Bürgermeisterwahl in Hannover

  27 Oktober 2019    Gelesen: 1088
Bürgermeisterwahl in Hannover

Der Grüne Belit Onay könnte neuer Oberbürgermeister von Hannover werden. Er wäre der erste Regierende einer Landeshauptstadt mit türkischer Migrationsgeschichte. Und was wird aus der SPD?

 

Belit Onay steht in der Fußgängerzone vor dem hannoverscher Hauptbahnhof und macht Wahlkampf. Der grüne Oberbürgermeisterkandidat wirbt im Gespräch mit zwei Passanten für die autofreie Innenstadt. Er will so die Altstadt attraktiver machen. Onay, kurzgeschorene Haare, groß und schlank, kann sehr ausgedehnt über den Verkehr in Hannover sprechen.


Der 38-Jährige fordert unter anderem eine "Mobilitätsgarantie" und ein 365-Euro-Jahresticket für Bus und Bahn. "Das finde ich ja super", sagt die eine Passantin. Eine junge Familie geht vorbei, Onay will ihnen einen Flyer mitgeben. Sie winken ab. "Wir haben unser Kreuz schon bei Dir gemacht", sagt der Mann.

Der erste spannende Wahlkampf seit Jahrzehnten

Am Sonntag wird Hannover einen neuen Oberbürgermeister wählen. Es ist der erste spannende Wahlkampf seit Jahrzehnten in der Landeshauptstadt von Niedersachsen. Eigentlich ist Hannover eine SPD-Hochburg, eine der letzten verbliebenen. Seit 63 Jahren wird die Stadt sozialdemokratisch regiert, allein 34 Jahre lang war Herbert Schmalstieg der Stadtvater, von 1972 bis 2006. Danach wurde Stephan Weil, heute Ministerpräsident, sein Nachfolger, er blieb bis 2013. Ihm folgte Stefan Schostok, der sein Amt im vergangenen April wegen Untreue-Vorwürfen niederlegte. (Lesen Sie hier die Geschichte der 'Rathaus-Affäre').

Nun haben CDU und Grüne erstmals echte Chancen, die Genossen abzulösen. Für die SPD wäre das hochpeinlich. Die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" ("HAZ") veröffentlichte eine Woche vor der Wahl eine Umfrage: Der parteilose Kandidat der CDU, Eckhard Scholz, genannt "Ecki", käme demnach auf 28 Prozent der Stimmen, Onay auf 26 Prozent, SPD-Kandidat Marc Hansmann auf 23 Prozent der Stimmen. Allerdings sind laut dieser Umfrage noch 39 Prozent der Wähler unentschlossen.

Mit ziemlicher Sicherheit lässt sich aber schon jetzt sagen, dass es am Sonntag in Hannover auf eine Stichwahl hinauslaufen wird. Würde Onay dabei gegen den CDU-Kandidaten Scholz antreten, hätte er gute Aussichten auf den Sieg. Viele linksgerichtete Wähler könnten sich dann für ihn entscheiden. Für die SPD wäre dieses Szenario eine Katastrophe, auch für Stephan Weil. Der Ministerpräsident hat sich schon früh für seinen Genossen Hansmann ausgesprochen.

Hansmann sagt, dass die Startbedingungen für die SPD so schlecht wie nie gewesen seien: die Rathausaffäre, die bundespolitische Schwäche seiner Partei, alles dunkle Schatten. Von 2007 bis 2017 war der heute 49-Jährige Kämmerer der Stadt, verließ das Rathaus aber vor zwei Jahren, weil er, so schreibt es die "FAZ", nicht länger unter Schostok arbeiten wollte. Trotzdem gehört Hansmann zum SPD-Establishment, und genau das könnte bei der Wahl nun ein Nachteil sein.

Erster Bürgermeister einer Landeshauptstadt mit türkischen Wurzeln

Für die Grünen hingegen ist die Ausgangslage besser als je zuvor: der bundesweite Höhenflug, die "Fridays for Future"-Demonstrationen, die allgegenwärtige Aufgabe, den Klimaschutz zu verbessern, alles günstige Bedingungen. Bei der Europawahl erreichten die Grünen in Hannover 31,1 Prozent der Stimmen, damit lagen sie jeweils rund zehn Prozentpunkte vor der CDU und der SPD.

Die beiden Passanten, mit denen Onay in der Fußgängerzone sprach, konnte er offenbar überzeugen. Der Mann habe sich bereits festgelegt, dass er den Grünen wählen will, auch die Frau sagt, sie sei zu 95 Prozent sicher, und fügt hinzu: "Ich fände es toll, wenn wir in Hannover mal einen Bürgermeister mit Migrationshintergrund hätten".

