Demonstranten auf der Straße, ein Großaufgebot von Polizei und Justiz und ein Gericht im Ausnahmezustand: Ein Streit um die Kündigung eines Daimler-Mitarbeiters in Stuttgart schlägt Wellen weit über die Heimat des Autobauers hinaus. Wegen rassistischer Beleidigung eines türkischen Kollegen flog der 46-Jährige im Sommer 2018 raus. Er wehrt sich, spricht von lediglich satirisch gemeinten Botschaften und hält die Kündigung für unrechtmäßig. Nun entschied in zweiter Instanz aber auch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Die fristlose Kündigung wegen rassistischer Beleidigung ist rechtens.
Die Inhalte der per WhatsApp verschickten Nachrichten seien eine massive Beleidigung des Arbeitskollegen muslimischen Glaubens, betonte das Gericht. Die Inhalte seien menschenverachtend und von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Zuvor hatte das Gericht Szenen erlebt, wie man sie sonst nur aus heiklen Strafprozessen kennt. Während Justizbeamte in Schutzausrüstung im Gebäude die Besucher kontrollierten, hielt die Polizei auf der Straße Unterstützer des 46-Jährigen und Gegendemonstranten auseinander.
Erst mit etwa einer halben Stunde Verspätung konnte das Verfahren beginnen, weil Polizisten den Kläger ins Gericht eskortieren mussten. Gegendemonstranten hatten versucht, ihn am Betreten des Gebäudes zu hindern. Laut Polizei wurden Einsatzkräfte mit Fahnenstangen attackiert und setzten daraufhin Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Zwei Polizisten wurden den Angaben zufolge verletzt.
Rechte Gewerkschaft dreht Film - und den Spieß um
Das Verfahren sorgt für solchen Aufruhr, seit "Zentrum Automobil" den gekündigten Mitarbeiter öffentlich unterstützt. Die Gruppe steht in enger Verbindung zu AfD und Pegida, ihr Vorsitzender war früher Sänger in der Neonazi-Band "Noie Werte" und ordnet die Rolle der Mini-Gewerkschaft so ein: "Wir eröffnen eine neue Front zur nationalen und sozialen Befreiung des Volkes. Alle Räder stehen still, wenn mein blauer Arm es will." Der Verfassungsschutz spricht von rechtsextremistischen Strategien zur Unterwanderung von Betriebsräten.
In einem halbstündigen Video porträtiert das Zentrum Automobil den 46-jährigen Beschuldigten und einen zweiten Ex-Daimler-Beschäftigter, dem ebenfalls wegen Rassismusvorwürfen gekündigt worden war, als Opfer eines Komplotts. Im Stile einer investigativen Recherche wirft der Film dem türkischen Mitarbeiter vor, am Arbeitsplatz einen Schwarzmarkthandel aufgezogen zu haben. Weil die beiden Gekündigten ihm dabei in die Quere gekommen wären, hätte er sie mithilfe "korrupter Gewerkschaftsfunktionäre" aus dem Weg geschafft.
Der schwerbehinderte 46-Jährige hatte dem Kollegen aus seiner Schicht im Stammwerk von Mercedes in Untertürkheim Bilder mit fremden- und islamfeindlichem Inhalt per Handy geschickt. Darunter auch Hakenkreuze und unverhohlene Nazipropaganda. Das leugnete er vor Gericht auch nicht. "Aber es gab keine Beleidigungen", sagte sein Anwalt. Die Botschaften seien vielleicht geschmacklos gewesen, aber lediglich als Satire gemeint. Der türkische Kollege selbst habe darum gebeten, sie ihm zu schicken - und dann schließlich gegen die beiden anderen Männer verwendet, nachdem es zwischen ihnen zum Bruch gekommen war.
Der türkische Mitarbeiter berichtet von monatelangen schlimmen Beleidigungen am Arbeitsplatz. Irgendwann habe er es nicht mehr ausgehalten und seinen Vorgesetzten informiert, woraufhin Daimlers Werksschutz ermittelt hatte und den beiden Peinigern gekündigt wurde. Seitdem bekomme er Drohanrufe, er habe große Angst, sagt der Mann. Ein IG-Metall-Vertrauensmann sagte der ARD einem Beitrag, Vorfälle wie dieser häuften sich in der Belegschaft. Ein der ARD zugespieltes Video zeigt einen Streit zwischen Daimler-Mitarbeitern, der sich am Fall der zwei Gekündigten entzündet und schließlich von der Polizei beendet wird.
In einer Erklärung von Vorstandschef Ola Källenius bezog Daimler klar Stellung, in der dieser Stellung gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz bezog. "Im Film kommt es aus Unternehmenssicht zu einer äußerst bedenklichen Verzerrung der Wahrnehmung zwischen Opfern und Tätern", hieß es darin. Nach dem Urteil sah sich der Konzern in seiner Haltung bestätigt: "Abwertende Äußerungen, diskriminierende Witze, Erniedrigungen oder rassistische Anfeindungen akzeptieren wir nicht".
Auch das Gericht ging nicht auf die Argumentation des Klägers ein. Nach Ansicht der Kammer stellten bereits die an den Kollegen übersandten WhatsApp-Nachrichten einen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar, hieß es am Ende. Zudem sei die Kündigung nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung fristgerecht erklärt worden. Die Revision ließ die Kammer nicht zu. Ganz erledigt ist das Thema damit allerdings noch nicht. Der Fall des anderen entlassenen Mitarbeiters wird noch vor Weihnachten verhandelt.
n-tv
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