Ausgangsposition
Am 27. Oktober 2019 waren die Wahlberechtigten des Freistaates Thüringen aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Erklärtes Ziel von Linkspartei, SPD und Grünen: Wiedereinzug in den Landtag in einer Stärke, die die Fortführung einer aus ihrer Sicht erfolgreichen Regierungskoalition unter Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei (R2G) garantiert. Erklärtes Ziel von CDU und AfD: die Wiederauflage von R2G zu verhindern. Erklärtes Ziel der FDP: Rückkehr in den Landtag und wenn dort, eine Wiederauflage von R2G zu verhindern. Allen Parteien war eines klar, Linkspartei und/oder AfD würden in jedem Fall so stark werden, dass jede seriöse Regierungsbildung gegen sie chancenlos sein würde.
Nach Auszählung aller Stimmen stand fest:
Die Wahlbeteiligung war um 12,2 % im Vergleich zur Wahl 2014 angestiegen. Für deutsche, insbesondere ostdeutsche Verhältnisse ein im wahrsten Wortsinn sensationeller Anstieg. Das gab dem Wahlergebnis eine enorme Bedeutung und Legitimation, denn es konnte davon ausgegangen werden, dass sich viele ehemalige Nichtwähler mit ihrer Stimmenabgabe wieder äußern wollten und das Wahlergebnis somit sehr viel repräsentativer war als 2014.
Für eine Wiederauflage von R2G fehlten die Stimmen von SPD und Grünen, weil beide erneut verloren hatten (SPD -4,2%, Grüne -0,5%). Die Stimmengewinne der Linkspartei (+2,8%), die sie zur stärksten politischen Kraft in Thüringen machten (31%,) und die hervorragenden Zustimmungswerte für Bodo Ramelow (über 50%) konnten das nicht aufwiegen.
Die AfD konnte nach ihrem Gewinn von 2014 (aus dem Stand 10,6%), 2019 noch einmal 12,8% zulegen und wurde mit 23,4% zweitstärkste politische Kraft in Thüringen. Und das, obwohl der Landesverband der AfD mit einem Faschisten an der Spitze ins Rennen ging und im Landesverband etliche weitere extreme Rechtsausleger den Ton und die Richtung mitbestimmen und obwohl alle anderen Parteien eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD ausschlossen.
Die CDU verlor 11,8% und rutschte damit auf den dritten Platz der parteipolitischen Rangliste in Thüringen. Das Ziel, R2G zu verhindern, war zwar formal erreicht, aber die Wählerinnen und Wähler Thüringens hatten ganz offenkundig nicht dieses Ziel der CDU im Auge gehabt bei ihrer Stimmenabgabe, sondern eine Nichtachtung der CDU als solche.
Die FDP kam nur aufgrund der Tatsache in den Erfurter Landtag, weil rund 70 Wählerstimmen den Ausschlag für das Überwinden der 5%-Hürde gaben. Das Ziel Wiedereinzug war damit geschafft. Von einem enthusiastischen Signal der Thüringer Wählerschaft für die FDP konnte dennoch keine Rede sein.
Damit war im neuen Thüringer Landtag eine vorhergesagte Situation entstanden, also, wer eine tragfähige Regierung bilden wollte, war auf die Stimmen und/oder die Gunst von Linkspartei und/oder AfD angewiesen.
Regierungsbildung
Erwartungsgemäß wurden die bestehenden Gräben zwischen den Parteien nicht zugeschüttet oder wenigstens Notstege darüber gebaut, sondern sie wurden noch tiefer ausgehoben und jeder mögliche Brückenkopf vorsorglich vermint.
