Mit dem Elektro-Auto auf der Langstrecke

  13 Oktober 2019    Gelesen: 675
Mit dem Elektro-Auto auf der Langstrecke

Kann man mit einem Elektro-Auto problemlos durch die Republik fahren? Ja. Wenn alles gut geht. Die Fahrt mit Audi E-Tron und Hyundai Kona von Süden nach Norden und zurück zeigt aber auch, wo Probleme lauern können.

Donnerstagmittag, Bundesautobahn 9, zwischen München und Nürnberg. Der Verkehr rollt recht flott. Auf der rechten Spur, mit knapp 120 Kilometern pro Stunde: ein Audi. Ein Audi? Richtig gelesen. Während die meisten Fahrer mit vier Ringen auf dem Kühlergrill den linken Fahrstreifen für sich gepachtet haben, reihen sich E-Tron-Chauffeure gerne im Windschatten der Lkw ein. So wie der Autor an jenem Sommertag, auf dem Weg aus der bayrischen Landeshauptstadt in Richtung Nordsee.

Zugegeben, auf den ersten Kilometern wurden die Hände etwas feucht. Zum einen, weil die Klimaanlage vorsorglich ausgestellt war und das Außenthermometer knapp 30 Grad zeigte. Zum anderen weil der Reichweitenanzeige ja nie ganz zu trauen ist. Knapp 400 Kilometer, sagt Audi, kommt man mit dem E-Tron. Rund 350 Kilometer Reichweite bescheinigte der Bordcomputer nach dem Laden. Die zu absolvierende Strecke: 850 Kilometer. Rein rechnerisch würden also zwei Tank-Stopps reichen. Das Problem: Ein Blick auf die Landkarte offenbart, dass oft da, wo der Akku theoretische leer ist, kein Schnelllader zur Verfügung steht.

Wo geht’s zur Ladesäule?


An einer Gleichstrom-Ladesäule, die je nach Hersteller mehrere hundert Kilowatt Leistung bereitstellen, kann der Audi mit maximal 150 kW betankt werden. Nach 30 Minuten ist der 94-Kilowatt-Stunden-Akku dann zu 80 Prozent voll, die übrigen 20 Prozent füllen sich etwas zäher. Ladesäulen mit maximal 350 kW betreibt zum Beispiel Ionity, rund 140 solcher High-Speed-Zapfsäulen sind aktuell aufgebaut. Ungefähr drei Mal so lange dauert das Laden an den 50-kW-Stationen. Befindet sich entlang des Weges nur einer der zahlreichen Ladepunkte mit Gleichstrom-Anschluss, braucht man deutlich mehr Zeit. Schon vor Reiseantritt ist also klar: Ohne gründliche Routenplanung kann das Abenteuer E-Tron schnell zum Geduldspiel werden und im schlimmsten Fall in einer schlaflosen Nacht auf der Autobahnraststätte enden. Das Gute: Im Internet gibt es zahlreiche Wegweiser und Planer, die einen bei der Routenwahl unterstützen. Das Problem dabei: Der Datenstand ist nicht identisch, wo der eine Anbieter eine Schnellladesäule vermutet, erkennt der andere nur einen AC-Anschluss. Also heißt es hoffen, dass die Infos, auf die man sich schlussendlich verlässt, auch wirklich stimmen.

Reserven einplanen

Auf der Tour gen Norden war das Ziel, so wenig Zeit wie möglich an der Ladesäule zu verbringen. Zudem sollte genug Strom im Akku sein, um bei Bedarf auf eine andere Steckdose ausweichen zu können. Ein Rastplatz, unweit von Würzburg bot sich mit den versprochenen 350-kW-Säulen von Ionity dafür an. Von München sind es dorthin gut 200 Kilometer, bleiben also etwa 150 Kilometer Puffer. Auf den ersten hundert Kilometern lässt man als Pilot die Reichweitenanzeige nicht aus dem Blick, rechnet ständig im Kopf nach, ob der Aktionsradius im gleichen Maße sinkt, wie der Tageskilometer zulegt. Die Erkenntnis: Tut er. Allerdings nur, wenn man gemütlich mit 120 bis 130 Kilometer dahinrollt. Ein kurzes Überholmanöver unter Vollstrom zwingt den Wert umgehend in die Knie und treibt dem Fahrer den Schweiß auf die Stirn. Also, lieber schnell zurück auf die rechte Spur, um Strom-Verbrauch und Puls wieder auf Normal zu bringen.

