Nach der Frage eines Russen geht Maas in die Offensive

  22 Auqust 2019    Gelesen: 659
 Nach der Frage eines Russen geht Maas in die Offensive

Bundesaußenminister Heiko Maas und sein russischer Kollege Lawrow treffen sich in Moskau. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz konfrontiert ein russischer Journalist Maas mit Vorwürfen. Der geht in die Gegenoffensive.

Sergej Lawrow gehört zu jenem Typus des Politikers, wie man ihn aus der alten Sowjetunion erinnert. Bärbeißige Entschiedenheit, grimmige Freundlichkeit, grauer Zwirn. Oder auch von den Verhandlungsführern im amerikanischen Repräsentantenhaus. Selbstsicher in einem Kokon aus Arroganz und Macht. Und wahrscheinlich saßen Männer wie der russische Außenminister schon an den Konferenztischen zu Fürst Metternichs Zeiten. Wir machen die Musik, ihr tanzt!

Heiko Maas, Lawrows auf cool-elegante Garderobe achtender und eher als zurückhaltend charakterisierter deutscher Kollege, erst seit anderthalb Jahren Außenminister, hat äußerlich und habituell wenig gemein mit Lawrow, im Amt seit 2004.

Denkste! Am Mittwoch gab es in Moskau nach einem Gespräch der Politiker und ihrer Delegationen im Gästehaus des russischen Außenministeriums eine denkwürdige Begegnung der direkten Art. Die beiden Männer attackierten sich bei der anschließenden Pressekonferenz nicht offen, sie gifteten einander nicht an, sie waren sogar freundlich zueinander: „Lieber Sergej...“ – „Dafür danke ich Heiko...“

Diplomatie hat subtile Formen des Kräftemessens

Man erklärte gar, es gebe Signale für Fortschritte in Sachen des Minsker Friedensvertrages, der den russisch-ukrainischen Konflikt in der Ostukraine lösen soll. Dort kämpfen seit 2014 prorussische, von Moskau unterstützte Separatisten gegen ukrainische Regierungstruppen. Trotz eines Waffenstillstands kam es unlängst wieder zu tödlichen Gefechten. Gleichwohl gebe es jetzt positive Zeichen und dieses „Momentum“ müsse man nutzen, appellierte Maas.

Der neue ukrainische Präsident Selenskyj hatte unlängst auf ein baldiges Normandie-Treffen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs gedrängt, das es seit 2016 nicht mehr gab, und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron erklärte am Dienstag nach einem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin, ein solcher Gipfel könne bereits in den „nächsten Wochen“ zustande kommen. Maas sagte dazu, möglicherweise werde ein baldiges Außenministertreffen zwischen Russland und der Ukraine unter deutsch-französischer Vermittlung vorgeschaltet. In jedem Fall gelte: „Es darf keine neuen Opfer geben in diesem Krieg.“

Lawrow formulierte ähnlich optimistisch und ähnlich vage. Man müsse die Perspektiven nutzen. Zudem rief Lawrow auf, am Persischen Golf „alle Streitigkeiten beizulegen“. Dass die USA aus dem Atomdeal mit dem Iran, dem JCPOA, nicht nur ausgestiegen seien, sondern auch anderen verbieten wolle, die Inhalte dieser Vereinbarung zu erfüllen, erfülle ihn mit Sorgen.

Mit Einvernehmen dürfen derartige Appelle, auch die zu einer Art Solidaritätsfront gegen Washington, nicht verwechselt werden. Weil die Differenzen groß sind, schenkten sich die beiden Männer nichts, vor allem nicht die Illusion, das deutsch-russische Verhältnis sei auch nur in der Nähe von guten Beziehungen. Die Diplomatie hat subtile Formen des Kräftemessens.

Dann geht Maas in die Gegenoffensive


Da gab es etwa nach den Protesten der Opposition im Vorfeld der Moskauer Stadtratswahl am 8. September und anschließenden Massenfestnahmen den Vorwurf einer Einmischung Deutschlands in die inneren Angelegenheiten Russlands. Das griff ein russischer Journalist auf, und Maas wies die Attacke so gelassen wie dezidiert zurück. Es sei doch wohl „nicht realistisch, weder in der Gegenwart noch in der Zukunft, zu glauben, dass Deutschland oder deutsche Medien Einfluss nehmen wollen auf die innenpolitischen Entwicklungen oder sie sogar initiieren wollen“.