Die R2G-Parteien Linke, SPD und Grüne dachten, sie könnten dennoch in eine Wahl für das Amt des Ministerpräsidenten gehen, der wieder Bodo Ramelow heißen sollte, obwohl das nicht im Sinne der Wähler gewesen wäre und obwohl im Vorfeld nicht nur alle Spatzen, sondern alle verfügbaren flugfähigen Geschöpfe Thüringens nicht nur von Dächern pfiffen, dass CDU und FDP einen Teufel tun würden als einfach so Bodo Ramelow zurück in die Staatskanzlei zu bringen als wären sie Hofnarren von R2G, sondern dass die AfD einen Coup plante, von dem CDU und FDP mindestens etwas ahnen, wenn nicht sogar wissen mussten, der absolut demokratisch sein, aber dazu führen würde, dass eine vollkommen absurde Konstellation Wirklichkeit werden könnte, die noch viel mehr dem Wählerwillen vom 27. Oktober 2019 widersprechen würde als das „einfach weiter so“ von R2G.
Es kam so.
Jetzt war die Wahl eines neuen Thüringischen Ministerpräsidenten kein landespolitisches Thema mehr, sondern ein gesamtdeutsches mit internationaler Ausstrahlung.
Jetzt wurden Schuldige gesucht. Und gefunden.
Die (vermeintlich) Schuldigen
Vorneweg natürlich Bodo Ramelow, die Linkspartei und ihre ehemaligen Koalitionspartner SPD und Grüne, die mit dem Kopf durch die Wand wollten und die nur mit einem ehemaligen AfD-Mitglied in den Reihen der SPD überhaupt regieren konnten.
Die AfD, die „eigentlich“ nichts anderes tat als vorher auch, also mit demokratischen Mitteln, aber vor allem mit einer soliden demokratischen Legitimation eines Wahlergebnisses von 23,4% im Rücken, zu tricksen und alle anderen Parteien ziemlich effektvoll vorzuführen, um von ihnen Offenbarungseide herauszukitzeln beziehungsweise sie in ihrer Hilflosigkeit vor den Augen der Wählerschaft als das vorzuführen, was sie in den Verlautbarungen der AfD angeblich seien, Systemparteien, Altparteien, die nur ihr eigenes Wohl im Auge hätten.
Die (vermeintlich) Unschuldigen
Die FDP, die ihren Kandidaten Thomas Kemmerich in ein Rennen schickte, das von der FDP und Kemmerich und mit Rückendeckung von Bundespartei und -chef Christian Lindner von Anfang an so kalkuliert und durchgezogen worden war, als ginge es darum, irgendwie bei den Thüringer Landesmeisterschaften im Pokern zu gewinnen und nicht das wichtigste Staatsamt im Freistaat Thüringen zu besetzen, billigend und sehenden Auges in Kauf nehmend, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Tabubruch der MP-Wahl von Gnaden der AfD bevorstand. Dennoch geriert sich die FDP, sowohl auf Landes- als auch Bundesebene in bitterlichen Worten als Opfer übler Nachrede und bösartiger Unterstellungen und von Übergriffen gegen ihre Funktionsträger. Die FDP in Thüringen und ihr gewählter MP seien „übermannt“ worden und hätten natürlich keine Ahnung gehabt, was die AfD plante, und es sei überaus schäbig und gemein und verletzend, der Flammenträgerin von Freiheit und Demokratie in Deutschland und natürlich auch in Thüringen so etwas zu unterstellen, während doch diese widerliche Linkspartei, die ja die alte SED sei und bis heute nicht ... und deshalb auch nicht mit den Stimmen der FDP rechnen könne ... und überhaupt, also wirklich ...
Die CDU, die genauso wie die FDP kalkulierte und reagiert(e). Allerdings mit dem Unterschied, dass aus der Bundespartei und von ihrer Vorsitzenden mitnichten vollkommene Zustimmung und Unterstützung für die Wahlposse vom 5. Februar 2020 zu vernehmen war. Der inzwischen zur Legende aufgestiegene Anruf der Bundeskanzlerin während ihres Arbeitsbesuches in Südafrika, in dem sie forderte, dass das Wahlergebnis „rückgängig“ zu machen sei, hat vermutlich mehr Schaden angerichtet als das unwürdige Wahlspektakel um Thomas Kemmerich.
