Kräuter aus der Hightech-Vitrine

  18 September 2019    Gelesen: 676
Kräuter aus der Hightech-Vitrine

Autark und wetterunabhängig. Unter LED-Licht wachsen in hohen Glaskästen eines Berliner Startups Basilikum und Co. heran. Das Versprechen: Die Anlagen kommen mit wenigen Ressourcen aus und erlauben einen ganzjährigen Anbau. Kann so die Antwort auf den Klimawandel aussehen?

Durch die Scheiben des zwei Meter hohen Glasschrankes fällt violettes Licht. Ein leises Brummen erfüllt den Raum. Vieles erinnert eher an ein Labor als an einen Supermarkt. In der Hightech-Vitrine wachsen in einer Edeka-Filiale in Berlin auf fünf Ebenen auf kleinstem Raum Salate und Kräuter.

Das Basilikum, das wir essen, hat oft mehr von der Welt gesehen als wir selbst. Deutschland importiert rund 80 Prozent seiner Nahrungsmittel. Gerade Gemüse und Früchte werden nur in wenigen Klimazonen Tausende Kilometer entfernt angebaut. Gleichzeitig wächst bei den Konsumenten der Anspruch an ihre Ernährung. Lebensmittel sollen nicht nur pestizidfrei, sondern auch  von hoher Qualität sein.

Das Berliner Startup Infarm will mit seinen Anlagen einen Beitrag zur effizienteren Landwirtschaft leisten. Geschützt vor äußeren Umwelteinflüssen, wachsen die Kräuter des jungen Unternehmens völlig autark in temperierten Regalen unter LED-Licht - und das ganz ohne Ackerboden in einer Nährlösung. Die sogenannte vertikale Landwirtschaft erlaubt einen platzsparenden und ganzjährigen Anbau. Infarm verspricht auf seiner Website 95 Prozent weniger Wasser und 75 Prozent weniger Dünger zu verbrauchen. Auch der ökologische Fußabdruck der Pflanzen aus dem Regal soll deutlich besser ausfallen, schließlich schlägt der herkömmliche Weg vom Acker ins Regal mit bis zu 50 Prozent zu Buche.

Infarm verdient pro geernteter Pflanze

"Vertical farming wird schon bald unvermeidlich sein, denn der Klimawandel und die fortschreitende Bodenerosion machen den normalen Anbau in manchen Regionen unmöglich", zitiert der "Business Insider" Gründer Guy Galansko. Eine wachsende Weltbevölkerung und die zunehmende Urbanisierung würden die Versorgungslage zusätzlich verschärfen. Gemeinsam mit seinem Bruder Erez und der Unternehmerin Osnat Michaeli hat er das Unternehmen 2013 gegründet. Inzwischen beschäftigen sie 250 Mitarbeiter.

Infarm stellt und wartet die Gewächsschränke nicht nur, sondern liefert auch die Setzlinge. 30 Tage dauert es, bis die Kräuter erntereif sind. Sie werden von Infarm-Mitarbeitern im Supermarkt geerntet und kommen danach direkt in den Verkauf - ohne über lange Strecken transportiert oder gelagert zu werden. Die Pflanzenbrutkästen laufen ferngesteuert und bleiben Eigentum des Startups.

Die Unternehmer verdienen pro geernteter Pflanze. Bei Edeka kosten Basilikum und Co. zwischen 1,29 und 1,49 Euro. In einer Woche soll eine Minifarm bis zu 150 Pflanzen produzieren können. Die winkende Gewinnspanne macht den Einzelhandel neugierig. Inzwischen stehen die schrankhohen Vitrinen schon in 200 Supermärkten und Restaurants und bei 150 Großhändlern in Deutschland, Luxemburg, der Schweiz und Frankreich.

Zuspruch innerhalb der Bevölkerung


Erst Anfang Juni dieses Jahres sammelte Infarm 100 Millionen US-Dollar von Investoren ein. Angeführt wurde die Finanzierungsrunde von Europas größtem Kapitalgeber Atomico. "Die Lebensmittelsicherheit und die Auswirkungen unserer Lebensmittel auf die Umwelt sind große Herausforderungen für unsere Gesellschaft. Wir glauben, dass urbane Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung sein wird, um uns auf den Weg in eine nachhaltigere Zukunft zu bringen", sagte Hiro Tamura, Partner bei Atomico. Infarm habe den idealen Weg gefunden, ein großes Problem zu lösen und baue die Infrastruktur für eine nachhaltigere und gesündere Zukunft.

