„Asiatische Nato“: Schmiedet China Militärbündnis mit seinen Nachbarn?

  16 Juli 2019    Gelesen: 884
„Asiatische Nato“: Schmiedet China Militärbündnis mit seinen Nachbarn?

Befürchtungen, dass China ein Militärbündnis in Asien bilden könnte, bestehen schon seit Jahren. Washington warnt, dass der nächste große bewaffnete Konflikt gerade in der östlichen Hemisphäre geschehen könnte und man sich darauf gefasst machen müsste.

Ob Peking aber wirklich einen „Gürtel“ aus Verbündeten um sich bilden will - darauf geht Sputnik in diesem Beitrag ein.

Asiatische Allianz
Internationale Abkommen, die jahrelang als „Gebilde der Stabilität“ dienten, werden aufgelöst; Bündnisse, die noch vor kurzem als unerschütterlich galten, erleben Krisenzeiten. Selbst angesehene internationale Verhandlungsplattformen sind oft erfolglos, wenn es um die Einigung verschiedener Seiten geht. Experten analysieren, was in so einer Situation unternommen werden könnte, und Führungspolitiker müssen an akutere Probleme denken, vor allem an die Sicherheit.

Im Juni traf sich der chinesische Staatschef Xi Jinping in Duschanbe mit seinen Amtskollegen aus eurasischen Ländern bei einer Beratung für Zusammenwirken und Sicherheitsmaßnahmen in Asien. Einige Beobachter dachten sofort an seine Absicht, ein „Gegengewicht“ zur Nordatlantischen Allianz zu bilden – eine Art „asiatische Nato“. Es wäre aber sehr problematisch, eine solche Struktur zu entwickeln.

Quo vadis China?
Chinas Weg zum Status einer Supermacht und einer der führenden Wirtschaften der Welt war nicht leicht. Und jetzt wird jeder Erfolg Pekings von seinen Konkurrenten – vor allem von den USA – als Gefahr betrachtet. Wenn man bedenkt, wie scharf die Amerikaner in den letzten Jahren die Volksrepublik kritisieren, könnte man denken, dass es für Peking logisch wäre, auf Washingtons Aufrufe zur „Abwehr der chinesischen Gefahr“ mit der Bildung eines „Freundesklubs“ zu reagieren, der ihm jederzeit zur Seite stünde.

Aber warum hat Xi Jinping das Thema „Sicherheitskonstruktion“ in Asien erst jetzt aufgeworfen – und warum haben seine Worte so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen?

Die Antwort auf dieser Frage ist womöglich in einem Bericht des US-Verteidigungsministeriums enthalten, der am 1. Juni veröffentlicht wurde, also einige Wochen vor dem besagten Auftritt des chinesischen Staatschefs in Duschanbe. In diesem Dokument, das der US-Strategie im Indisch-Pazifischen Raum gewidmet war, wurde China – sein politisches Regime, seine Expansion und die Kommunistische Partei – scharf kritisiert. Zugleich wurde Taiwan als „Staat“ bezeichnet, obwohl die Insel de jure eine chinesische Provinz ist. Auch Moskau und Pjöngjang bekamen ihr Fett ab – aber vor allem Peking.

Zwar wurde in dem Bericht die Perspektive der Bildung einer „prochinesischen“ Militärallianz nicht einmal erwähnt, aber es wurde betont, dass die USA mit den Nachbarländern der Volksrepublik zusammenwirken, um diese einzudämmen. Um China herum liegt tatsächlich ein „Ring“ von US-Verbündeten – Japan, Australien und Indien gehören dem vierseitigen Sicherheitsdialog (QUAD) an. Außerdem haben die Amerikaner auch zuverlässige Partner in Südostasien.

„In der Region gibt es tatsächlich Herausforderungen, und bei dem, was Xi Jinping sagt, geht es nicht um seine persönlichen aggressiven Pläne, sondern um seine Reaktion, zu der er quasi gezwungen wird“, sagte der Leiter des Russisch-chinesischen Analysenzentrums, Sergej Sanakojew.

Dass die Sicherheit einen offensiven Charakter haben sollte, sagt man in Peking seit relativ kurzer Zeit. 2015 erschien das vorerst letzte „Weißbuch“, nämlich die chinesische Militärstrategie für die kommenden Jahre. Zuvor war den Interessen des Reiches der Mitte im Ausland viel weniger Aufmerksamkeit gewidmet worden – der Hauptakzent wurde stets auf die Aufrechterhaltung der chinesischen Einheit und der nationalen Souveränität gesetzt. Aber jetzt stützt sich  Peking in Sicherheitsfragen nicht nur auf sich selbst.

Für die Volksrepublik sei aktuell am wichtigsten, Möglichkeiten für Treffen mit Kollegen zu haben, um Probleme zu besprechen und nach Wegen zu deren Regelung zu suchen, stellte Experte Sanakojew fest. Zu diesem Zweck gebe es das Forum der Wirtschaftskooperation im Asien-Pazifik-Raum, die BRICS, die Beratung für Zusammenwirken und Sicherheitsmaßnahmen in Asien und schließlich die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) – die wohl wichtigste Sicherheitsstruktur, die es in Asien aktuell gibt. Gerade dort trete Peking mit seinen Initiativen auf, bemühe sich um die multilaterale Vertrauensförderung und schlage diverse Veranstaltungen vor, die für alle Seiten nützlich  sein sollten.

Im Grunde habe Xi Jinping in Duschanbe nichts verkündet, was prinzipiell neu wäre, stellte der Politologe fest. „In Asien gibt es bereits Formate, die sich auf kollektive Sicherheit spezialisieren, und auf ihrer Basis wird das, wovon Xi Jinping sprach, in die Tat umgesetzt.“

Was müsste man befürchten und mit wem müsste man sich vereinigen?
In Wahrheit ist es für China gar nicht nötig, ein offenbarer Antagonist gegenüber den USA zu werden und ein Militärbündnis zu bilden. Die Abkommen, die die Volksrepublik mit anderen Ländern unterzeichnet, lassen sich kaum als Allianz bezeichnen.

Eine „asiatische Nato“ wäre grundsätzlich unmöglich, zeigte sich Wassili Kaschin vom Zentrum für komplexe europäische und internationale Studien bei der Moskauer Higher School of Economics überzeugt. Die asiatischen Länder seien wesentlich größer als die europäischen, und sie haben viele eigene Verpflichtungen und Interessen.

„Man sagt, China würde seine eigene ‚Nato‘ bilden, weil man keine Ahnung davon hat, wie die Politik in Asien funktioniert“, sagte Kaschin gegenüber RIA Novosti. „Man greift auf gewisse Stereotype und Vergleiche mit dem Kalten Krieg zurück, die in Asien aber nicht funktionieren.“ Die asiatische regionale Ordnung sei viel komplizierter als die europäische, und solche Schablonen seien einfach zwecklos, so der Experte.

In Asien gebe es überhaupt kein einheitliches Bündnis, und das sei übrigens ein großes Hindernis für die Aktivitäten der USA in der Region, sagte Kaschin weiter. „Die Amerikaner haben keine Chance, ihre asiatischen Partner zu vereinigen. Selbst Japan und Südkorea können sie kaum zum Zusammenwirken zwingen.“ Allerdings sehe Tokio das Unterpfand seiner Sicherheit im Bündnis mit den USA. Auch Australien sei ein treuer Verbündeter Washingtons. Falls sie mit China irgendwelche Dokumente unterzeichnen würden, würden sie das zunächst mit Washington absprechen, findet der Experte.

Eine andere Sache seien aber Indien und die Länder Südostasiens und Ozeaniens. Dort suche Peking vor allem nach Unterstützung. Zwar gehöre Neu-Delhi offiziell der QUAD-Gruppe an, aber für die Inder sei das lediglich eine Möglichkeit, etwas zu besprechen, aber keine Verpflichtung, sich antichinesischen Initiativen anzuschließen. Zudem gehe es bei den Kontakten zwischen Washington und Neu-Delhi keineswegs um Freundschaft.

Und in Südostasien hat man überhaupt Angst vor der Wahl zwischen den USA und China. Nicht umsonst reagierte der Ministerpräsident von Singapur, Lee Hsien Loong, auf die Aufrufe des US-Vizepräsidenten Mike Pence, gegen Chinas Aggression aufzutreten, wie folgt: „Wenn man mit zwei Ländern befreundet ist, die sich auf verschiedenen Seiten der Barrikaden befinden, klappt es manchmal, mit beiden gleichermaßen gut zu Recht zu kommen, aber manchmal ist das ziemlich unbequem. Meines Erachtens wäre es besser für uns, keine der Seiten zu unterstützen. Allerdings könnten die Umstände auch so werden, dass wir eine Wahl treffen müssen. Hoffentlich wird das in absehbarer Zeit nicht passieren.“

Daraus schließt Kaschin, dass die ASEAN-Länder gar keine Lust hätten, sich auf verschiedene Seiten der Barrikaden zu stellen.

Und noch eine interessante Richtung ist nach seinen Worten Ozeanien. Dort überschneiden sich die Interessen aller großen Akteure im Asien-Pazifik-Raum – der USA, Chinas, Japans und Australiens. Um den Einfluss auf die dortigen kleinen Inseln werde inzwischen intensiv gekämpft, und gewinnen werde derjenige, der ihnen mehr Geld gebe und die dortige Infrastruktur entwickele. Aber auch die kleinen Länder wie Kiribati, Vanuatu, Fidschi usw. hötten Angst, dass sich die Kontroversen zwischen den großen Akteuren zuspitzen würden, so dass sie eine Wahl treffen müssten. Und sie würden diese Wahl bis zum geht-nicht-mehr vermeiden, so der Politologe.

Die chinesische Führung hat ihm zufolge vorerst keine Pläne zur Bildung eines Netzes von militärpolitischen Bündnissen. Die Anerkennung einer solchen Notwendigkeit würde eine Veränderung der ganzen außenpolitischen Konzeption bedeuten, die noch seit den Zeiten Deng Xiaopings bestehe. Friedliche Rhetorik sei immer noch Teil des internationalen Images der Volksrepublik, aber sie mache keinen Hehl daraus, dass die Verstärkung der nationalen Streitkräfte eine der wichtigsten Aufgaben sei, so Kaschin weiter.

Eines der Vermächtnisse Deng Xiaopings – das Prinzip der kollektiven Führung – ist bereits abgelehnt worden. Xi Jinping hat die Satzung der Kommunistischen Partei Chinas mit seinen Ideen vervollkommnet – und darf jetzt unbegrenzt an der Parteispitze bleiben. Und wer weiß, was man sich in Peking noch anders überlegen könnte…

sputniknews


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