An den Tankstellen reihen sich Autos in lange Schlangen ein, am Straßenrand warten Menschen auf Busse, die nicht kommen. Die Regierung stellt inzwischen Ochsen zur Verfügung, die Traktoren ersetzen sollen, die Bevölkerung wird aufgefordert, wieder mehr mit Holzöfen zu heizen. In Fernsehbildern und Berichten der vergangenen Wochen wirkt es, als entwickle sich Kuba langsam zurück.
Eine schwere Energiekrise hat die Karibikinsel erfasst, die Folge sind harte Sparmaßnahmen. Der Staat schränkt den öffentlichen Nahverkehr ein, Firmen fahren ihre Produktion zurück, es fehlt an Öl. Dass man den Strom - noch - nicht stundenweise abschalten müsse, verkauft Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel als Erfolg. Und inmitten dieser Phase sorgt nun ausgerechnet das Land für Entlastung, dessen eigene Krise einer der Hauptgründe für die Probleme der Kubaner ist: Venezuela.
Unter den US-Sanktionen in Folge des Machtkampfs zwischen dem sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro und dem selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó hat der venezolanische Ölexport massiv gelitten. Das Land verfügt zwar über große Vorräte, aber die Strafmaßnahmen aus Washington gegen venezolanische und kubanische Ölfirmen halten etliche Unternehmen und Schiffe davon ab, das Öl tatsächlich zu transportieren.
Für Kuba ist das ein Problem, denn das Land kann nur rund 40 Prozent seines Eigenbedarfs selbst produzieren, den Rest bezieht es vor allem aus Venezuela. Gerade erst haben die USA ihre Sanktionen auf vier weitere Unternehmen des Landes ausgeweitet.
Kuba und Venezuela - fällt eine Regierung, ist die andere bedroht
Dennoch sind seit Ende September mindestens acht Tanker aus Venezuela in Kuba angekommen. Sie brachten rund 3,8 Millionen Barrel Rohöl. In der ersten Septemberhälfte waren es lediglich fünf Schiffe mit knapp zwei Millionen Barrel. Das geht aus der finanzstatistischen Datenbank Refinitiv Eikon hervor, berichtet Reuters. Die Schiffe, die in Kuba ankamen, schreibt die Nachrichtenagentur weiter, seien Teil einer alten Flotte der staatlichen Ölfirma PDVSA, die venezolanische Gewässer jahrelang nicht verlassen haben.
Die Lieferungen haben die Situation in Kuba vorerst etwas entspannt. Dass Venezuela keine Mühe zu scheuen scheint, Öl nach Kuba zu bringen, hat pragmatische wie politische Gründe. Das Land kann nur begrenzt Öl lagern. Und es ist auch für Maduro wichtig, dass Kuba nicht zerfällt. Die beiden Krisen bedingen sich gegenseitig, zugleich befinden sich die Regierungen der beiden schwächelnden Länder in einem politischen Balance-Akt.
"Die Beziehung ist eine, die in einer Art von Gleichgewicht des Mangels gehalten werden muss, um keine immer wieder befürchtete Domino-Konstellation heraufzubeschwören", sagt Günther Maihold, Lateinamerika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Gefahr, dass ein Sturz der einen Regierung auch die andere massiv schwächt, ist groß. Je größer die soziale und wirtschaftliche Unzufriedenheit, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Bürgerprotesten und Instabilität.
Die Lage in Kuba ist durch das jahrzehntelange US-Embargo prekär. Auch Díaz-Canel konnte in seinem ersten Jahr als Präsident wenig gegen die Wirtschaftskrise ausrichten - vor allem weil sich US-Präsident Donald Trump, anders als sein Vorgänger Barack Obama, wieder klar von Kuba abwendet. Kuba und Venezuela haben allerdings auch mächtige andere Verbündete.
Investitionen aus China und Russland
Vor gut zwei Wochen meldete die Zeitung der Kommunistischen Partei in China, dass Peking 800 Millionen Yuan (etwa 100 Millionen Euro) in Kuba investieren wolle, um die Wasserinfrastruktur, die Digitalisierung und die Entwicklung der Pharmaindustrie zu stärken.
Vor allem in der kubanischen Sonderhandelszone Mariel war China bisher aktiv. Die Volksrepublik verfolgt zwei Ziele: Sie will den dortigen Tiefseehafen nutzen, um Waren umzuladen und in die USA zu transportieren. Und sie will sich durch die Unterstützung Venezuelas und Kubas Zugang zu Ölquellen sichern.
Besonders wichtig für beide Länder ist zudem Russland. Mit Offiziellen aus Moskau haben sich sowohl kubanische als auch venezolanische Vertreter gerade erst getroffen. Der russische Präsident Wladimir Putin versprach Maduro bei dessen Besuch in Moskau am 25. September erneut seine Unterstützung. Anfang Oktober reiste der russische Premierminister Dmitrij Medwedew für zwei Tage nach Havanna.
"Der US-Außenpolitik wird eine Grenze gesetzt"
Moskau will ein Gegengewicht in der Region darstellen. "Das ist auch ein Druckmittel gegen die USA", sagt Maihold. Erhöht Washington den Druck auf Venezuela und Kuba, steigt die Unterstützung der Russen für die beiden krisengeplagten Staaten. Damit wäre es auch schwieriger, eines der Regime zu Fall zu bringen. "Damit wird der US-Außenpolitik eine Grenze gesetzt", sagt Maihold.
Russland setzt in Kuba darauf, beim Ausbau und der Verbesserung von Infrastruktur zu helfen - und bei der Eigenproduktion von Öl. Medwedew besuchte im Norden Kubas ein Bohrvorhaben, das von der russischen Zarubezhneft und der kubanischen Cubapetroleo zusammen entwickelt wird, beides Staatsunternehmen. Innerhalb von zwei Jahren will Zarubezhneft 30 Bohrlöcher bohren, eine Investition von rund 100 Millionen Euro, berichtet die staatliche russische Nachrichtenagentur Sputnik. Kuba soll weniger von Importen abhängig sein.
Das Problem: Die russischen, vor allem aber auch die chinesischen Maßnahmen sind mittel- bis langfristig ausgelegt. Zwar helfen russische Getreidelieferungen im Kampf gegen die Lebensmittelarmut. Aber was bleibt, ist die Ölkrise. Und so warten die Kubaner nicht nur auf Benzin oder den Bus. Sie warten, bis auf weiteres, auch auf neue Tanker aus Venezuela.
spiegel
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