CDU und FDP sind sich einig, dass die Linkspartei auf gar keinen Fall noch einmal die Chance erhalten dürfe, den Ministerpräsidenten Thüringens zu stellen, und holen dafür vor allem ein Argument hervor: weil sie die alte SED sei, weil sie verantwortlich für das DDR-Regime sei, für Stasi und Mauer, weil sie IM der Stasi in ihren Reihen und ehemalige SED-Funktionäre hätte und weil sie bis heute nicht mit ihrer DDR-Vergangenheit gebrochen und diese aufgearbeitet hätte, die gegen unsere schöne Demokratie sei und gegen die Freiheit und alles und sowieso, und, und, und ...
Das Kartell der unverdrossen verlogenen Selbstgerechten bei CDU und FDP
Wer sich zum Moralapostel und Richter über Biographien aufschwingt, selbst 30 Jahre nach dem Ende der DDR und des Staatssozialismus, der in ihr regierte, der nebenbei bemerkt alles, nur kein Sozialismus und erst recht kein Kommunismus war, der sollte mindestens eines vorweisen können, eine saubere Weste, verglichen mit dem und denen, die er oder sie mit geschwollener Brust und vor Erhabenheit bebender Stimme immer wieder aburteilt und demokratischer Positionen für nicht fähig befindet.
Diese moralisch unangreifbare Position mögen andere einnehmen können, die CDU und die FDP können das jedenfalls nicht, weder ihre Thüringer Landesverbände noch ihre Bundesparteien.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass weder die CDU noch die FDP bis heute einen ernsthaften, nachweisbaren Versuch unternommen haben, den sie von der SED/PDS/Die Linke immer und bis heute pathetisch einfordern, die Aufarbeitung ihrer Geschichte in der DDR, weder im Bundesapparat noch auf den ostdeutschen Landesebenen.
Stattdessen hat die CDU die Ost-CDU und die Bauernpartei DBD, samt ihrem Funktionärsapparat und ihrem nicht unbeträchtlichen Vermögen klaglos übernommen. Überprüfungen, ob dieses Vermögen rechtsstaatlich erworben wurde, so wie es von der SED/PDS/Die Linke fortwährend gefordert wurde, hat es bei der CDU/CDU-Ost/DDR-Bauernpartei erst Mitte der 90er Jahre durch die „Unabhängige Kommission zur Überprüfung der Vermögen der DDR-Parteien und Massenorganisationen“ gegeben. Eine generelle Überprüfung auf Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR hat es bis heute nicht gegeben.
Stattdessen hat auch die FDP die LDPD und NDPD der DDR samt ihrem Funktionärsapparat und ihrem nicht unbeträchtlichen Vermögen klaglos übernommen. Überprüfungen, ob dieses Vermögen rechtsstaatlich erworben wurde, so wie es von der SED/PDS/Die Linke fortwährend gefordert wurde, hat es bei der FDP/LDPD/NDPD erst Mitte der 90er Jahre durch die „Unabhängige Kommission zur Überprüfung der Vermögen der DDR-Parteien und Massenorganisationen“ gegeben. Eine generelle Überprüfung auf Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR hat es bis heute nicht gegeben.
