In der Großen Koalition zeichnet sich neuer Streit über eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen ab. Der schleswig-holsteinische SPD-Fraktionschef Ralf Stegner appellierte an die CSU und an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, "ihre bockige Blockadehaltung" aufzugeben.
Der frühere Partei-Vize sagte dem "Handelsblatt", ein Tempolimit wäre ein "kleiner, aber denkbar einfacher Beitrag zum Klimaschutz". Es erhöhe zudem erheblich die Verkehrssicherheit und verbessere den Verkehrsfluss. "Ganz Europa und fast alle zivilisierten Staaten haben ein Tempolimit."
Zuvor hatte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer vor einer neuen Debatte in der Großen Koalition über ein Tempolimit gewarnt. "Wir haben weit herausragendere Aufgaben, als dieses hoch emotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenster zu stellen - für das es gar keine Mehrheiten gibt", sagte der CSU-Politiker. Es gebe ein funktionierendes System der Richtgeschwindigkeit. Rund ein Drittel der Autobahnen habe schon Tempo-Beschränkungen. Die meisten Unfälle passierten auf Landstraßen.
Verkehrsministerium blamiert sich mit Tweet
Das Verkehrsministerium schaltete sich auf Twitter mit einem Scheuer-Zitat ein, wonach der Verkehr in Deutschland "bestmöglich fließen" solle. Bei Lesern löste das reichlich Spott aus - denn das beigefügte Foto zeigte die Autobahnausfahrt im schweizerischen Thalwil. Auf Schweizer Autobahnen gilt ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern.
Die SPD hatte eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Kilometern pro Stunde als eines der Themen für zusätzliche Vorhaben genannt, über das sie mit der Union sprechen will. Bereits am Mittwoch war die SPD-Vorsitzende Saskia Esken deutlich auf Konfrontationskurs zu Scheuer gegangen: "Ein Tempolimit auf unseren Autobahnen ist gut für den Klimaschutz, dient der Sicherheit und schont die Nerven der Autofahrer. Und deshalb werden wir darüber auch im neuen Jahr wieder sprechen."
Unterstützung bekam Scheuer hingegen von FDP-Chef Christian Lindner: "Ich bin gegen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Verbote sollten nur da ausgesprochen werden, wo sie auch tatsächlich gebraucht werden." Dort, wo es in Deutschland die Verkehrssicherheit erfordere, würden schon heute Geschwindigkeitsbeschränkungen verhängt. "Der Beitrag eines generellen Tempolimits zur globalen CO2-Einsparung wäre zudem marginal", sagte Lindner. "Statt eines Tempolimits brauchen wir ein CO2-Limit für Deutschland. Das würde dazu führen, dass Wasserstoff oder andere klimafreundliche Treibstoffe in Zukunft Benzin und Diesel ersetzen können."
70 Prozent der Autobahnen ohne Tempolimit
Die Koalition hatte im Zuge der Klimaschutz-Beratungen bereits über ein Tempolimit diskutiert, die Union erteilte dem aber eine Absage. Erst im Oktober scheiterten die Grünen im Bundestag mit einem Vorstoß zur Einführung von Tempo 130. Dafür positionierten sich 126 Abgeordnete, dagegen 498, sieben enthielten sich. Auch die meisten SPD-Abgeordneten stimmten dagegen, wie es in Koalitionen bei Oppositionsanträgen allerdings üblich ist. SPD-Politiker machten aber damals schon deutlich, dass das Thema im neuen Jahr wieder auf die Agenda soll.
Auf dem Großteil der Autobahnen gilt nach wie vor freie Fahrt. Ohne Tempolimit sind 70 Prozent des Netzes. Dauerhaft oder zeitweise geltende Beschränkungen mit Schildern gibt es auf 20,8 Prozent des Netzes, wie aktuelle Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen für 2015 zeigen - am häufigsten sind Tempo 120 (7,8 Prozent) und Tempo 100 (5,6 Prozent). Dazu kommen variable Verkehrslenkungsanzeigen.
Unabhängig davon gilt seit mehr als 40 Jahren eine empfohlene Richtgeschwindigkeit von 130. Schaut man sich eine EU-Karte an, ist Deutschland ein "weißer Fleck" - überall sonst gibt es nach einer Übersicht des Autofahrerclubs ADAC Tempo-Beschränkungen.
Der SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch forderte zusätzlich zum Tempolimit einen Zulassungs-Stopp für Autos mit hohem Verbrauch. "Um ordnungsrechtliche Eingriffe werden wir nicht herumkommen", sagte Miersch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er glaube nicht, "dass die Welt untergeht, wenn wir auf die Neuzulassung von riesigen Spritschluckern wie zum Beispiel großen amerikanischen Pick-up-Trucks mit Benzinmotoren in Deutschland und Europa verzichten." Die Gesellschaft müsse sich sehr genau überlegen, "welche Fahrzeuge wir in unserem Straßenverkehr wollen".
Der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic kritisierte daraufhin, es gehe "wohl eher nicht um die Umwelt, sondern vor allem um Gleichmacherei".
spiegel
Tags: