Seit dem Beginn der Ukraine-Affäre taucht ein Begriff wieder verstärkt in den US-Medien auf: "Witch Hunt" ("Hexenjagd"). Gemeint ist damit eine unrechtmäßige Verfolgung Unschuldiger, wie es etwa bei angeblichen Hexen früher der Fall war. In Umlauf gebracht wird der Begriff vor allem von der Person im Zentrum der Affäre, US-Präsident Donald Trump - zuletzt nach der belastenden Aussage des US-Botschafters bei der EU, Gordon Sondland. Seit Anfang September schrieb Trump alleine auf Twitter fast 40 Mal "Witch Hunt". Zuletzt sogar fast täglich.
Ganz offensichtlich scheint der US-Präsident Gefallen an dem Wort zu finden - obwohl über seine Motive natürlich nur spekuliert werden kann. Die ständige Wiederholung von Begriffen hat aber einen mittlerweile von mehreren Studien bestätigten psychologischen Effekt auf Zuhörer und Leser. Dieser wird im Englischen "Illusory Truth Effect", zu Deutsch "Wahrheitseffekt", genannt.
Das Phänomen ist so simpel wie wirksam: Menschen neigen dazu, Aussagen, die sie bereits zuvor gehört haben, eher für wahr zu halten als solche, die sie zum ersten Mal hören. Der Wahrheitseffekt ist keine besonders neue Entdeckung, sondern wurde bereits 1977 bei einer Studie nachgewiesen. "Wiederholung lässt Dinge plausibler erscheinen", erläuterte Psychologin Lynn Hasher, welche die erste Studie mitverfasste, gegenüber dem Magazin "Wired".
Bereits während der Ermittlungen zur sogenannten Russland-Affäre hatte das Magazin "The Atlantic" dem Wahrheitseffekt im Fall von Trumps Twitter-Kommentaren eine ausführliche Analyse gewidmet. Denn schon ab Mitte 2017 hatte sich Trump auf die ständige Wiederholung des Begriffs "Witch Hunt" im Zusammenhang mit den Ermittlungen verlegt - insgesamt twitterte er sogar mehr als 80 Mal von einer "Hexenjagd".
Wiederholung schafft Vertrautheit
"Wenn eine Aussage wiederholt wird, beginnt sie, sich vertrauter anzuhören", erläutert der Psychologe Keith Payne in dem "Atlantic"-Artikel die Wirkung des Wahrheitseffekts. Dieses Gefühl der Vertrautheit wiederum werde als ein Gefühl von Wahrheit empfunden. In einer eigenen Studie konnte Payne zudem etwas Erstaunliches nachweisen: Selbst wenn Menschen wissen, dass eine Behauptung falsch ist, können schon einige Wiederholungen dazu führen, dass sie eher geneigt sind, sie dennoch für wahr zu halten. Praktisch wider besseres Wissen.
Wenn Trump im Zusammenhang mit der Ukraine-Affäre also erneut den Begriff "Witch Hunt" wiederholt, tritt beim Publikum - der US-Öffentlichkeit - vermutlich ein Gefühl der Vertrautheit auf. Die Aussage "Die Ukraine-Affäre ist eine Hexenjagd" oder, freier interpretiert, "Ich bin unschuldig und werde zu Unrecht verfolgt", dürfte vielen Menschen dadurch "wahrer" erscheinen.
Trump verschafft sich - beabsichtigt oder nicht - im Fall der Ukraine-Ermittlungen somit einen Vorteil hinsichtlich der Deutungshoheit. Hinweise, dass dies tatsächlich Einfluss auf die öffentliche Meinung haben könnte, liefert eine Umfrage unter US-Bürgern im Jahr 2018, etwa ein Jahr nach Beginn der von Trumps "Witch-Hunt"-Rufen begleiteten Russland-Ermittlungen. Sie zeigte, dass fast drei von vier republikanischen Wählern tatsächlich der Überzeugung waren, dass die Russland-Ermittlungen nichts als eine "politische Hexenjagd" waren.
Kritiker immun gegen Wahrheitseffekt?
Allerdings ermittelte die oben erwähnte Umfrage auch, dass der Wahrheitseffekt bei Anhängern von Trumps politischen Gegnern, den Demokraten, offenbar nicht mal annähernd im selben Umfang Wirkung zeigt. Nicht mal jeder Zehnte dieser Wählergruppe hielt trotz präsidialem Twitter-Dauerfeuer die Russland-Ermittlungen auch Monate nach deren Beginn für eine "Hexenjagd". Wenn der Wahrheitseffekt jedoch real sein soll - warum wirkt er nicht bei Trumps Kritikern?
Psychologe Payne glaubt eine Erklärung dafür zu haben. Neben dem Wahrheitseffekt sei ein weiteres psychologisches Phänomen ausschlaggebend: das "motivierte Denken". Bei diesem beurteilen Menschen Informationen gemäß ihren bereits vorhandenen Überzeugungen. Die "Witch Hunt"-Beschallung wird demnach bei überzeugten Trump-Gegnern kaum dazu führen, dass sie ihre bereits gefestigte Meinung zum US-Präsidenten komplett über Bord werfen.
Doch die eigentlichen Adressaten der Trumpschen Botschaften sind möglicherweise ohnehin ganz andere - nämlich die Anhänger der Republikaner. Vor allem jene, die ohnehin glauben, ihr Präsident werde zu Unrecht verfolgt. Ihre Überzeugung würde demnach durch das "Witch Hunt"-Mantra weiter bestätigt.
Anhänger bei der Stange halten
Kurz: Trump könnte seine bisher treue Anhängerschaft mittels des Wahrheitseffekts weiter bei der Stange halten. Und die Hoffnung mancher Demokraten, die eingefleischten Trump-Fans unter den Republikanern könnten ihrem Idol im Laufe der Ermittlungen den Rücken zukehren, was die Wahrscheinlichkeit einer Amtsenthebung erhöhen dürfte, bliebe angesichts der Macht des Wahrheitseffekts wohl vergebens.
Und bisher scheint das Ansehen Trumps bei republikanischen Wählern auch zwei Monate nach Beginn der Ukraine-Affäre noch keinen Schaden genommen zu haben - im Gegenteil. Laut der Webseite Fivethirtyeight, die verschiedene Umfragen zur US-Politik auswertet, unterstützte zuletzt nur etwa ein Zehntel der Republikaner ein mögliches Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Anfang Oktober war es noch etwa die Hälfte mehr.
Dazu kommt: Auch an Trumps Kritikern geht der Wahrheitseffekt nicht spurlos vorüber, glaubt Kognitionsforscher Tom Stafford. Denn durch die ständige Wiederholung werde auch ihnen der Begriff "Witch Hunt" immer vertrauter. Zwar seien sie deshalb noch nicht der Meinung, dass es sich bei den aktuellen Ermittlungen zu der Ukraine-Affäre tatsächlich um einen "Hexenjagd" handele. Aber sie freundeten sich immer mehr mit dem Gedanken an, dass es möglicherweise doch so ist.
Quelle: n-tv.de
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