Volkswagen-Chef Herbert Diess bläst der Wind derzeit aus allen Richtungen ins Gesicht. Der einstige BMW-Manager muss sich nicht erst seit Kurzem Kritik des Betriebsrats an seinem Sparkurs bei dem Wolfsburger Autobauer erwehren. Auch die Politik und die vielen geschädigten Diesel-Kunden sparen nicht mit Vorwürfen. Doch inzwischen ist Insidern zufolge auch sein Führungsstil auf Seiten der Familien Piech und Porsche nicht mehr unumstritten, womit seine Machtbasis in Gefahr geraten könnte.
"Diess hat ein Talent, die Leute zu demotivieren. Er bringt die Menschen nicht hinter sich", sagte eine Person mit Kenntnis der Situation. Offiziell halten die Familien zwar weiter zu dem Konzernchef, den sie erst vor gut einem Jahr aufs Schild hoben. Doch das Murren nimmt zu.
Diess geht mit hohem Tempo vor, um den einst als behäbig geltenden Riesenkonzern für die Zukunft fit zu machen. Gleich nach Amtsantritt verordnete er Volkswagen den größten Umbau in der Geschichte. Die acht Pkw-Marken bündelte er in drei Gruppen, um Synergien besser heben zu können. Nun will er den weltgrößten Autobauer mit hohen Investitionen in die Elektromobilität steuern und setzt dabei alles auf eine Karte. Binnen zehn Jahren soll der Konzern rund 22 Millionen Elektroautos produzieren, fast 70 neue E-Modelle sollen auf den Markt kommen.
Politik und die Konkurrenten BMW und Daimler setzte Diess durch seine Forderung unter Druck, alle Kräfte auf die E-Mobilität zu konzentrieren - und erfuhr prompt auch von dort Widerstand. In der Bundesregierung ist die Vorfahrt für E-Mobilität umstritten: Das Umweltministerium setzt klar auf diese Karte, das Verkehrsministerium will dem Verbrenner mit Wasser- oder Biokraftstoffen noch eine Chance geben. Das Wirtschaftsressort jedenfalls will die Kaufprämie für E-Autos einem Entwurf zufolge weder erhöhen noch einen Zuschuss für die Installation von Ladesäulen gewähren. Geplant ist lediglich eine Verlängerung auf jetzigem Niveau.
Davon will sich Diess aber nicht aufhalten lassen. Er will Volkswagen zum größten Elektroauto-Produzenten machen. Doch an seinem jüngst angekündigten neuen Sparplan hat sich nun neuer Streit entzündet. Der Betriebsrat stellt sich quer und will weiteren Personalabbau verhindern. Auch das Land Niedersachsen, zweitgrößter VW-Eigner nach der Familienholding Porsche SE, ist mit dem Vorgehen von Diess nicht immer einverstanden. Ministerpräsident Stephan Weil kritisierte unlängst die öffentliche Diskussion über einen weiteren Arbeitsplatzabbau, bevor es dafür intern abgestimmte Planungen gebe.
Hinzu kommen Verzögerungen beim Anlauf des neuen Golf, wofür Diess mitverantwortlich gemacht wird. Als Grund werden in Unternehmenskreisen Schwierigkeiten mit der Elektronik genannt. Das wichtigste Modell aus Wolfsburg soll laut "Spiegel" deshalb in diesem Jahr zunächst in kleinerer Stückzahl und mit abgespeckter Technik produziert werden als geplant. VW hält dem entgegen, Anlaufschwierigkeiten bei neuen Modellen seien nicht ungewöhnlich.
Kritiker bemängeln zudem, Diess trete vor allem mit Ankündigungen über Kooperationen etwa mit Ford, Microsoft und Siemens öffentlich in Erscheinung, sei bei konkreten Problemen aber nicht greifbar. "Er schiebt vieles an, in der Umsetzung ist er jedoch nicht existent", sagte eine Person mit Kenntnis der Situation. Diess delegiere die Verantwortung für Projekte, um sich selbst vor allem der Strategie zu widmen. So interpretieren allerdings auch andere Chefs großer Dax-Konzerne ihre Aufgabe.
Der Betriebsrat hat Konzernkennern zufolge einen umfangreichen Fragenkatalog für den Aufsichtsrat angekündigt. Darin werde Diess aufgefordert, dem Kontrollgremium seinen Sparplan zu erläutern und die geplanten Stellenstreichungen zu begründen. "Wir erwarten mit Fakten belegte Antworten", heißt es aus Arbeitnehmerkreisen. Zudem soll Diess das Kontrollgremium über den Stand der Suche nach einem neuen Skoda-Werk in Osteuropa informieren. Die Belegschaft fürchtet, dass Diess eine größere Verlagerung von Arbeit in Niedriglohnländer plant.
Und schließlich soll der Konzernchef erklären, wie weit die Verhandlungen mit Ford über eine Allianz bei selbstfahrenden Autos sind. Außer Ankündigungen habe man hierzu bisher nicht viel gehört, lautet die Kritik.
Nicht zuletzt sorgt auch innerhalb des Konzern das missglückte Interview während der Messe in Shanghai für Kritik, in dem sich Diess uninformiert über die Lage der uigurischen Minderheit in China gezeigt hatte. VW wies die Kritik daran im Anschluss zurück. In der angespannten Lage fallen aber auch ungeschickte Interviewäußerungen ins Gewicht. Das musste bereits Diess' Vorgänger Matthias Müller schmerzvoll erfahren. "Warum ist Diess überhaupt nach China gereist und brockt sich dort die nächste Ungeschicklichkeit ein", wird auf den Fluren der Konzernzentrale gefragt.
Der Messeauftritt gilt bei Kritikern ohnehin als wenig erfolgreich. Denn mitten in die Show platzte die Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen Betrugs gegen Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn und vier weitere ehemalige VW-Manager. Seitdem schrillen in Wolfsburg die Alarmglocken. Mit der Anklage hätten die Ermittler gezeigt, dass sie "nicht vor großen Namen zurückschrecken", sagte einer der Insider.
Winterkorn müsse nun womöglich auch mit einer Anklage wegen Marktmanipulation rechnen. Dann sei es wahrscheinlich, dass die Staatsanwaltschaft Anklage auch gegen Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch erhebe, gegen die ebenfalls wegen möglicher Verstöße gegen das Wertpapierhandelsgesetz ermittelt wird. Ausgangspunkt der Untersuchungen ist der Verdacht, dass Volkswagen zu spät über den Dieselskandal informierte, durch den Anleger hohe Kursverluste hinnehmen mussten. Pötsch war damals Finanzvorstand. Diess leitete seit Mitte 2015 zunächst die Hauptmarke VW, bevor er im April 2018 an die Konzernspitze aufstieg.
n-tv
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