Am Ende sollen Computer und Routenplaner dann doch Recht behalten. Kurz vor der Raststätte meldet der Audi, dass der Akku noch etwa halb voll ist. Allerdings sorgt an dieser Stelle das E-Tron-Navigationsgerät für einen kurzen Schreckmoment: Das im Auto hinterlegte Ladesäulenverzeichnis verkündet stolz, dass auf diesem Rastplatz mit 50 kW geladen werden kann. Das ist lediglich ein Drittel der erhofften Ladeleistung und würde den Zeitplan schon kurz nach dem Start arg durcheinander bringen. Doch das Schicksal meint es gut: Die 50-kW-Säule gibt es zwar, doch daneben stehen auch die erhofften Ionity-Schnelllader.

Ladekarte oder App sind wichtig

Die vier 350-kW-Lader signalisieren mit ihrem blauen Topplicht Einsatzbereitschaft – und, sie sind alle frei. Also schnell den schweren Stecker aus der Halterung genommen und in den E-Tron gesteckt. Jetzt muss der Stromfluss nur noch frei geschaltet werden: Audi bietet für den E-Tron eine universelle Chipkarte an, mit der nahezu alle Ladesäulen in Deutschland und Europa bedient werden können und über die der getankte Strom abgerechnet wird. Alternativ gibt es diverse Apps und Kartenanbieter, bei manchen kann man sich ad hoc mit dem Smartphone registrieren, bei anderen ist eine vorherige Anmeldung erforderlich. Ein Punkt übrigens, mit dem sich jeder Elektroautokäufer im Vorfeld beschäftigen sollte!

Mit der E-Tron-Karte startet der Ladevorgang einwandfrei, und während die mannshohe Ladesäule ordentlich arbeitet, um die nötige Kühlluft anzusaugen, schnellt die Ladeleistungsanzeige nach oben. Während eines Kaffees in der Raststätte wird bekannt, dass die Ionity-Säulen brandneu sind. Darum hat sie das Auto-Navi wohl noch nicht gekannt.

Laden im Schnelldurchgang

Nach exakt 28 Minuten und 30 Sekunden meldet die Smartphone-App, dass der E-Tron voll ist. In dieser Zeit hat er 53,5 Kilowattstunden Energie in der Batterie geladen. Kabel abziehen, den elektrisch betriebenen Tankdeckel schließen, und schon geht’s weiter. Und dieses Mal deutlich entspannter! Wenn Elektro-Mobilität so funktioniert, sind auch lange Strecken kein Problem. Der zweite Ladestopp ist in der Nähe von Kassel geplant. Dass man dort nur mit 50 kW Laden kann, war bekannt. Dass allerdings ein stark frequentierter Autohof an der A9, mit Tankstelle, riesigem Lkw-Parkplatz und mehreren Schnellrestaurants, nur eine einzige Ladesäule hat, war bei der Planung übersehen worden. Zum Glück war sie frei und funktionierte. Eine gute Stunde und eine warme Mahlzeiten später war der E-Tron auch hier wieder startklar. Hätte jedoch ein anderer Stromer die Ladesäule für sich beansprucht, wäre das Zeitmanagement arg durcheinander geraten. Wie es hier in der Urlaubszeit zugeht, möchte man sich gar nicht vorstellen.

Nach einem dritten Ladestopp und insgesamt 11 Stunden und 30 Minuten endet die Fahrt an der Nordsee. Keine Frage: Die rund 850 Kilometer hätte man mit einem Verbrenner schneller zurücklegen können. Mit Diesel oder Benzin im Tank wäre die Durchschnittsgeschwindigkeit höher als die im e-Tron gefahrenen 91 km/h gewesen und zwei Ladestopps wären entfallen. Eine Pause zum Tanken und Rasten wäre freilich geblieben.

E-Reisen entspannt – manchmal

Trotzdem war die E-Tron-Reise keinesfalls strapaziös. Die zusätzlichen Ladestopps und die moderate Reisegeschwindigkeit sorgten dafür, dass man entspannter und ausgeruhter ankommt. Und wer seine Route so plant, dass er konsequent an Schnelladern tanken kann und seinen Akku immer nur auf 80 Prozent auffüllt, muss keine allzu langen Zwangspausen einlegen. Zumindest nicht, wenn alles nach Plan läuft.

