Störfaktor Coronavirus bringt Notenbanken in die Bredouille

  24 Februar 2020    Gelesen: 853
Störfaktor Coronavirus bringt Notenbanken in die Bredouille

Washington/Berlin/Frankfurt (Reuters) - Die Ausbreitung des Coronavirus in China macht den Notenbanken rund um den Globus das Leben schwer.

Da die wirtschaftlichen Risiken durch die Epidemie noch unkalkulierbar sind, tappen die Währungshüter weitgehend im Dunkeln. Ein Zinspfad lässt sich so nur schwierig abstecken. “Leider ist nicht auszuschließen, dass sich die Infektion über die Grenzen Chinas hinaus weiter ausbreitet und in eine Pandemie mündet”, warnt DZ-Bank-Chefvolkswirt Stefan Bielmeier. Dieses Szenario lässt auch in den Zentralbanken die Alarmsirenen schrillen. In China lockert die Notenbank die Geldpolitik zügig. Und in den USA könnte die Fed ihre Zinspause unter dem Eindruck der Corona-Krise noch dieses Jahr beenden.

Der Chef der Fed von Minneapolis, Neel Kashkari, ließ unlängst mit der Bemerkung aufhorchen, die Zinspause der Notenbank dürfte noch “drei bis sechs Monate” andauern, womöglich auch länger. Die negativen Folgen der Corona-Epidemie oder anderes Störfeuer für die US-Wirtschaft könnten die Fed letztlich dazu zwingen, die Zinsen zu senken. An den Märkten wird bereits darüber spekuliert, dass es Mitte des Jahres so weit sein könnte. Doch noch ist dies Kaffeesatzleserei, denn die Fed weiß wohl selbst nicht so genau, wo die Reise hingeht. Es sei noch zu früh, die Folgen der Krise auf die US-Wirtschaft abzuschätzen, räumte Fed-Chef Jerome Powell jüngst ein.

Dass die Datenlage bislang wenig hergibt, liegt unter anderem daran, dass im Zuge der Globalisierung die internationale Vernetzung der Wirtschaft immer unübersichtlicher wird. Der Chef des Fed-Bezirks Richmond, Thomas Barkin, verdeutlicht an einem Beispiel, wie verschachtelt die Lieferketten zuweilen sind: Ein medizinischer Hersteller habe erst aktuell erfahren, dass die Viruskrise auch für ihn ein Problem sei. Denn es habe sich herausgestellt, dass sein nicht in China ansässiger Zulieferer seinerseits indirekt von Produkten aus der Volksrepublik abhängig sei.

GLOBALISIERUNG IM HÄRTETEST

Der Chef des Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr, sieht die Viruskrise als eine Art Sollbruchstelle der Globalisierung: “Die jetzigen Entwicklungen in China zeigen plötzlich, wie fragil das System ist”, sagte er dem “Handelsblatt” (Freitagausgabe). Er würde sogar so weit gehen zu sagen, dass das Virus sich als “Lehman-Moment” erweisen könnte. “Wie bei der Pleite der US-Investmentbank 2008 ist das Selbstverständliche plötzlich nicht mehr selbstverständlich.” Auch Deutschland werde damit klarkommen müssen, dass stabile Lieferketten keine Selbstverständlichkeit mehr seien.

Um sich ein Bild der wirtschaftlichen Entwicklung in China zu machen, beugen sich Experten in den Notenbanken derzeit über zahlreiche Statistiken - etwa zum Kohleverbrauch oder zu Inlandsflügen in der Volksrepublik. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni verwies jüngst darauf, dass auf die Einwohner in der Volksrepublik 18 Prozent der weltweiten Reiseausgaben entfallen. “Sie können sich vorstellen, welche Auswirkungen es haben wird, wenn sich der Ausbruch noch länger hinzieht.”

Laut EZB-Chefvolkswirt Philip Lane lehrt die Erfahrung mit früheren Pandemien wie etwa Sars im Jahr 2003 allerdings, dass es meist keine langfristigen Effekte gebe. “Normalerweise dauert so etwas nicht ewig. Wenn es vorbei ist, erholen sich die Märkte und die Wirtschaft”, sagte er Anfang des Monats in Berlin. Nun hänge es entscheidend davon ab, wie schnell die Virus-Ausbreitung eingedämmt werde. Allerdings werden in der Fachwelt die gravierenden Unterschiede zu 2003 hervorgehoben. Damals sei Chinas Wirtschaft noch nicht so stark in die globalen Lieferketten eingespannt gewesen wie heute, wird argumentiert. Daher seien die wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus auch bei einem ähnlichen Verlauf wie bei Sars möglicherweise größer.

BILD HAT SICH KOMPLETT GEWANDELT

Der Wendepunkt der Viruskrise ist laut dem Politbüro in Peking noch nicht erreicht. Die Lage in der besonders stark betroffenen Provinz Hubei bleibe “ernst und kompliziert”. Die Folgen der Epidemie in China treiben auch die EZB um. Der Ausbruch des Coronavirus und dessen möglichen Auswirkungen auf das weltweite Wachstum sorgten für Unsicherheit, betonte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos jüngst. Vor diesem Hintergrund benötige die Konjunktur weiterhin eine “starke Unterstützung” durch die Geldpolitik. Die Volkswirte der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) gehen davon aus, dass die Industriestaaten im Falle einer schwerwiegenden globalen Ausbreitung des Virus im laufenden Jahr nur noch etwas über ein Prozent wachsen würden, die Schwellenländer nur noch etwas über drei Prozent.

In der Euro-Zone schwächelt die Wirtschaft derzeit. In Japan droht sogar eine Rezession. “Es besteht eine ziemlich hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Wirtschaft von Januar bis März erneut schrumpft”, sagte Taro Saito vom Institut NLI. “Das Virus wird vor allem den Tourismus und die Exporte treffen, könnte aber auch den Inlandskonsum ziemlich stark belasten.” Die japanische Notenbank, die bereits seit Jahren mit einer beispiellosen Geldschwemme sowohl das Wachstum als auch das Preisniveau zu erhöhen versucht, steht vor großen Herausforderungen. Dies räumt auch ein Notenbank-Mitarbeiter ein, der anonym bleiben möchte: “Durch den Virus-Ausbruch hat sich das Bild komplett gewandelt.”


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