Wie Abe "schöne Harmonie" anstrebt

  30 April 2019    Gelesen: 870
Wie Abe "schöne Harmonie" anstrebt

Der japanische Kaiser Akihito hat stets die Bedeutung von Frieden betont. Man konnte das auch als Seitenhieb auf Premier Abe verstehen. Der hofft mit dem neuen Kaiser auf eine Zeitenwende unter nationalkonservativen Vorzeichen. Doch Kronprinz Naruhito dürfte eigene Pläne haben.

Selbst für das japanische Kaiserhaus mit seiner angeblich seit 2500 Jahren währenden Erbfolge ist es eine kleine Sensation: Erstmals seit 200 Jahren räumt ein Kaiser vorzeitig seinen Platz. Zum Monatswechsel folgt Naruhito seinem Vater Akihito auf den Thron. Viele Japaner fiebern diesem Moment entgegen. Die einen, weil die Regierung dem gesamten Land zehn Tage Urlaub gewährt, die anderen, weil sie die kaiserliche Familie verehren.

Der 85-Jährige Akihito hat viel für diese Beliebtheit getan. "Als er 1989 den Thron bestiegen hat, erklärte Akihito, dass er ein Kaiserhaus will, das dem Volk nahe ist." Das habe enorm zum Ansehen des Kaiserhauses beigetragen und Sympathien für den Tenno gewonnen, sagt der ehemalige deutsche Botschafter in Japan, Volker Stanzel, im Gespräch mit n-tv.de. Der scheidende Kaiser hat aber auch die Rolle des Kaisertums insgesamt verändert. "Mit Auslandsreisen oder durch die Eröffnung der Olympischen Winterspiele 1998 hat er typische Aufgaben übernommen, wie sie ein Staatsoberhaupt in Deutschland ausfüllt", so Stanzel, der von 2009 bis 2013 die deutsche Botschaft in Tokio leitete.

Laut Verfassung hat der Kaiser keine politische Macht. Er ist nicht einmal das offizielle Staatsoberhaupt, seine Aufgabe wird als "Symbol des Staates und der Einheit des Volkes" definiert. Wie diese Funktion ausgefüllt werden soll, ist in Japan umstritten. Akihito hat sie modern interpretiert, angelehnt an westliche Staatsoberhäupter, die repräsentative Aufgaben erfüllen. Doch damit sind nicht alle zufrieden. National- und ultrakonservative Politiker wie der derzeitige Premier Shinzo Abe wünschen sich etwa einen Kaiser wie in der Vorkriegszeit, als der Tenno als Quasi-Gottheit verehrt wurde und vor allem eine religiöse Funktion hatte. Eine entsprechende Verfassungsänderung fand bisher aber keine Mehrheit.

Doch eine Neudefinition der Rolle des Kaisers ist ohnehin nur einer von vielen Punkten in Abes Plänen. So fordert er etwa auch, Artikel 9 der Verfassung zu streichen, der dem Land kriegerische Aktivitäten verbietet. Eine neue Militärdoktrin beschloss sein Kabinett bereits 2014. Das stand im Gegensatz zum Auftreten Akihitos, der in fast allen seinen Reden das Thema Frieden unterbrachte. Er hat noch selbst erlebt, was Krieg bedeutet: Als Atombomben auf Japan fielen und das Land kapitulierte, war er elf Jahre alt. Als Kaiser äußerte er dann auf Reisen nach China und Südkorea sein Bedauern über die japanischen Kriegsgräuel. Subtil hat er damit politische Zeichen gesetzt, er wurde zum Garanten für die Nachkriegsordnung samt pazifistischer Verfassung.

Orientierung an der Vorkriegsordnung

Abe dagegen will diese Ordnung zumindest ein stückweit auflösen. Ihm schwebt ein Gesellschaftmodell vor, das sich an der Vorkriegsordnung orientiert: "Er würde die Familie als zentrale Einheit des japanischen Staates in den Vordergrund stellen, wie das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist", sagt Stanzel. "Damit würde er eine hierarchischere Gesellschaftsstruktur wiederherstellen: an der Spitze der Tenno, dann die Regierung, dann verschiedene andere Institutionen und als wichtigste Grundlage die Familie mit dem Familienoberhaupt an der Spitze."

Allerdings ist Abe, der seit Ende 2012 durchgehend regiert, kein Ideologe. In den Wahlkämpfen sei es weniger um Verfassungsänderungen gegangen als vielmehr um Wirtschaftsfragen, so Stanzel. Nach seinen Wahlsiegen habe sich Abe immer sehr pragmatisch verhalten. Ein Beispiel ist das jüngst beschlossene Einwanderungsgesetz, das mehr Zuzug von Gastarbeitern aus dem Ausland zulässt. "Das hat Abe in der Vergangenheit sicher nicht mal angedacht, aber es ist erforderlich und deshalb hat er sich das Thema zu Eigen gemacht", sagt Stanzel, der auch Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist.

