Wie schlimm ist Kiez-Erfahrung?

  22 Januar 2016    Gelesen: 1074
Wie schlimm ist Kiez-Erfahrung?
Hamburgs neuer Innensenator kennt sich auf dem Kiez gut aus, worüber sich die Opposition lustig macht. Doch das kann für seinen Job nur gut sein, analysiert unser Autor.
Da lachten die CDU-Abgeordneten und auch andere Fraktionen weiter rechts in der Hamburgischen Bürgerschaft klatschten: CDU-Fraktionschef André Trepoll hatte gerade einen bissigen Gruß an den neuen Innensenator Andy Grote geschickt. Das Einzige, was Grote auszeichne, so Trepoll, sei dessen "einschlägige Kiez-Erfahrung."

Ein Sankt Paulianer an der Spitze der Innenbehörde? Das will einigen in Hamburg nicht ins Konzept passen. Natürlich, die Personalie ist überraschend, für die CDU nicht weniger als für die Menschen auf dem Kiez. Aber: Ist dadurch wirklich die Innere Sicherheit der Stadt in Gefahr oder liegt sie etwa schon "am Boden", wie es der AfD-Abgeordnete Kruse in derselben Sitzung vermutete? Wohl kaum.

Zweifellos: Der neue Innensenator trägt manchmal Kapuzenpulli und St.-Pauli-Schal unter dem Sakko und er mischt sich auch gern unter Kiezgestalten. Wenn er seinen Gewohnheiten treu bleibt, wird er beim nächsten Heimspiel am Millerntor wieder seinen Stammplatz auf der Gegengeraden einnehmen. Oder er wird sich an freien Abenden in die Traditionskneipe Zum Silbersack setzen, für deren Tresenmannschaft er auch schon einmal als Stürmer auflief.

Auch die linksradikale Szene ist auf St. Pauli verankert

Grote sah weder als Abgeordneter der Bürgerschaft noch als Bezirksamtsleiter Gründe, warum es für ihn schlecht sein könnte, sich mit Gentrifizierungsgegnern und Anwohnerinitiativen an einen Tisch zu setzen. "Wenn man als Abgeordneter für einen Stadtteil steht, dann will man auch die kritischen Stimmen kennen", sagte Grote dazu.

Damit ist Grotes Kiezerfahrung noch nicht zu Ende erzählt. Schon seit 15 Jahren wohnt er in dem Viertel, er hatte vier Jahre lang sein Abgeordnetenbüro in der Clemens-Schulz-Straße. Grote pflegt gute Kontakte zu Bauunternehmen und Entscheidern in Wirtschaft und Politik – und zu Clubbetreibern und Schankwirten. Fragt man unter ihnen nach, dann schätzen sie ihn in der Regel als nahbaren und engagierten Arbeiter, der hält, was er verspricht. Er ist das, was man einen lokal gut vernetzten Politiker nennt.

Reicht Kiez-Erfahrung aus, um als Innensenator erfolgreich zu sein? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich klarmachen, dass St. Pauli kein beschauliches Viertel am Stadtrand ist. Es ist regelmäßig Schauplatz größerer Herausforderungen. Das haben gerade erst wieder die Auseinandersetzungen zwischen den Rockerbanden Mongols und Hells Angels deutlich gemacht. Oder die in der Silvesternacht eskalierten Übergriffe auf Frauen. Auch die linksradikale Szene, mit der die Staatsgewalt regelmäßig aneinandergerät, ist in diesem Stadtteil stark verankert.

Es ist naheliegend, dass es vor diesem Hintergrund ein Vorteil für einen Innensenator ist, wenn er das Gebiet und die Leute kennt.

Grote hat auf dem Kiez aber nicht nur gelernt, zuzuhören und zu beobachten. Als Leiter des Bezirksamts Mitte sorgte er dafür, dass die Bewohner der über Nacht geräumten Esso-Häuser in Ersatzwohnungen untergebracht wurden. Er handelte in den Wochen danach in zähen Verhandlungen zwischen Anwohnerinitiativen, Clubs und Grundeigentümern eine Neubaulösung aus, die alle Seiten ausdrücklich lobten. Ein Engagement, das Grotes Talent als Vermittler verdeutlicht.

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