Eine kleine Überraschung gab es noch zum Abschluss des Abends. Karl-Heinz Rummenigge hatte im feudalen Saal einer Eventlocation in der Nähe des Trafalger Square gerade geschwärmt. Von London. „Das ist eine Stadt, die mag uns, die mag Bayern München“, sagte der Vorstandsvorsitzende des deutschen Rekordmeisters nach dem 3:0-Sieg über den FC Chelsea im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League. Und natürlich ein bisschen auch von seinen Spielern. „Ihr habt einen tollen Charakter, und der wird euch weit führen, wenn ihr in dem Stil weitermacht.“
Er hätte es in seiner obligatorischen Bankettrede dabei belassen können, aber da war noch etwas: der 55. Geburtstag von Trainer Hansi Flick am Abend zuvor. Man habe zwar schon angestoßen, ließ Rummenigge wissen, aber nun wolle er noch ein Geschenk nachreichen und verriet auch gleich den Inhalt des kleinen roten Päckchens. „Es ist ein Stift, und mit Stiften unterschriebt man beim FC Bayern manchmal auch Papiere“, erklärte er vielsagend.
Denn dass mit Papieren ein möglicher Vertrag als Cheftrainer über diese Saison hinaus gemeint war, dürfte jedem im Saal klar gewesen sein. Der deutliche Sieg über Chelsea und die damit verbundenen besten Aussichten im Rückspiel in drei Wochen nach einem Jahr Pause wieder das Viertelfinale der Königsklasse zu erreichen, haben auch Flicks Chancen auf eine Weiterbeschäftigung deutliche erhöht.
Das Duell mit dem Gegner aus dem „Finale dahoam“ vor acht Jahren war von den Verantwortlichen zwar nicht hochoffiziell als Reifeprüfung für den Trainer ausgerufen worden, aber intern gilt als Kriterium, dass Flick sich auch auf hohem internationalem Niveau behaupten muss, um über die Saison hinaus den Job, den er Anfang November von Niko Kovac übernommen hatte, behalten zu können.
Mit dem siebten Sieg im siebten Champions-League-Spiel dieser Saison kommt er den Anforderungen schon sehr nahe. Allerdings stellt sich die Frage, ob Chelsea, der Champions-League-Sieger von 2012, noch ein Gradmesser für den deutschen Rekordmeister ist. Auf Augenhöhe haben sich die Londoner jedenfalls zum Abschluss der Karnevalszeit an der Stamford Bridge nicht präsentiert. „Der Plan, den wir hatten“, sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic, „ist voll aufgegangen.“
Die Münchner dominierten den auch in der Premier League längst von Manchester City und vor allem vom FC Liverpool abgehängten Klub des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch bereits in der ersten Hälfte deutlich, aber da fehlte noch bisweilen das Tempo und die Präzision, um in der Abwehr mehr als nur punktuell für Unordnung zu sorgen. Nach der Pause erledigten der FC Bayern mit zwei sehenswerten Angriffen Chelsea innerhalb von drei Minuten. Beide Mal glänzte Robert Lewandowski als Vorbereiter, und Serge Gnabry machte dort weiter, wo er bei seinem letzten Auftritt in der britischen Hauptstadt aufgehört hatte – mit dem Toreschießen.
Das 1:0 (51. Minute) und das 2:0 (54.) waren seine Treffer Nummer fünf und sechs in der Champions League, alle erzielt gegen Londoner Klubs. Die ersten vier Tore waren ihm im Gruppenspiel gegen Tottenham im vergangenen Oktober gelungen. Für Gnabry scheinen Partien in seiner früheren Heimat zu beflügeln. Der 24 Jahre alte gebürtige Schwabe war einst beim FC Arsenal ausgebildet worden, schaffte dann aber nicht den Sprung in die Stammelf der Premier League.
„Es ist auf jeden Fall immer gut zurückzukommen. Viele Freunde sind noch hier, vielleicht verleihen die mir Kraft“, sagte Gnabry. Am dritten Treffer der Münchner war er dann nicht beteiligt, den erledigte Lewandowski selbst, allerdings nach grandioser Vorarbeit von Alphonso Davies, der gleich drei Gegenspieler einfach überrannte, und sich damit nun auch in der Champions League ins Rampenlicht spielte. „Der Junge ist gesegnet mit einem Körper und einem Sprint. Das hatten wir so noch nicht bei Bayern“, lobte Thomas Müller.
Der Kanadier hat abgesehen von seinem Sololauf vor dem 3:0 eine solide aber nicht überragende Leistung geboten, und doch steht er auch ein bisschen für den Unterschied zwischen jener zaudernden Bayern-Mannschaft, die vor einem Jahr an der Anfield Road in Liverpool vor allem darauf bedacht war, kein Tor zu kassieren, dafür im Rückspiel ihr blaues Wunder erlebte hatte, und derjenigen, die nun Chelsea eine Lehrstunde erteilte.
Die Münchner sind nicht perfekt, so wie es Davies eben auch noch nicht ist mit seinen 19 Jahren, aber oft erfrischend, gierig und mit einem klaren vom Trainer verordneten Plan. In der Mannschaft herrsche das Gefühl“, sagt Müller, „dass da was geht“ in der Champions League. „Alle ziehen mit, und das stimmt einen hoffnungsvoll.“ Es spricht viel dafür, dass Flick mit seinem Geburtstagsgeschenk tatsächlich bald einen neuen Vertrag unterschreiben darf.
faz.net
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