1991 veröffentlichte die der CDU nahestehende Konrad-Adenauer-Stiftung eine Denkschrift mit dem Titel „Die Ost-CDU 1948-1952 – Zwischen Widerstand und Gleichschaltung“ (https://www.kas.de/de/forschungen-und-quellen-zur-zeitgeschichte/detail/-/content/die-ost-cdu-1948-1952). Darin heißt es unter anderem: „Seit der erzwungenen Umformung zu einer stalinistischen Kaderpartei im Verlauf des Jahres 1950 galt die CDU in organisatorischer und programmatischer Sicht als eine Kopie der SED.“In der Broschüre wird Gerald Götting erwähnt, der in der Ost-CDU von ihrer Gründung 1949 bis 1989 eine prägende Rolle spielte, zunächst als Generalsekretär und dann als Parteivorsitzender. Götting gilt bis heute als der Name, der mit der Gleichschaltung der Ost-CDU in der DDR im Rahmen der „Nationalen Front“ in Verbindung gebracht wird. Götting wird auch von Christine Lieberknecht erwähnt. Die ehemalige CDU-Ministerpräsidentin Thüringens ist eine von vier ehemaligen Ost-CDU-Mitgliedern aus Thüringen, die im September 1989 den sogenannten „Brief aus Weimar“ verfassten, in dem sie Reformen in der DDR forderten. Dieser Brief wird heute von der Gesamtpartei CDU immer wieder als Beweis für ihr widerständiges Verhalten in der DDR hervorgekramt. Lieberknecht, die in den letzten Tagen kurz als Übergangs-MP für Thüringen im Gespräch war, verweigerte sich in der DDR der Pionierorganisation und der Jugendweihe, trat aber dennoch in die FDJ ein und wurde dort sogar Funktionärin. Lieberknecht erwähnt, dass Götting seinerzeit alles in Bewegung setzte, um den „Brief aus Weimar“ in den einzelnen Regionalbüros der CDU in der DDR wieder einzusammeln.
Dass Lieberknecht als Übergangs-MP keine Chance hatte, hätte einem klar sein können, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass sie ihr Ende als MP vor allem dem Widerstand in den eigenen Reihen zu „verdanken“ hat. In der Landtagsfraktion der CDU sitzt heute noch beispielsweise Christina Tasch aus dem Eichsfeld, die 2014 zu den Unterzeichnern eines Offenen Briefes gehörte, die den Rücktritt von Lieberknecht forderten.
2008 gab es einen zaghaften Versuch auf dem damaligen Bundesparteitag der CDU in Stuttgart, wenigstens ansatzweise die eigene DDR-Vergangenheit aufzuarbeiten. Aber dieser Versuch wurde sofort und massiv sabotiert. Maßgeblich von westdeutschen CDU-Mitgliedern.
Von den in der letzten Volkskammer der DDR festgestellten 59 Informellen Mitarbeitern (IM) des MfS saßen 35 in der Fraktion der CDU, jeweils 11 in den Fraktionen von FDP und PDS und 2 in der Fraktion der Grünen. Davon ist bei CDU und FDP heute keine Rede mehr. Stasi, das ist für CDU und FDP ausschließlich ein Thema der Linkspartei.
Dass der erste Landesvorsitzende der CDU in Thüringen nach Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes 1990 Uwe Ehrich hieß, 1973 in die Ost-CDU eingetreten und als IM der Stasi enttarnt wurde, davon hört man heute in der CDU kein Wort mehr. Gleiches gilt für den ersten CDU-Ministerpräsidenten in Thüringen, Josef Duchač, der schon 1957 in die Ost-CDU eintrat. Auch Dieter Althaus, MP Thüringens ab 2003, hat eine DDR-Vita, für die jeden anderen mit anderem Parteibuch die Verachtung der CDU ereilt hätte.
Die Präsidentin des Thüringer Landtages, Birgit Keller von der Linkspartei, hat nie einen Hehl aus ihrer DDR-Biographie gemacht. Das kann man von ihrem CDU-Stellvertreter, Henry Worm, nicht sagen. In seiner Biographie sucht man vergeblich nach dem Hinweis, dass er bis 1989 Mitglied der SED gewesen ist. Überhaupt bestechen die offiziellen Biographien vieler CDU-Abgeordneter im Thüringer Landtag, die aufgrund ihres Geburtsdatums mehr als nur eine DDR-Vergangenheit im Kindergarten oder der Schule vorzuweisen haben müssten, durch das interessante Detail, dass sie offenbar erst nach 1989 überhaupt irgendwie gelebt zu haben scheinen, was sicherlich daran lag, dass sie in den Verliesen der Stasi schmachten mussten, worauf sie das doch aber eigentlich stolz verweisen könnten, wenn es denn so gewesen wäre?
