Nach Einschätzung des Chefs des Berliner Forschungsinstituts DIW, Marcel Fratzscher, ist der CSU-Politiker Manfred Weber nun in einer schwächeren Position, den angestrebten Posten des EU-Kommissionspräsidenten zu erlangen. “Dies vor allem, weil keine Unterstützung durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron absehbar ist.” Falls Weber nicht zum Zuge komme, würden aus Sicht des früheren EZB-Managers Fratzscher die Chancen von Bundesbank-Chef Jens Weidmann steigen, Draghi im Herbst an der EZB-Spitze zu beerben.
Der Italiener folgte Ende 2011 auf dieser Schlüsselposition dem Franzosen Jean-Claude Trichet. Deutschland ist bislang noch nicht zum Zuge gekommen. Laut dem Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Heinemann ist die EZB-Spitzenpersonalie für die größte Volkswirtschaft Europas eminent wichtig: “Für Deutschland ist die Besetzung des EZB-Präsidentenamtes von größerer ökonomischer Bedeutung als der Chefsessel der EU-Kommission”, unterstrich der Ökonom vom ZEW-Institut in Mannheim am Montag.
Es sei nicht unwahrscheinlich, dass der nächste EZB-Präsident in seiner achtjährigen Amtszeit mit einer italienischen Schuldenkrise konfrontiert werde. Die Frage, ob die EZB dann in großem Maße Staatsanleihen Italiens kaufen werde, sei für Deutschland von enormer finanzieller Relevanz. Mit einem EZB-Präsidenten, der wie Weidmann als Kritiker der Anleihekäufe gelte, sinke die Gefahr “einer von der EZB organisierten umfangreichen Transferlösung für hoch verschuldete Euro-Staaten”.
Anders als bei der Europa-Wahl vor fünf Jahren kommen die konservative EVP und die sozialdemokratische Parteienfamilie (S&D) zusammen nicht mehr auf eine Mehrheit im EU-Parlament, um einen Kandidaten zu wählen. Sie brauchen also weitere Partner - etwa Liberale oder Grüne. Ökonom Fratzscher schließt nicht aus, dass letztlich die liberale dänische EU-Kommissarin Margrethe Vestager das Rennen machen wird: “Wichtig ist, dass man nicht eine Person etabliert, die eine Puppe der großen EU-Länder ist.” Vestager habe als Wettbewerbskommissarin bei der Ablehnung der Zugsparten-Fusion von Siemens und Alstom gezeigt, dass sie Deutschland und Frankreich auch einmal die Stirn bieten könne.
Falls Weber leer ausginge, könnte die Bundesregierung ihr ganzes Gewicht einsetzen, um Bundesbankpräsident Weidmann an die Spitze der EZB zu bringen, sagte ein EU-Vertreter, der anonym bleiben wollte. Ohne eine schnelle Mehrheitsfindung dürfte der Ball nach Aussagen von EU-Vertretern dann schnell im Feld der Staats- und Regierungschefs landen. Die haben ihren Anspruch bereits angemeldet und für Dienstag einen Sondergipfel angesetzt. Auf dem Treffen könnten unter Leitung von Ratspräsident Donald Tusk wichtige Vorentscheidungen über das künftige Spitzenpersonal gefällt werden, sagten drei mit der Sache vertraute Personen.
WEIDMANN GEGEN “KAMPFABSTIMMUNG”
Weidmann hatte jüngst den grundsätzlichen Anspruch Deutschlands unterstrichen, bei der Wahl des EZB-Chefs auch einmal zum Zuge zu kommen. “Es wäre sicherlich schlecht, wenn der Eindruck entstünde, dass es bestimmte Nationalitäten gibt, die von der EZB-Präsidentschaft grundsätzlich ausgeschlossen sind”, sagte Weidmann am Sonntag. Das würde aus seiner Sicht das Vertrauen in die Geldpolitik untergraben. “Der nächste EZB-Präsident braucht meines Erachtens nicht nur Fachkompetenz, sondern auch eine breite Unterstützung unter den Staats- und Regierungschefs”, fügte er hinzu. Deshalb sei dies nichts, was man in einer “Kampfabstimmung” entscheiden sollte. Über seine eigenen Ambitionen hielt sich Weidmann weitgehend bedeckt. Er bekräftigte lediglich frühere Äußerungen, wonach jedes Mitglied im EZB-Rat auch die Bereitschaft haben müsse, Verantwortung zu übernehmen.
Der finnische Notenbankchef Olli Rehn, der wie sein französischer Kollege Francois Villeroy de Galhau ebenfalls als ein Anwärter auf den EZB-Chefposten gehandelt wird, hält einen Deutschen an der Spitze der Europäischen Zentralbank jedoch noch längst nicht für gesetzt: “Es ist gut sich daran zu erinnern, dass auch Deutschland geschlagen werden kann. Sie können Antonin Panenka danach fragen.” Er erinnert an das Endspiel zur Fußball-Europameisterschaft 1976, das Deutschland im Elfmeterschießen gegen Außenseiter Tschechoslowakei verlor. Den entscheidenden Elfmeter verwandelte damals der tschechoslowakische Spieler Antonin Panenka.
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