Zwei verheerende Flugzeugabstürze haben Boeing vom erfolgsverwöhnten Vorzeigekonzern zu einem Krisenfall mit ungewisser Zukunft gemacht. Der US-Luftfahrtriese ist nach den Unglücken mit heftigen Vorwürfen konfrontiert und geschäftlich stark angeschlagen. Die Unglücksflieger vom Typ 737 Max können seit Mitte März aufgrund von Startverboten nicht mehr ausgeliefert werden. Ab Januar werden die Maschinen vorübergehend nicht mehr produziert. Damit fehlt Boeing sein Bestseller und zentraler Profitbringer. Konzernchef Dennis Muilenburg musste im Zuge des Debakels seinen Posten räumen. Ob und wann die 737 Max wieder abheben darf, ist unklar. Der Ausfall trifft auch Zulieferer und Airlines - unter der Krise ächzt die gesamte US-Wirtschaft.
Vor einem Jahr war die Boeing-Welt noch in Ordnung. Zwar hatte sich bereits der erste schlimme 737-Max-Absturz in Indonesien ereignet, doch das schien Boeing zunächst kaum zu schaden. Muilenburg - der erst Mitte 2015 den Spitzenposten übernommen hatte - feierte zunächst große Erfolge: Im Geschäftsjahr 2018 knackte Boeing beim Umsatz erstmals in der über hundertjährigen Geschichte die Marke von 100 Milliarden Dollar. Der Aktienkurs verdreifachte sich in Muilenburgs Ära gar auf mehr als 200 Milliarden Dollar.
Doch die Zeiten, in denen der Top-Manager als Held gefeiert wurde, endeten abrupt. Im März 2019 stürzte eine weitere baugleiche und fast nagelneue 737 Max in Äthiopien ab, seitdem gelten fast rund um den Globus Flugverbote für Boeings Verkaufsschlager. Der finanzielle Schaden ist enorm und ein Ende der Misere ist nicht in Sicht.
737-Debakel beschäftigt Justizbehörden
Das Vertrauen in Boeing wurde durch die beiden Unglücke, bei denen insgesamt 346 Menschen starben, erschüttert. Der US-Konzern steckt tief in der Krise und kommt seit Monaten nicht aus der Defensive. Die Rolle als Krisenmanager fiel Muilenberg schwer. Der Druck auf ihn wurde immer größer. "Wir wissen, dass wir Fehler und einige Dinge falsch gemacht haben", gab der 55-Jährige Ende Oktober zerknirscht bei einer Anhörung vor dem US-Kongress zu. Einen Tag vor Heiligabend verkündete der Top-Manager seinen Rücktritt. Zu Muilenbergs Nachfolger ernannte Boeing den bisherigen Verwaltungsratschef David Calhoun, er soll den Vorstandsvorsitz ab 13. Januar übernehmen.
Das Debakel um die 737 Max beschäftigt in den USA längst Spitzenpolitiker und Justizbehörden. Denn als eine entscheidende Ursache der Abstürze gilt Boeings fehlerhafte Steuerungssoftware MCAS. Sie ließ die 737-Max-Jets laut Ermittlungsberichten quasi per Autopilot abstürzen. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, die Unglücksflieger im scharfen Wettbewerb mit Airbus überstürzt auf den Markt gebracht und dabei die Sicherheit vernachlässigt zu haben.
Darüber hinaus gibt es den ungeheuerlichen Verdacht, dass Boeing die US-Flugaufsicht FAA bei der ursprünglichen Zulassung der Absturz-Jets getäuscht und wichtige Informationen unterschlagen haben könnte. Der Konzern weist dies zwar zurück, geriet durch brisante Dokumente aber schon in arge Erklärungsnöte. Ob bei der 737-Max-Zertifizierung alles mit rechten Dingen zuging, ist in den USA Gegenstand von laufenden Ermittlungen.
Trump rät zu neuem Namen
Beim Bemühen, Vertrauen bei Fluggästen zurückzugewinnen, ging der Konzern erst im Herbst mit großen Zeitungsanzeigen und TV-Werbung stärker in die Offensive. "Wenn die 737 Max wieder in Betrieb geht, würde ich meine Familie absolut mit an Bord nehmen", ließ Boeing seine 737-Chefpilotin Jennifer Henderson in einem der Clips erklären. Damit trifft der Flugzeugbauer einen wunden Punkt. Denn selbst wenn die Aufsichtsbehörden die 737 Max wieder abheben lassen, muss sich erst zeigen, ob Flugreisende überhaupt bereit sind, den Krisenflieger zu nutzen.
US-Präsident Donald Trump hatte Boeing bereits geraten, dem Unglücksmodell einen neuen Namen zu verpassen. "Kein Produkt hat so sehr gelitten wie dieses", twitterte Trump schon im April. Doch auf eine rasche Wiederzulassung der 737 Max deutet wenig hin - auch wenn Boeing sich beharrlich zuversichtlich zeigt. Laut E-Mails, aus denen die "New York Times" zitierte, forderte ein Vertreter der kanadischen Flugaufsicht gar, dass das umstrittene MCAS-Programm komplett entfernt wird.
In einer Präsentation habe der Luftfahrtexperte das öffentliche Vertrauen in die Max-Flieger zudem ausdrücklich als niedrig bezeichnet und seine internationalen Kollegen vor Zugeständnissen an Boeing gewarnt. Kanadas Flugaufsicht betonte hinterher indes, dass es sich dabei lediglich um "Diskussionen auf Arbeitsebene" gehandelt habe. Dennoch zeigen die E-Mails, wie tief Boeing in der Bredouille steckt.
Geschäftlich ist der Schaden immens: Nach einem Rekordverlust im zweiten Quartal brach der Gewinn in den drei Monaten bis Ende September im Jahresvergleich um rund die Hälfte auf knapp 1,2 Milliarden Dollar ein. Der Umsatz fiel wegen der im Zuge der Flugverbote gestoppten Auslieferung der 737 Max um weitere 21 Prozent auf knapp 20 Milliarden Dollar. Angesichts der anhaltenden Probleme dürften weitere hohe Sonderkosten hinzukommen. Boeing muss sich wegen der heiklen Vorwürfe und möglicher Herstellerfehler im Zusammenhang mit den Abstürzen zudem mit einer Klagewelle auseinandersetzen.
Quelle: ntv.de, fzö/jpe/dpa
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