"Vertical farming wird nicht allein den Hunger einer stark wachsenden Weltbevölkerung sichern. Wir müssen realistisch bleiben", stellt Christine Zimmermann-Loessl von der Association for Vertical Farming im Gespräch mit n-tv.de klar. In Zukunft würde es aber immer wichtiger, dass Lebensmittel dort produziert werden, wo sie auch konsumiert werden. Nicht nur die Klimaunabhängigkeit, auch die Produktionssicherheit spräche für die vertikale Landwirtschaft.

Das frische Kapital will Infarm in die Expansion nach Japan und in die USA stecken. Innerhalb der nächsten drei Jahre will das Startup 10.000 weitere Supermärkte und insgesamt 350 Millionen Kunden erschließen. Und der Zuspruch innerhalb der Bevölkerung wächst. Ein Team aus Wissenschaftlern der Universität Göttingen hat die Akzeptanz von vertikalen Anbausystemen untersucht und kommt zu dem Ergebnis: Auch wenn bislang nur sieben Prozent etwas mit "vertical farming" anfangen können: jeder zweite Konsument würde Produkte aus vertikaler Landwirtschaft kaufen. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass bei der Entwicklung der vertikalen Anbausysteme der Fokus insbesondere auf die Nachhaltigkeit gelegt werden sollte. Nur Systeme, die wirklich umweltfreundlich sind, werden die Verbraucher überzeugen", sagt die Hauptautorin der Studie, Kristin Jürkenbeck.

Alles eine Frage der Wirtschaftlichkeit


Auch Zimmermann-Loessl ist überzeugt: "Vertical farming hat das Potenzial für den Massenmarkt." Allerdings gebe es in Deutschland und in Europa noch keine Konzepte, die sich langfristig durchgesetzt haben. Die Konsequenz: Die Verbraucher vertrauen den Produkten nicht vollkommen. In anderen Ländern sei man schon weiter. "In Japan sind Lebensmittel aus der Pflanzenfabrik längst etabliert. Die Verbraucher sind bereit, mehr zu bezahlen, weil sie ein sauberes und gesundes Nahrungsmittel bekommen, das lokal produziert worden ist."

Der Anbau von Kräutern und Salaten spielt den Gründern von Infarm in die Karten. Die Pflanzen haben einen kurzen Lebenszyklus und sind relativ pflegeleicht. "Natürlich können auch Weizen, Mais oder Wurzelgemüse angebaut werden. Allerdings stellt sich dann die Frage: Wie wirtschaftlich ist das?", sagt Zimmermann-Loessl. Zudem verbrauchen die Kräuter aus dem Glaskasten im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft viel mehr Strom. "Erst wenn wir ausreichende erneuerbare Energien für 'vertical farming' einsetzen, wird diese Form der Landwirtschaft wirklich nachhaltig", gibt sie zu bedenken. Allerdings sähen die Energiequellen der Zukunft ohnehin anders aus. Gerade Japan zeige mit Gezeiten-Kraftwerken, Biomasse und Geothermie, wie Alternativen aussehen können.

Damit schon bald viel mehr alternative Anbaumöglichkeiten ihren Weg in die deutschen Supermärkte finden, muss vor allem die konventionelle Landwirtschaft etwas ändern. Die Entwicklung von neuen Technologien geht bislang noch nicht Hand in Hand. "Die alte Industrie und die neuen Anbaukonzepte müssen sich viel mehr miteinander austauschen." Das würde der Entwicklung helfen und auch die Produkte bezahlbarer machen. Denn so lange Basilikum und Co. aus der Hightech-Vitrine noch merklich teurer sind, werden Verbraucher wohl eher zu dem greifen, was sie kennen.

Am heutigen Mittwoch sendet n-tv um 16.30 Uhr das News Spezial "Nachhaltigkeit - Packen wir's an!" mit dem Themenschwerpunkt E-Mobilität.


Quelle: n-tv.de


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