Dass das nicht immer so sein muss, wurde auf der Rückfahrt mit dem Hyundai Kona electric deutlich. Allerdings hat der Koreaner mit 64 kWh Kapazität auch gut ein Drittel weniger Stromvorrat an Bord, soll aber dank seines niedrigeren Verbrauchs – für den neben dem schwächeren Motor vor allem weniger Gewicht verantwortlich zeichnet – ähnlich weit kommen. 482 Kilometer gibt Hyundai an, knapp 400 sind auf der Autobahn gut zu machen. Im Grunde also alles wie bei Audi, hätte das Schicksal nicht ein paar Steine in den Weg gelegt.

Keine Karte, viele Apps

Problem Nummer eins: Die Ladekarte funktionierte nicht. Das ist per se nicht schlimm, denn man kann sich theoretisch eine neue bestellen. Diese Option scheidet allerdings aus, wenn man die Fehlfunktion eine halbe Stunde vor der Abfahrt feststellt. Dann heißt es: Smartphone zücken, zahlreiche Lade-Apps installieren und mehrfach die Daten der Kreditkarte hinterlegen. So vorbereitet, funktionierte das Starten des Ladevorgangs am ersten Stopp reibungslos, allein – Problem Nummer zwei – die Ladeleistung wollte nicht auf über 70 kW steigen. Dabei verspricht Hyundai doch auf seiner Homepage: "80 Prozent Ladung am 100-kW-Lader in fünf Minuten". Fakt ist: Die Zeit stimmt, nur sind die 100 kW schlichtweg irreführend, denn der Kona verträgt lediglich das Laden mit 70 kW. Die Marketingabteilung hätte freilich auch vom 350-kW-Lader schreiben können, da hätte es aber dann auch eine knappe Stunde gedauert! Unser Lerneffekt: Vorher die technischen Daten genau studieren!

Das wird besonders wichtig an den Wechselstrom-Ladern: An einer 22-kW-AC-Säule kann der Kona, da er aktuell nur über einen einphasigen On-Bord-Lader verfügt, mit maximal 7,2 kW Strom zapfen; in unserem Fall – Problem Nummer drei – flossen aber sogar nur 4,6 kW durch die Leitung. Und kein kleiner Teil davon wurde auf dem Weg von der Steckdose zum Akku auch noch in Wärme umgewandelt. "Ladeverlust" nennt dass der Fachmann, Otto-Normal-Fahrer sagt dazu eher "blöd gelaufen", denn: Nach knapp neun Stunden hat es unser Akku gerade Mal von 20 auf 60 Prozent Füllstand gebracht. Das ist, wohlgemerkt, kein Kona-spezifisches Problem sondern kann auch bei anderen E-Autos auftreten. Nur ärgerlich, wenn man darauf baut, mit vollem Akku los düsen zu können.

Probleme mit der Ladesäule

Also wird für den zweiten Teil der Reise ein zusätzlicher Ladestopp eingeplant. Doch auch der verläuft nicht reibungslos. Nach dem Einstöpseln des Steckers und dem Starten des Ladevorgangs in der App passierte einfach nichts. Auch der zweite und dritte Versuch schlagen fehl. Kurz bevor frustriert der Stecker gezogen wird, bemüßigte sich die Ladestation doch noch, ein wenig Strom abzugeben. Problem Nummer vier: Die App hat das nicht bekommen. Und da das Programm gar nicht wusste, dass wir laden, konnten wir den Ladevorgang auch nicht beenden – und folglich den verriegelten Stecker nicht aus der Dose ziehen. Immerhin: Ein Anruf beim Ladesäulenbetreiber, der die Steckdose aus der Ferne neu starten kann, brachte recht schnell Abhilfe.

Kurzum: In Summe kamen wir mit dem Hyundai Kona ähnlich gut voran wie mit dem E-Tron; sieht man von der etwas missglückten nächtlichen Wechsel-Strom-Ladung, für die es zahlreiche Gründe geben kann, einmal ab. Trotzdem kosten die kleineren und größeren Zwischenfälle zum einen Zeit, zum anderen vor allem aber Nerven. Unser Tipp deshalb: Neben einer guten Vorbereitung, einer funktionierenden Ladekarte, zahlreichen installierten Apps und diversen Kabeln sollten Elektro-Auto-Fahrer vielleicht vorsorglich noch ein paar Baldrian-Drops ins Auto packen. Dann steht auch der langen Stromer-Reise nichts im Weg.


Quelle: n-tv.de


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