Der Alien, den wir lieben

  13 Februar 2016    Gelesen: 428
Der Alien, den wir lieben
Jeff Nichols stellt auf der Berlinale eine mystische und rätselhafte Vater-Sohn-Geschichte vor. Trotz großer Bilder bleibt seine Science-Fiction-Story zwiespältig.
Kinder im Film sind ein Risiko. Wenn sie qua Drehbuch gefährdet sind, drohen Rührseligkeit, feuchte Augen bei den Elternfiguren oder deren Surrogaten und mindestens ein Streichinstrument auf der Tonspur. Jeder, der Druck auf die Tränendrüse vermeiden will, würde also bei einem Film wie Midnight Special an der Kinokasse abdrehen, besonders wenn er hört, was den Regiesseur vor gut vier Jahren zu der Geschichte inspirierte.

"Als mein Sohn ungefähr ein Jahr alt war, hatte er einen Fieberkrampf, eine Reaktion seines Körpers auf die hohe Temperatur. Alle Muskeln verhärteten sich und wir rasten mit ihm ins Krankenhaus", erzählt Jeff Nichols auf der Berlinale, kurz bevor er am Freitagabend seinen Film im Wettbewerb vorstellt. "Die Krise verlief glimpflich, aber sie machte mir klar, dass mit der Geburt dieses Wesens mein eigenes Leben auf immer von dessen Gesundheit und Wohlergehen abhängen würde. Darüber haben wir Eltern jedoch keinerlei Kontrolle. Das Universum kann unseren Kindern alles mögliche zustoßen lassen, Gutes wie Schlechtes. Es war eine beängstigende Erfahrung von Abhängigkeit und Kontrollverlust."

Also hat der junge Jeff Nichols einen beängstigenden Film über Abhängigkeit und Kontrollverlust gedreht und erzählt in Midnight Special von einem Vater, dessen achtjährigem Sohn es sichtlich nicht gut geht und der das ungewöhnliche Schicksal, das seinem Sohn droht, nur hinnehmen kann – auch wenn weder ihm noch dem Zuschauer anfangs klar ist, um was für ein großes Schicksal es sich dabei handeln mag. Sicher scheint lediglich, dass der Vater seinen Sohn verlieren wird. Harter Stoff also. Rührselig ist der Film allerdings kein bisschen.

Texanische Nebenstraßen

Eher schon hat Nichols eine Art Science-Fiction-Subgenre gedreht, ein Sci-Fi-Verfolgungsdrama, in der Tradition von John Carpenters Starman (1984) oder Steven Spielbergs Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977). Der Vater (Michael Shannon) und sein Sohn (Jaeden Lieberher) sind auf der Flucht. In einem alten Mustang rasen sie trotz Dunkelheit mit ausgeschalteten Scheinwerfern, dafür mit einem Nachtsichtgerät vor den Augen über texanische Nebenstraßen.

Anfangs haben sie nur einen Freund des Vaters als Unterstützer (Joel Edgerton), später stößt die Mutter (Kirsten Dunst) dazu, aber von Anfang an haben sie jede Menge Feinde: Die Mitglieder einer konservativen Sekte wollen den Jungen finden, weil er sie mit seinen Visionen und Fähigkeiten euphorisiert hat. Polizei, FBI und NSA suchen ebenfalls nach den Fliehenden, weil das Kind über geheime Regierungsinformationen verfügt. Wie es die bekommt, ist gelinde gesagt surreal. Jedenfalls trägt es seine Schwimmbrille nicht ohne Grund.

Es ist Jeff Nichols vierter Film, der dritte, den er auf der Berlinale präsentiert, und wieder ist es vordergründig eine düstere Familiengeschichte, in der viel Rätselhaftes passiert. "Ich mag es, den Zuschauer unwissend zu lassen", gibt Nichols zu. "Das entspricht der Realität: Es geschehen Dinge, die wir uns nicht immer erklären können." In Take Shelter (2011) waren das die Visionen von einem Sturm, die einen Familienvater so umtreiben, dass er seinen Job, sein Erspartes und beinahe auch seine Ehe dreingibt, um sich für den Sturm zu wappnen. Ein Hirngespinst? Oder doch Vorboten der nahen Realität?

Religiöser Fanatismus

In Midnight Special müssen sich die Menschen entscheiden, ob und was sie glauben wollen: Hat das Kind übernatürliche Kräfte? Sind es gute Kräfte oder zerstörerische? Muss ich das Kind bekämpfen oder beschützen? Und der Vater muss sich schließlich die väterlichste aller Fragen stellen: Was ist das Beste für mein Kind? Auch Jeff Nichols hat sie sich schon gestellt und ist zu dem Schluss gekommen: "Viele Eltern machen den Fehler, dass sie meinen, die Antwort auf diese Frage zu kennen." Folglich beginnt es im Film dem Sohn erst besser zu gehen, als der Vater sich dazu durchringt, auf das zu hören, was das Kind für das Beste hält.

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