Auf Revolutionen folgte das große Scheitern

  27 Januar 2016    Gelesen: 604
Auf Revolutionen folgte das große Scheitern
Viel zu feiern gibt es nicht: Vor fünf Jahren um diese Zeit entwickeln sich gigantische Demonstrationen gegen das ägyptische Regime. Sie berauschen die ganze Welt und inspirieren Libyer, Syrer und Jemeniten. Doch nirgendwo ist heute alles gut.
Vor fünf Jahren um diese Zeit hatten es viele in der westlichen Welt noch gar nicht mitbekommen: In Ägypten begann die Revolution. Sie hieß schnell so: Revolution. Denn es war ungeheuerlich, dass im autoritären Mubarak-Ägypten plötzlich Tausende demonstrierten. Damit war sofort klar, dass sich etwas verändern würde - wenngleich noch niemand genau wusste, was. Am ersten "Tag des Zorns", dem 25. Januar, begann es zögerlich, doch schnell wurden es immer mehr Ägypter, die sich auf dem Tahrir-Platz in Downtown Kairo zu einer gigantischen Demonstration versammelten. Die zumeist jungen Menschen begannen, sich stärker und stärker zu fühlen. Wer kann schon einer Menge von Tausenden etwas anhaben?

Mit einem Mal wirkte alles so einfach. Warum waren all diese Menschen nicht schon viel früher auf die Straße gegangen? Die Euphorie der Ägypter berauschte binnen weniger Tage die ganze Welt. Kamerateams mieteten sich in die umliegenden Hotelhochhäuser ein und filmten Tag und Nacht die unfassbare Masse auf dem Tahrir-Platz, der bisher einfach nur ein gigantischer Kreisverkehr gewesen war, an dem man sich verlaufen konnte. Die ersten Toten gab es schon an diesem 25. Januar. Die Tage darauf wurden noch gewalttätiger. Paramilitärische Polizeitrupps versuchten, die Proteste zu sprengen, Panzer rollten und überrollten Demonstranten. Mindestens 800 Tote waren bis zum 11. Februar zu beklagen. An diesem Tag dankte Präsident Husni Mubarak nach 30 Jahren an der Macht endlich ab.

"Autokratie bleibt Autokratie"?

Die Euphorie der ägyptischen Revolution ist heute einer Resignation gewichen. Zum fünften Jahrestag wurde wie aus Trotz ein Hashtag bei Twitter etabliert, der lautet: "Ich war bei der Januarrevolution dabei". Twitter war damals neben Facebook ein Mobilisierungsmedium gewesen. Nicht nur Regen und Kälte haben geplante Proteste der Enttäuschten am Jahrestag winzig ausfallen lassen. Die ägyptische Polizei hatte schon Tage zuvor Tausende Wohnungen durchsucht und Oppositionelle eingeschüchtert.

Wenn die Ägypter zwischen 2011 und 2016 etwas gelernt haben, dann dies: Autokratie bleibt Autokratie. Auf Mubarak folgten nach Wahlen die Muslimbrüder, auf jene folgte die nächste Militärregierung, die von den Gegnern der Muslimbrüder zunächst als Retterin der Revolution gefeiert wurde. Und damit war die revolutionäre Energie des 90-Millionen-Volkes am Ende. Schließlich kämpfen die meisten Menschen jeden Tag ums Überleben. Wie lange wird die Geduld dieses stolzen Volkes jetzt reichen? Darüber gibt es heute unterschiedliche Ansichten. Präsident Abdel Fattah al-Sisi indes hat seine Staatsgewalt fest etabliert und das mächtige Militär hinter sich.

Ausgangspunkt einer gigantischen Fluchtbewegung

Ägypten zeigte im Januar 2011, dass der einen Monat zuvor begonnene Umsturz in Tunesien kein Einzelfall war. Es hatte eine andere Wucht, als "Pharao" Mubarak vom Volk gestürzt wurde. Erst mit diesem unglaublichen Erfolg setzte der Dominoeffekt ein, der fortan als "Arabischer Frühling" bezeichnet werden sollte: Im Februar begannen Aufstände in Libyen und Syrien. Auch im Jemen und in Bahrain protestierten die Menschen gegen ihre Regime. Plötzlich gab es den alten Nahen Osten nicht mehr, der zwar voller autoritärer Staaten gewesen war, aber – aus westlicher Sicht – irgendwie berechenbar schien. In allen diesen Staaten verliefen die Erhebungen unterschiedlich, doch nirgendwo positiv.

Heute liegt die Region in weiten Teilen in Trümmern: Libyen und Syrien sind keine funktionierenden Staaten mehr. Der Jemen wird von einem Bürgerkrieg und einem von Saudi-Arabien verantworteten Angriffskrieg heimgesucht. In der Golfregion ist die Repression noch größer geworden. Ägypten ist zurück beim alten Status Quo und steht doch schlechter da: Die einstige Regionalmacht ist abhängig von ausländischem Geld und hat Probleme mit islamistischem Terror, der gleichzeitig dem Regime als Rechtfertigung für Repression dient. Die arabischen Länder im Jahr 2016 sind der größte Unruheherd der Welt und Ausgangspunkt einer gigantischen Fluchtwelle in Richtung Europa.

Ausblick stimmt nicht optimistisch

Aus dem Scheitern des Arabischen Frühlings wurden im Nachhinein viele Schlüsse gezogen. Einer war, dass es ein Fehler des Westens gewesen sei, jahrzehntelang autoritäre Regime im Nahen Osten und Nordafrika zu stützen. Nur so konnte sich ein derartiger innerer Druck in den Gesellschaften Tunesiens und Ägyptens aufbauen, dass diese sich nur noch mit einem lauten Knall befreien konnten, der aber nicht nachhaltig war. Ein anderer Schluss war der, dass die Menschen in der arabischen Welt einfach nicht demokratiefähig seien. Das ist überheblich angesichts der extrem komplizierten Gemengelagen und einer Geschichte der Fremdbestimmung seit Hunderten von Jahren.

Ein Ausblick auf die Zukunft der Region stimmt nicht gerade optimistisch: Restauration in Ägypten und mehr Repression denn je werden zur weiteren Radikalisierung der Islamisten führen und das Volk weiter frustrieren. Die tunesische Dialoggruppe erhielt im vergangenen Jahr den Friedensnobelpreis dafür, dass sie den demokratischen Prozess im Land unterstützte. Trotzdem hat auch Tunesien ein großes Problem mit Islamisten und frustrierter Jugend, weil die Revolution nicht alle Versprechen eingelöst hat, vor allem nicht das von Jobs und wirtschaftlichem Aufschwung. Libyen ist nun die zweite Schaltstelle des Islamischen Staats (IS) geworden, der droht, von dort aus Angriffe auf Europa durchzuführen. Syrien darf man wohl als hoffnungslosen Fall bezeichnen. Irgendwie passend also, dass aus der Party auf dem Tahrir-Platz in Kairo nicht so richtig etwas werden wollte.

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