Doch das Bild von dem Einzeltäter aus Wolfsburg bekommt Risse. Die Indizien häufen sich, dass es auch die selbsternannten Premiummarken des Landes nicht so genau genommen haben mit den Stickoxid-Emissionen ihrer Wagen. Aktuelles Beispiel könnte derMercedes C 220 CDi BlueTec sein, ausgerechnet in seiner modernsten Version mit der strengen Abgasnorm Euro 6.
Das technische Überwachungsinstitut TNO, so etwas wie der TÜV der Niederlande, hatte im Auftrag des niederländischen Umweltministeriums im Rahmen von Messungen auf der Straße bei Stadtgeschwindigkeiten Spitzenwerte von bis zu 2000 Milligramm Stickoxid (NOx/km) pro Kilometer gemessen. Das ist ein bis zu 40-fach höherer Ausstoß als auf dem Prüfstand. "Die Messergebnisse wurden von Vertretern der Daimler AG mit der TNO diskutiert und von den dortigen Experten als plausibel eingestuft", heißt es dazu in einer Stellungnahme von Daimler. Doch der Konzern wehrt sich gegen "Fehlinterpretationen des TNO-Berichts".
Es gehe um den Schutz des Motors
Auf dem Teststand gehörte das Modell nämlich zu den saubersten seiner Klasse. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?
Mercedes-Benz gab, ähnlich wie Opel bei den Unregelmäßigkeiten beim Opel Zafira, selbst einen entscheidenden Hinweis. Der Hersteller gab an, dass die Abweichungen durch Messungen bei Temperaturen unter zehn Grad Celsius entstanden seien. Der Hersteller bezeichnete die Temperatur in einer E-Mail an das niederländische Fernsehen, das über den Fall berichtete, als "bemerkenswert niedrig".
Es gebe, so Mercedes-Benz, an Bord der Diesel-C-Klasse, eine Abschaltvorrichtung in der Motorsteuerung, der unter diesen und anderen Bedingungen die Stickoxid-Reinigung stoppe. Das diene dem Schutz des Motors und sei damit erlaubt, so die Erläuterung des Stuttgarter Autobauers. "Spekulationen oder Interpretationen, dass mögliche Abweichungen zwischen Messwerten auf dem Prüfstand im Vergleich zum realen Fahrbetrieb nur durch Manipulationen erklärbar seien, weisen wir mit Entschiedenheit zurück. Ein Defeat Device, sprich eine Funktion, die die Wirksamkeit der Abgasnachbehandlung unzulässig einschränkt, kommt bei Mercedes-Benz nicht zum Einsatz", heißt es dazu in einer Stellungnahme, die der Autobauer gegenüber der Deutschen Umwelthilfe (DUH) abgab.
Fahrverbot für die C-Klasse in belasteten Städten?
Seit Wochen gehen DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch und dessen Sachverständiger Axel Friedrich den Autokonzernen mit Straßenmessungen ihrer Autos auf die Nerven. An diesem Dienstag stellen sie beim Kraftfahrzeugbundesamt (KBA) Antrag auf Entzug der Typengenehmigung für die C-Klasse von Mercedes. Ihre Begründung: "Auch bei Temperaturen von zehn Grad Celsius und weniger muss das Auto die entsprechenden Emissionsgrenzwerte einhalten", sagt Resch.
"Es ist für uns nicht nachvollziehbar, dass Daimler eine Außentemperatur von 7 - 10 Grad Celsius als `bemerkenswert niedrig` bezeichnet", heißt es dazu in dem Schreiben der Deutschen Umwelthilfe an das Kraftfahrtbundesamt.
Die DUH geht deshalb noch einen Schritt weiter. Sie beantragt in jenen Städten, in denen in Deutschland immer wieder zu hohe Stickoxid-Konzentrationen gemessen werden, ein Einfahrverbot für die C-Klasse, wenn die Temperatur weniger als zehn Grad beträgt. Die Stadt mit den höchsten Stickoxid-Belastungen ist: Stuttgart. Weshalb die DUH sogleich auch einen Brief an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und den Bürgermeister Fritz Kuhn schrieb, beides Grüne.
Die C-Klasse fällt schon zum zweiten Mal unangenehm auf
Die Messungen der angesehenen Prüforganisation TNO stützen Untersuchungsergebnisse der DUH aus dem vergangenen Jahr. Auf dem Rollenprüfstand der Fachhochschule Bern in der Schweiz ließ die DUH einen Mercedes C 200 CDI, Baujahr 2011, Abgasnorm Euro 5 und 66.560 km Laufleistung untersuchen. Auch bei dieser Abgasmessung stellten die Umweltschützer unter bestimmten Testbedingungen deutlich erhöhte NOx-Werte fest. Mercedes hatte sich gegen die Vorwürfe gewehrt. "Fahrzeuge von Mercedes-Benz entsprechen in vollem Umfang den geltenden Vorschriften", teilte Daimler damals mit.
Die Test aus den Niederlanden werfen auch ein schlechtes Licht auf den Daimler-Chef Dieter Zetsche. Der gab schnell nach Bekanntwerden der VW-Abgasmanipulationen eine Art Ehrenerklärung für den Konzern ab. Seine Ingenieure hätten keine illegale Abschaltautomatik eingesetzt. Entsprechend lässt die Umwelthilfe die juristische Spitzfindigkeit der Daimler-Manager aufhorchen, die von einer zulässigen Automatik sprechen - zum angeblichen Schutz der Motoren. Resch findet das zynisch. "Offensichtlich werden die Motoren geschützt, dafür aber jemand anderes belastet, nämlich die Menschen, die unter den Abgasen leiden."
Kraftfahrtbundesamt ist unter Zugzwang
Durch die Ergebnisse von TNO gerät auch das Kraftfahrtbundesamt unter Zugzwang. Das KBA müsste über eigene Messwerte von Mercedes-Modellen verfügen - die Behörde hatte mehr als 50 Fahrzeuge verschiedener Hersteller auf ihre Abgasemissionen hin untersucht. Die Verkündung der Ergebnisse klang wie ein Paukenschlag: "Auf Basis von Rohdaten wurden bisher zum Teil erhöhte Stickoxid-Werte bei unterschiedlichen Fahr- und Umgebungsbedingungen festgestellt."
Aber seitdem hüllt sich die Behörde in Schweigen. Ihre Erkenntnisse hält sie unter Verschluss. Welche Marken in Verdacht geraten sind, ist immer noch nicht bekannt. Man wolle sich zuerst mit den Autoherstellern und anderen Behörden besprechen, hieß es: "Erst danach liegen rechtlich belastbare Ergebnisse vor." Das war vor drei Monaten.
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