Die Existenz macht plötzlich Sinn

  22 April 2019    Gelesen: 549
Die Existenz macht plötzlich Sinn

Trotz hochgelobter Bücher gelang Gregor Hens nie der große Erfolg. Das könnte sich nun ändern: "Missouri" erzählt klug vom Aufbruch eines jungen Manns - und von einem Liebes-Dreieck, bei dem keiner gewinnt.

Als 2002 sein Romandebüt "Himmelssturz" erschien, feierte die Kritik Gregor Hens' Buch spontan als "meisterhaftes Kunstwerk über die Vergänglichkeit der Liebe". Die "Literarische Welt" kürte das Werk gar "zum Debüt des Jahres". Hens, 1965 in Köln geboren und inzwischen in Berlin zuhause, hatte damals die USA als Erzählhintergrund für seinen Roman gewählt. Große Teile seines Lebens hatte er selbst in Amerikas mittlerem Westen zugebracht.

Sein Buch entrollte die Geschichte eines Hochschulprofessors, dessen Beziehung mit einer umtriebigen Kunsthändlerin ins Schlingern gerät, als eine junge Frau in sein Leben tritt. "Himmelssturz" gab zu großen literarischen Hoffnungen Anlass - doch keines der über die Jahre nachfolgenden Bücher bescherte Hens den von vielen erwarteten Durchbruch. Nicht die makellose deutsch-amerikanische Geschichtensammlung "Transfer-Lounge" von 2003. Nicht der Roman "In diesem neuen Licht" (2006). Und auch nicht der 2011 erschienene, in diverse Sprachen übersetzte Band "Nikotin".

Das verwundert, ist hier doch ein klassisch-realistischer Erzähler am Werk, dessen Bücher mit allem wuchern, was gut verkäufliche Literatur ausmacht: Klug gebaute, ihren Lesern bisweilen ungeniert an die Herzen greifende Geschichten. Dazu plastisch gezeichnete Charaktere, die man sich spontan auf der Kinoleinwand vorstellen kann.

So kehrt Hens nun, 17 Jahre nach seinem seinerzeit vielgepriesenen Debüt, mit seinem neuen Roman nach Amerika zurück. Dorthin, wo für ihn einst alles begann. Und vieles spricht dafür, dass ihm damit endlich der große Wurf gelungen sein könnte. Denn "Missouri" darf als sein reifstes und zweifellos bestes Buch bezeichnet werden.

Darin breitet er die spürbar autobiografisch motivierte Geschichte des jungen Assistant Teachers Karl aus, der - ganz wie sein Schöpfer es einst vor ihm tat - Deutschland mit gerade mal 23 verlässt, um in den USA ein anderes, intensiveres Leben zu führen, als es ihm die Heimat Köln bislang bieten konnte. Und als ihm in Missouri die charismatische Studentin Stella begegnet, mit der er eine Liebesbeziehung beginnt, macht die neue US-Existenz für Karl plötzlich Sinn.

Packend entspinnt Gregor Hens seine zweite amerikanische Liebesgeschichte. Und lange scheint das Glück zwischen dem Deutschen und der über ganz besondere Fähigkeiten verfügenden jungen Amerikanerin unantastbar. Bis Karl in den Hügeln Missouris Stellas Mutter Janet gegenüber steht - und darüber seine Beziehung zu Stella aus der Balance zu gerät. Janet verstrickt Karl in ein erotisches Spiel. "Was wollte sie von mir? Hatte ich etwas getan, um ihrem Verhalten Vorschub zu leisten? Konnte es eine groteskere Versuchung geben?"

Eine Zeitlang vermag Karl es noch, sich Janets Avancen zu entziehen. Bis er ihr schließlich doch nachgibt - und darüber Stella verliert. "Sie hatte sich genommen, was sie nehmen wollte, sie hatte mich genötigt und verführt, mich, den Freund ihrer eigenen Tochter. Es gab nur eine Möglichkeit: Verschwinden."

Karl flieht nach Berkeley, wo er an der dortigen Universität eine neue Stelle antritt - und die Verbindung zu Stella sich endgültig löst. Souverän bewahrt Hens seinen Stoff davor, ins allzu Gefühlige oder bloß verschleiert Epigonale abzugleiten. Denn die Erzählung vom jungen Mann, der die Tochter liebt und am Ende mit der Mutter betrügt, ist an sich auserzählt - und spätestens seit Mike Nichols Leinwand-Klassiker "Die Reifeprüfung" aus dem Jahr 1967 vermintes Gebiet.

Doch indem er seinen Stoff zur Geschichte eines umfassend gewordenen Zweifels steigert, gewinnt Hens ihr etwas Neues ab. So erzählt "Missouri" von Menschen, die sich jeder auf seine Weise zu retten versuchen: Karl, der emotional an seine Grenzen gestoßen ist und verschwindet. Ebenso wie Janet, die in der Liaison mit ihm das Scheitern ihrer Ehe zu vergessen sucht. Und auch Stella, die schnell in einer neuen Beziehung abtaucht, wird noch lange gefangen bleiben in ihren Erinnerungen.

Am Ende nimmt der Ich-Erzähler dieses mitreißenden Romans Zuflucht in der Beschreibung seiner Geschichte, um darüber Distanz zu ihr zu gewinnen. Das ist literarisch gesehen nicht eben neu - in seiner psychologischen Genauigkeit hier aber sehr überzeugend.

spiegel


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