Selenskyj muss jetzt liefern

  22 Juli 2019    Gelesen: 793
  Selenskyj muss jetzt liefern

Präsident Selenskyj führt laut Prognosen bei der Parlamentswahl in der Ukraine mit seiner Partei "Diener des Volkes" haushoch. Der Politneuling wird über eine große Machtfülle verfügen - doch ganz so einfach wird es trotzdem nicht.

Der Präsident kommt persönlich. Wolodymyr Selenskyj lässt es sich nicht nehmen, beim Verkünden der ersten Prognosen dabei zu sein: Auf über 44 Prozent schnellt der Balken seiner Partei "Sluha Narodu", auf Deutsch "Diener des Volkes", auf dem Bildschirm vor ihm hoch. Konfetti fliegt, seine Mannschaft um Parteichef Dmytro Rasumkow und Büroleiter Andrej Bogdan klatscht. Das sei ein gutes Ergebnis, sagt Selensykj, der als erstes spricht. "73 Prozent wären aber besser".

Vor fast genau drei Monaten war der Jubel noch wesentlich lauter. Da stand der frühere Komiker und TV-Produzent schon einmal auf der Bühne des Nachtclubs im Zentrum von Kiew. Damals wurde er mit sensationellen 73 Prozent zum Präsidenten gewählt.

Jetzt deuten die Prognosen von 42,7 bis 44,7 Prozent daraufhin, dass er innerhalb weniger Wochen seinen zweiten Sieg einfährt. Der ist vielleicht der noch wichtigere: Seine Partei wird künftig im Parlament, der Werchowna Rada (Obersten Rat), die größte Fraktion bilden. Auf den Rat ist Selenskyj angewiesen, ohne ihn kann er nicht regieren, wichtige Ministerposten besetzen, Gesetzesvorschläge durchbringen.

Das Parlament der Ukraine wird sich nun maßgeblich verändern - ein Großteil der alten Garde der Abgeordneten wird wohl ihr Mandat verlieren.

Hype auf Partei übertragen

Selenskyj wird über mehr Machtfülle als sein abgewählter Vorgänger Petro Poroschenko verfügen. Und das mit einer Partei, die vor wenigen Monaten nur auf dem Papier bestand, benannt nach der beliebten Fernsehserie, in der er einen fiktiven anständigen Präsidenten spielt.

Dem neuen Staatschef ist es gelungen mit der vorzeitig ausgerufenen Parlamentswahl den Hype um ihn auf seine neue politische Kraft zu übertragen. Die meisten der Kandidaten der "Diener des Volkes" sind kaum bekannt, keiner ist und war bisher Abgeordneter.

Selenskyj selbst hat den Menschen wenig Konkretes versprochen, ihnen dafür aber Hoffnung auf ein neues Land gemacht: eine Ukraine ohne Armut, ohne Korruption, mit neuen Politikern. Kurz: einen Neustart.

Wie viele Mandate für die "Diener des Volkes" in den Obersten Rat einziehen werden, wird wohl erst am Montag klar werden. Etwas mehr als die Hälfte der Sitze, 225 Mandate, wird über Parteilisten bestimmt, die andere Hälfte über die 199 Wahlkreise direkt gewählt. Das Auszählen wird einige Zeit in Anspruch nehmen. In Kiew holten die "Diener des Volkes" alle 13 Direktmandate. Insbesondere bei den als "unabhängig" antretenden Politikern gilt als offen, wie sie sich politisch im Parlament verhalten werden, ob sie etwa mit der Selenskyj-Partei kooperieren.

Auch wenn der Sieg für Selenskyj ein wichtiger ist, der große zweite Triumph ist er nach derzeitigem Stand nicht: Anders als es sich manch einer seiner Berater wünschte, ist es nicht gelungen, die absolute Mehrheit zu holen. Dabei lagen die "Diener des Volkes" in Umfrage bei zuletzt über 49 Prozent.

Die Partei muss also eine Koalition schmieden. Der 41-Jährige hatte angekündigt, diese ohne die "alten Kräfte" bilden zu wollen. Das gilt insbesondere für die prorussische "Oppositionsplattform - Für das Leben" von Wiktor Medwedtschuk. Die Partei des Freundes des russischen Präsidenten Wladimir Putin kommt auf rund 12 Prozent.

