein „Geschenk Gottes”, über das der Mensch nicht verfügen dürfe. Ebenso muss der Gesetzgeber es aber auch einem Anhänger der Philosophie Friedrich Nietzsches erlauben, ‚frei zum Tode und frei im Tode‘ zu sein“.

Zum Sterben in die Schweiz

Die Schweiz wurde inzwischen die Destination Nummer eins für Sterbewillige. In der berühmten amerikanischen melodramatischen Romanze „Ein ganzes halbes Jahr“ begibt sich der Protagonist in ein Schweizer Sterbezentrum, um dort seinem Leben als Querschnittgelähmter ein Ende zu setzen.

In der Schweiz darf Beihilfe zum Tod erfolgen, wenn keine selbstsüchtigen Motive dahinterstecken. Zahlreiche Sterbehilfe-Organisationen existieren, von denen Exit mit 120.000 Mitgliedern die größte ist. Exit nimmt allerdings nur Schweizer Bürger oder Personen mit Schweizer Wohnsitz auf. Die zweitgrößte Organisation ist Dignitas, die auch Ausländer betreut. Laut einer Studie von 2014 kamen die meisten Sterbewilligen aus Deutschland.

Die Tätigkeit von Dignitas wurde aber von den deutschen führenden Politikern als falsch eingeschätzt. „Dignitas schlägt den völlig falschen Weg ein“, erklärte noch im Jahr 2005 die damalige niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen. „Dass diese Gesellschaft sich auch noch Dignitas, also Würde, nennt, ist der Gipfel der Unverschämtheit“, unterstrich auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Sogar in der Schweiz kam es zu Protesten. Im Kanton Zürich sorgte die Initiative „Nein zum Sterbetourismus im Kanton Zürich!“ für eine hitzige Debatte. Die Initiative wurde mit einem hohen Anteil an Gegenstimmen abgelehnt.

„Die Gegner von Wahl-Freiheit am Lebensende können aus dogmatischen (oft religiösen) Gründen, persönlichem Machtstreben sowie finanziellen Interessen nicht akzeptieren, dass ein Mensch sich nicht bevormunden lassen, sondern über sein Schicksal selber entscheiden will. Freiheit und Menschenrechte müssen (leider) nicht nur erkämpft sondern auch immer wieder verteidigt werden“, antwortete Dignitas auf Anfrage von Sputnik. „Es gibt seit vielen Jahren diverse Umfragen und die Resultate sind stets mehrheitlich pro Wahl-Freiheit, pro Selbstbestimmung im Leben und am Lebensende“.

Bevor Paragraf 217 im Dezember 2015 in Kraft trat, hatte der Verein Sterbehilfe Deutschland nahezu identisch wie die Schweizer Sterbehilfe-Organisationen gearbeitet. Man prüfte den Verstand der Patienten und die Frage, welche Krankheiten überhaupt bestehen, ob es Heilungsmöglichkeiten gibt und ob der Sterbewunsch unabänderlich ist. Waren alle Fragen endgültig geklärt, folgte die Sterbehilfe. Nach der Verabschiedung des Gesetzes war die Tätigkeit des Vereins unmöglich.

Nun wird das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob Ärzte, Vereine und Institutionen durch die Uneindeutigkeit im Gesetz behindert sind. Die Frage, wer darüber entscheiden soll, wann ein Leben zu Ende geht, scheint aber noch lange unbeantwortet zu bleiben.

sputniknews


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