Tatsächlich wäre Onays Wahl nicht nur für Hannover, sondern für ganz Deutschland ein historisches Ereignis. Er wäre der erste Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt, der aus einer türkischen Familie stammt.

Onays Eltern besaßen ein Restaurant in Goslar, sie kamen einst aus Istanbul nach Deutschland. Als Jugendlicher sei er nicht in die örtliche Disco hineingekommen, weil der Türsteher gesagt habe: Heute keine Schwarzköpfe.

Politisiert wurde Onay durch den Brandanschlag in Solingen von 1993, bei dem Rechtsextreme fünf Menschen töteten. Seine Eltern hätten damals überlegt, in die Türkei zurückzukehren. "Aber für mich wäre es keine Rückkehr gewesen, sondern ein Verlassen meiner Heimat. Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen", sagt er. Sie hätten Angst gehabt damals, aber die Solidarität der Menschen, die in den Straßen unter anderem Lichterketten gegen Rassismus gebildet hatten, habe ihm viel bedeutet.

Danach, sagt er, sei in ihm mit der Zeit die Erkenntnis gewachsen, wie wichtig es ist, dass sich junge Leute politisch einmischen und dass Menschen mit Migrationshintergrund die Stadt und die Gesellschaft, in der sie leben, mitgestalten. 2008, nach dem Staatsexamen in Rechtswissenschaft, trat Onay den Grünen bei. 2011 wurde er in den Stadtrat von Hannover gewählt, 2013 in den niedersächsischen Landtag. Hannover, sagt Onay, sei die schönste Stadt in Deutschland.

Fairer Wahlkampf zwischen CDU, Grünen und SPD

An einem Samstag im Oktober, eine gute Woche vor der Wahl, veranstaltet die "HAZ" am Platz der Weltausstellung vor dem Kaufhaus "Mäntelhaus" eine "politische Mittagspause". Jeweils vier Minuten haben die insgesamt acht Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl Zeit, sich vorzustellen. Unter anderem ist auch Joachim Wundrak da, Drei-Sterne-General, Kandidat der AfD und früheres CDU-Mitglied.

Als Wundrak auf die Bühne kommt, begrüßt ihn ein lautes Pfeifkonzert. "Hau ab", skandieren einige Hannoveraner, die eigentlich sehr bürgerlich aussehen. Einem entfährt es: "Nazi!", ruft er. Dann beginnt Wundrak einen Satz mit "Als Oberbürgermeister von Hannover…..." und erntet höhnisches Gelächter. "Gott bewahre", kommentiert Belit Onay.

Im Wahlkampf zwischen den drei aussichtsreichen Kandidaten gehe es aber allein um Sachthemen, sagt Onay. Und so klingen dann auch die jeweils vier Minuten von ihm, Hansmann und Scholz. Alle wollen weniger Verkehr in der Innenstadt und den Wohnungsbau fördern - je nach politischer Couleur mit unterschiedlicher Gewichtung. Ein drittes Thema setzt jeder selbst: Onay will sich für soziale Teilhabe engagieren, Hansmann will die Stadt kindgerechter machen, Scholz spricht das Sicherheitsgefühl der Hannoveraner an. Alles sehr sachlich, alles ganz gediegen.

Der Wahlkampf sei sehr intensiv, aber auch sehr respektvoll, sagt CDU-Kandidat Scholz. Der 56-Jährige - Typ jovialer Manager - hat bis 2018 die Nutzfahrzeugsparte von VW geleitet. Auch im gemäßigten Habitus sind sich die Kandidaten sehr ähnlich, sie wirken bodenständig, eher ruhig, Polemik scheint ihnen fremd. Ein bisschen wie die Stadt, deren Oberhaupt sie werden wollen.

Onay will ansprechbar sein

Nach der "politischen Mittagspause" gönnt sich Belit Onay eine Pause im Kaffeehaus "Holländische Kakao-Stube" unweit des zentralen Kröpcke-Platzes, es wurde vor 124 Jahren eröffnet. Dort gibt es guten Kuchen mit viel Sahne und leckere heiße Schokolade. Wenn die alte Bundesrepublik ein Café wäre, so sähe sie aus.

Eine ältere Dame sieht Onay länger an. Dann nickt sie ihm zu: "Viel Glück!". So etwas, sagt der Bürgermeisterkandidat, passiere jetzt öfter. Er werde unterwegs häufig angesprochen. Deswegen trage er in der U- und S-Bahn jetzt keine Kopfhörer mehr, erzählt er. Er will ansprechbar sein.

Ob er denn immer noch ganz normal Bahn fahre, wenn er Oberbürgermeister wird? "Klar", sagt Onay.

Quelle : spiegel.de


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