Und der Sozialdemokrat ging in die Gegenoffensive. Dass ein Journalist der Deutschen Welle an der Arbeit gehindert oder festgenommen werde (es ging um eine möglicherweise irrtümliche Festnahme für wenige Stunden), so Maas, sei ein „absolut nicht nachvollziehbarer Vorgang“, das stehe „nicht in Übereinstimmung mit Pressefreiheit“. Das ist, unter Diplomaten, schon ein ziemlich scharfes Schwert. Lawrow konterte. Mitarbeiter des russischen Staatsfernsehsenders RT (Russia Today) würden in Deutschland ebenfalls an ihrer Arbeit gehindert, von Pressekonferenzen ausgeschlossen, ihre Sendungen geblockt.

Nochmals meldete sich Maas zu Wort. Er wolle „sagen, dass in Deutschland keine russischen Medien blockiert oder ausgegrenzt werden – sonst würden die nicht überall rumstehen“, wo er auftauche. Ähnlich kontrovers ging es zu beim Thema des von den USA mit Hinweis auf russische Vertragsverletzungen aufgekündigten und inzwischen ausgelaufenen INF-Vertrags aus dem Jahr 1987 zum Verbot von bodengesteuerten ballistischen Raketen und Marschflugkörpern mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern. Lawrow klagte, die Amerikaner hätten inzwischen einen neuen landgestützten Marschflugkörper getestet, was gegen INF verstoße.

Maas blieb gänzlich ungerührt. Er finde, die Nato habe „angemessen reagiert“ auf das Ende des Abrüstungsvertrags. Denn vor dem amerikanischen, bereits im März angekündigten Test steht seit Jahren das von Russland entwickelte Mittelstreckensystem SSC-8 (Russisch: 9M729), das nicht nur nach Meinung der USA, sondern auch der Nato den bilateralen Vertrag zwischen Washington und Moskau verletzt.

Lawrow insistierte, die Amerikaner hätten schon zuvor gegen INF verstoßen, weil von dem Vertrag auch Raketenlauncher erfasst seien. Und eine in Rumänien eingerichtete amerikanische Abwehrstation könne nicht nur Abwehr-, sondern auch Angriffsraketen starten. Eine Journalistin setzte nach: ob Maas bei seiner „Behauptung“ bleibe, nur Russland habe den Abrüstungsvertrag verletzt.

Der Sozialdemokrat sagte, ja, er bleibe bei seiner Behauptung, und eigentlich handele es sich eher um eine Haltung. INF erlaube die Forschung und Entwicklung neuer Raketen, nicht aber deren Test, und darum habe Moskau gegen den Vertrag verstoßen.

In der SPD ist es nicht sonderlich populär, auch einmal deutlich Position gegen Moskau oder Putin zu beziehen. Maas verstieß von Beginn an gegen diese ungeschriebene Regel, zum Verdruss mancher in der Fraktion. Schon im März 2018 kritisierte er die Umstände der Wiederwahl Putin mit den Worten: „Das Ergebnis der Wahl in Russland hat uns genauso wenig überrascht wie die Umstände dieser Wahl.“

Ganz in diesem Sinne forderte Maas, der am Donnerstag Vertreter der Zivilgesellschaft und von Nichtregierungsorganisationen treffen wird, Moskau erneut auf, 24 ukrainische Matrosen freizulassen. Sie waren im November beim Versuch, aus dem Schwarzen Meer ins Asowsche Meer zu gelangen, in russische Haft geraten. An dieser Stelle blieb nun Lawrow unbeeindruckt. Seemänner könnten ja etwas wegstecken, und diese Ukrainer hätten, so deutete er an, Geheimdienstler an Bord gehabt und versucht, eine illegale Durchfahrt zu erzwingen. Den Männern drohen bis zu sechs Jahre Haft.

Die Pressekonferenz war beendet, Lawrow und Maas standen freundlich auf, um zum Abendessen zu gehen. Freunde sind sie sicherlich nicht. Aber die beiden Außenminister scheinen einander zu respektieren. Vielleicht, weil beide, in all ihrer Unterschiedlichkeit, eben doch auch Ähnlichkeiten haben.

Quelle : welt.de


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