Vielleicht haben sie aber noch den etwas peinlichen Fall von Parteifreund Stanislaw Tillich aus Sachsen in Erinnerung, der erst als er schon Ministerpräsident der CDU in Sachsen geworden war, zugeben musste, dass er die Tatsache „vergessen“ hatte zu erwähnen, dass er im Mai 1989 zum Vizechef des Kamenzer Kreistages gewählt worden war. Das war zwar keine Funktion, mit der in der DDR irgendwelche Berge bewegt werden konnten, aber wenn man sich in Erinnerung ruft, dass schon Köchinnen und Putzfrauen, die im MfS tätig waren, nach 1990 behandelt wurden, als hätten sie Robert Havemann oder andere DDR-Staatsfeinde persönlich mit Kochlöffel und Bohnerbesen traktiert, der ist doch verwundert, mit welcher Milde und Nachsicht gewisse DDR-Biographien in der CDU bis heute behandelt wurden und werden, die bei Mitgliedern anderer Parteien regelmäßig zu Schnappatmung führten und führen. Und dass Tillich in diesem einen Punkt so „vergesslich“ war, musste ja irgendwie Gründe haben, wenn Tillich offenkundig Angst hatte, sich dazu freimütig zu bekennen.
Das erste Kabinett von Stanislaw Tillich von 2008 war nicht weniger bemerkenswert was die DDR-Vergangenheiten anging, die in ähnlich gelagerten Fällen bei anderen Parteien, insbesondere bei der Linkspartei, heute immer noch zu weihevollen Reden über Unrechtsstaat, Demokratie und Freiheit und mangelnden Widerstandswillen gegen „die Diktatur“ führen.
Tillichs Innenminister, Albrecht Buttolo etwa, von 1979 Mitglied der Ost-CDU, 1973-78 Mitglied der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“. Tillichs Sozialministerin, Christine Clauß, 1984 Eintritt in die Ost-CDU. Tillichs Umweltminister, Frank Kupfer, Eintritt in die Ost-CDU 1982, von 1986-1989 stellvertretender Geschäftsführer des Kreisverbandes Oschatz, danach bis 1994 Geschäftsführer, natürlich ohne irgendwelche hochnotpeinlichen Überprüfungen. Im dritten Kabinett von Tillich fand 2014 auch Thomas Schmidt als Umwelt- und Landwirtschaftsminister Berücksichtigung. Die Mitgliedschaft Schmidts in der Blockflötenpartei DBD, die 1990 von der CDU ohne irgendwelche Überprüfungen mitsamt Kadern und Vermögen übernommen wurde, spielte keine Rolle.
Zurück zu Thüringen und der dortigen Weiße-Westen-Partei CDU. Die hatte 1989, noch als CDU der DDR, einen Generalsekretär namens Martin Kirchner. Er trat der Ost-CDU 1967 bei und bekleidete außerhalb der Partei so wichtige Ämter wie das des stellvertretenden Vorsitzenden des Landesrates der Thüringisch-Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen. Dummerweise stellte sich 1990 heraus, das Kirchner IM der Stasi gewesen ist. Er ist übrigens einer der vier Unterzeichner des schon erwähnten „Brief aus Weimar“ vom September 1989, jenes flammenden Manifestes des unerschrockenen Widerstandes der Ost-CDU, von dem die heutige CDU glaubt, das moralische Recht abzuleiten, so dramatische Fragen zu stellen wie CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak vor wenigen Tagen wieder, ob wir nochmal „die Mauertoten nachzählen“ sollen. Ja, Herr Ziemiak, und vielleicht lassen sie es die CDU-Mitglieder tun, die in der DDR dessen Grenzregime verteidigten, wie einige Historiker inzwischen nachweisen konnten, wovon in der CDU und in den meisten Medien heute natürlich niemand etwas wissen will, denn für die Mauer gibt es offenbar nur einen Schuldigen, Bodo Ramelow, der sie wahrscheinlich eigenhändig 1961 errichtete. Jedenfalls könnte man mitunter einen solchen Eindruck gewinnen, wenn man sich die Hetztiraden durchliest, die in den zurückliegenden Wochen durch das Internet wabern.