Erneuerung hat Japan bitter nötig. Zwar brachte die Zeit unter Akihito den in seinem Epochennamen Heisei versprochenen "Frieden überall". Doch gleichzeitig wurde Japan Anfang der 90er-Jahre von wirtschaftlichen Schwierigkeiten erschüttert, die bis heute nicht ganz ausgestanden sind. Später wurde das Land von China als zweitgrößter Wirtschaftsmacht abgelöst. Die Gesellschaft leidet unter der Überalterung, der Wirtschaft fehlen Fachkräfte, zudem gab es verheerende Naturkatastrophen wie das Erdbeben 1995 oder den Tsunami und das Reaktorunglück 2011.

Vom neuen Kaiser erhofft sich Abe eine Zeitenwende, manche Experten sprechen zumindest von einem Aufbruch. Dabei hat Naruhito, der wie sein Vater als bescheiden und zurückhaltend gilt, bereits angedeutet, dass er ebenfalls ein Kaiserhaus haben will, das nah am Volk ist. Gleichzeitig dürfte er versuchen, seine Rolle weiter zu modernisieren und das äußerst strenge Hofprotokoll zu lockern. Als Kronprinz beklagte er einmal, dass der Palast die Persönlichkeit seiner Frau ersticke. Die künftige Kaiserin Masako leidet nach offiziellen Angaben seit ihrer Heirat unter "Anpassungsstörungen". Gemeint sein dürften Depressionen, hervorgerufen durch den hohen Druck des Protokolls und der Erwartung, einen männlichen Thronfolger zu gewähren. 2001 brachte sie eine Tochter zur Welt. Der Druck ließ erst nach, als Naruhitos Bruder und seine Frau einen Sohn bekamen.

"Für das moderne, weltoffene Japan"

Zur Volksnähe dürfte für Naruhito aber auch gehören, sich der Gegenwart anzupassen. Zwar sei der Kaiser ganz fern von der Gestaltung der Politik, sagt Ex-Botschafter Stanzel. "Aber er spiegelt natürlich das wider, was die japanische Gesellschaft ausmacht, auch ihre Hoffnungen." Dies verkörpere der neue Kaiser. Der 1960 geborene Naruhito hat in Oxford studiert, seine drei Jahre jüngere Frau Masako in Harvard und Oxford. Sie ist eine ehemalige Diplomatin, spricht mehrere Sprachen, in Blaubeuren lernte sie etwa Deutsch.

"Ihre Aufgeschlossenheit gegenüber der internationalen Gesellschaft geht noch einmal weit über die Akihitos hinaus", sagt Stanzel. "Der neue Tenno Naruhito steht für das moderne, weltoffene Japan." Er verkörpere die japanische Gesellschaft, so wie sie sich seit der Inthronisierung Akihitos vor 30 Jahren entwickelt und verändert hat. Der neue Kaiser könnte aber auch eigene Akzente setzen. "Naruhitos Themen sind Umwelt und Umweltschutz", so Stanzel. Da könne er sicher Akzente setzen, indem er Forscher und Forschungseinrichtungen besucht oder für seine Reisen aussucht. "Damit kann er zeigen, dass ihm das am Herzen liegt und vielleicht auch dem Land eine Richtung geben."

In gewisser Weise richtungsweisend war zumindest bereits der neue Epochenname, den die Regierung beschlossen hat: Naruhitos Herrschaft steht unter dem Motto Reiwa ("schöne Harmonie"). Dieses entspricht nach den Worten Stanzels dem Tenor, den auch frühere Bezeichnungen für Regierungszeiten der Kaiser hatten. Für auffällig hält er aber zwei Dinge: Da sich japanische Schriftzeichen mit verschiedenen Bedeutungen lesen ließen, könne einerseits das Zeichen "wa" auch für Japan stehen. "'Reiwa' hieße dann also auch 'schönes Japan'."

Diese Formulierung sei auch die Zielsetzung Abes gewesen, als er 2006 erstmals an die Regierung kam: ein schönes Japan zu schaffen, erklärt Stanzel. "Abe hat also in der Bedeutung der Zeichen auch seine eigene Zielsetzung versteckt." Ein zweiter interessanter Punkt sei, dass zum ersten Mal der Epochenname nicht aus klassischen chinesischen Schriften entlehnt ist, sondern aus einer japanischen Gedichtsammlung des 8. Jahrhunderts. "Hier soll der japanische Charakter der Tenno-Dynastie unterstrichen werden. Das ist sicher kein Zufall", sagt Stanzel.

Kein Zufall dürfte auch der erste Staatsgast sein, den Naruhito als Kaiser empfängt: Für Ende Mai haben sich US-Präsident Donald Trump und seine Frau Melania angesagt. Dessen Motto "Make America Great Again" dürfte Abe gefallen - er wünscht sich dasselbe für Japan. Wie schon bei Akihito muss er sich dabei jedoch auf subtile Einmischungen des neuen Kaisers gefasst machen.

Quelle: n-tv.de


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