Als sehr wahrscheinlich gilt, dass er mit der ebenfalls neu gegründeten Partei "Golos" ("Stimme") des bekannten Rockmusikers Swjatoslaw Wakartschukzusammengehen wird. Sie liegt in den Prognosen bei etwa sechs Prozent. Mitglieder der Partei hatten im Vorfeld des Wahlsonntags von Diskreditierungskampagnen, insbesondere im umkämpften patriotischen Westen an der EU-Grenze berichtet, dort wurden SMS rumgeschickt, Wakartschuk würde nicht mehr antreten. Auch die "Stimme" wirbt für einen politischen Anfang, stellte Kandidaten, Aktivisten und Experten auf, die bisher nicht im Parlament waren.

Premierminister soll ein Ökonom werden

Für den Erfolg von Selenskyj wird nicht nur entscheidend sein mit wem er koaliert, sondern wie sich die Partei und Regierung aufstellt:

Die Rolle der Fraktion:
Manch ein Politologe wie der Ukrainer Wolodymyr Fessenko lobt das "politische Experiment". Andere sind da skeptischer - wie der Politikprofessor Oleksyj Haran. "Die Fraktion wird groß sein, viele Mitglieder sind zufällig ausgewählt worden." Eine Mehrheit der künftigen Abgeordneten vertritt die junge Mittelschicht der Ukraine: Aktivisten, IT-Leute, frühere politische Berater, ein Sportler, aber auch Freunde aus Selenskyjs ehemaliger Produktionsfirma und TV-Journalisten. Sie alle haben Anliegen, die sie nun schnell umsetzen wollen: Reformen der Justiz, des Bildungssystems, der Wirtschaft, des diplomatischen Dienstes - die Wunschliste ist lang. Wenn man mit den künftigen Abgeordneten spricht, hat jeder große Pläne.

Werden sie ein "Se"-Team bilden können, von dem immer wieder die Rede ist? "Se" steht für Selenskyj. "Eine solche Fraktion wird mehrere Machtzentren haben, und entscheidend wird sein, ob und wie man sie kontrollieren werden kann", sagt Haran.

Werden die Abgeordneten wirklich ihre Unabhängigkeit behalten können? In einem Land wie der Ukraine, in dem Oligarchen ihren Einfluss auch im Parlament bisher geltend machen konnten? Manch ein Selenskyj-Vertreter steht dem einflussreichen Milliardär Ihor Kolomojskyj nah.

Die Rolle des Premierministers:
"Er muss ein professioneller Ökonom sein", sagt Selenskyj, er hat genaue Vorstellungen von seinem Ministerpräsidenten: " Er muss ein unabhängiger Mensch sein, jemand, der nie Premier, Parlamentspräsident oder Fraktionsführer im Parlament war." Wakartschuk sehe er in dieser Rolle eher nicht. Als mögliche Kandidaten werden unter anderem Olexander Danyljuk gehandelt, der wirtschaftsliberale Reformer und frühere Finanzminister war ins Selenskyj-Lager gewechselt, oder der Chef des Gasunternehmens Naftogaz, Andrij Kobolew.

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Aber nicht nur Regierung und Fraktion müssen sich künftig koordinieren - auch Selenskyj wird sich eine neue Rolle suchen müssen. Vor laufenden Kameras weiter Beamte abzukanzeln wie zuletzt, wird nicht reichen. Er muss Ergebnisse liefern, vor allem gegen die Korruption im Land vorgehen, die Wirtschaftslage verbessern, für Frieden im Donbass sorgen, in dem seit über fünf Jahren gekämpft wird und fast jeden Tag Menschen sterben. Der Präsident kann diese Fragen nicht alleine entscheiden, er muss sich abstimmen - mit Geldgebern wie dem Internationalen Währungsfonds, mit Russland. Auch, um die gefangenen Landsleute, darunter die Seeleute von Kertsch, nach Hause zu holen, wie er es versprochen hat. "Heute kann sich die Mannschaft etwas entspannen, ab morgen wird gearbeitet", verkündet Selenskyj am Sonntag.

Drei bis sechs Monate habe man, sagt ein führender "Diener des Volkes" aus Kiew, um erste Reformen zu liefern. "Mehr Zeit haben wir nicht. Die Menschen sind ungeduldig."

spiegel


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