Zurück zu Thüringen und der dortigen Weiße-Westen-Partei FDP. Als die West FDP die beiden DDR-Blockflötenparteien NDPD und LDPD schluckte, traten damit 135.000 Ostdeutsche einer West-Partei von mehr als 65.000 Mitgliedern bei. Eine der eher untypischen Vereinigungsgeschichten, in denen mal nicht der Westen den Osten dominierte, sondern umgekehrt, jedenfalls auf dem Papier und auch nicht für lange. Und natürlich auch in diesem Fall bis heute keinerlei Überprüfungen auf Rechtsstaatlichkeit und Stasi-Mitarbeiten. Wozu auch? Ist ja bis heute nur ein Problem der Linkspartei und die Blockflöten sind quasi per se Opfer, weiß doch jeder.
Zurück zu Thüringen und der dortigen Weiße-Weste-Partei FDP. Als sie 1990 die DDR-Blockflöte NDPD übernahm, machte die FDP daraus kurzerhand eine Partei im Widerstand, wie sich der seinerzeitige Schatzmeister der Liberalen, Hermann Otto Solms, damals gerne verbreitete, unter anderem auch 1991, ohne rot zu werden, in einer Bundestagsdebatte. Die FDP hatte es auf das Millionenvermögen ihrer beiden Parteierwerbungen im Osten abgesehen, während bereits tausende ehemalige Ost-FDP-Mitglieder wieder ausgetreten waren. Was er und die Granden der FDP dabei von damals bis heute gerne unter den Teppich kehren, ist die Tatsache, dass die NDPD 1948 von ehemaligen SED-Mitgliedern gegründet wurde, um ehemalige NSDAP-Mitglieder und andere Mitläufer des NS-Staates aufzufangen. Die NDPD erhielt als willfährige Blockflöte bis zum Ende der DDR einen dreistelligen Millionenbetrag aus dem Staatshaushalt zugeschanzt, plus diverse Immobilien und eine Baufirma namens „Demos“, formalrechtlich Eigentum der NDPD, 1991 als „Contact Bau GmbH“ umfirmiert. Und natürlich erhob die FDP in Gestalt ihres Schatzmeisters Anspruch auf diese Firma, einige Grundstücke und Barvermögen, alles zusammen etwa 20 Millionen D-Mark wert. Etwaige Zweifel wie bei der SED/PDS zum damaligen Zeitpunkt beantwortete die FDP mit empörtem Aufschrei und dem Verweis auf die angebliche Widerstandsbiographie der ostdeutschen Liberalen. Diese Lebenslüge hält sich offenbar bis heute in der FDP.
Es ist interessant, dass sowohl CDU als auch FDP keinerlei Skrupel haben und offenbar auch keinerlei Schamgefühl, ihren Widerstand gegen einen möglichen Ministerpräsidenten aus der Linkspartei oder von deren Gnaden immer noch mit der angeblich unbewältigten DDR-Vergangenheit dieser Partei zu begründen, obwohl nachweislich keine andere ehemalige DDR-Partei bis heute so umfangreich und dauerhaft ihre Vergangenheit in der DDR aufgearbeitet hat und dies auch weiter tut, wie auch immer jeder einzelne dies bewertet.
Warum CDU und FDP dies so verlogen handhaben und sich nicht einfach auf das Nachvollziehbare und vor allem Ehrliche beschränken, also, dass sie einfach grundsätzlich gegen die Linkspartei sind und weder CDU noch FDP eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der Linkspartei ihren Wählern und ihrer Basis zumuten können, warum sie also nicht bei den Fakten bleiben, sondern nach wie vor Steine in einem Glashaus um sich schmeißen, in dem schon längst alle Scheiben zerschlagen sind, das müssen diese beiden Parteien noch selbst klären und erklären.
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