Eines vorweg: Wie alle Beteiligten auf dem Platz und der Großteil der Fans im Sinnsheimer Stadion reagiert haben, war richtig. Gemeinsam setzten sie mit den Spielunterbrechungen und dem Nicht-Angriffspakt in den letzten 13 Minuten der Partie ein deutliches Zeichen gegen Hetze, gegen Hass und für Solidarität. Solche Zeichen braucht Deutschland, solche Zeichen brauchen die Fußballstadien Deutschlands. Das zeigte sich, als Anhänger des FC Bayern und auch Fans der Dortmunder Borussia Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp mit Plakaten und Rufen beleidigten. Aber: Solch ein starkes Signal des Gemeinschaftssinns, solch ein Zeichen für Brüderlichkeit und gegen Feindseligkeit hätte schon viel früher aus dem Fußball kommen müssen - und zwar dann, wenn Spieler, die Minderheiten angehören, rassistisch beleidigt werden. Und nicht erst, wenn ein weißer Mäzen angegangen wird.
Von einer "Zäsur" spricht Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge. Eine Grenze also zwischen dem Zustand von früher und jetzt. Das ist Unsinn. Ein Einschnitt waren schon die Aussagen des AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland, der Jérôme Boateng 2016 nicht als Nachbarn haben wollte. Genauso die Affenlaute, denen sich Jordan Torunarigha und Leroy Kwadwo ausgesetzt sahen. Und die rassistischen Aussagen von Schalkes Boss Clemens Tönnies. Spätestens bei einem dieser Ereignisse hätten die Spieler auf dem Platz und alle anderen so lautstark, deutlich und konsequent reagieren müssen wie nun in Sinsheim.
Eine Zäsur hat schon längst stattgefunden
Dass aber der Aufschrei bei Hopp nun so viel lauter ist als bei Torunarigha, Kwadwo und vielen anderen, dass bei solchen Vorfällen Schiedsrichter das Spiel teilweise nicht mal unterbrechen (geschweige denn abbrechen), dass Spieler nicht geschlossen in den Tunnel gehen und sich anschließend den Ball zuschieben - das zeigt, dass ein weißer alter Milliardär im Fußball wie in Deutschland mehr zählt als ein Schwarzer Deutscher oder Schwarze in Deutschland. Politik und Medien hatten auch von einer Zäsur gesprochen, als der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke 2019 von einem Rechtsterroristen ermordet wurde. Als wären nicht die NSU-Morde, die Hetzjagden in Chemnitz auf Nicht-Weiße oder die vielen Angriffe auf Geflüchtete Einschnitt genug gewesen. Nun wird auch im Fußball deutlich, dass erst durchgegriffen wird, wenn die weiße Mehrheitsgesellschaft bedroht wird.
Der Fußball bildet seine Gesellschaften ab. Minderheiten sind selbst mit Fußballergehältern in den rassistischen Strukturen Deutschlands "die anderen". Jetzt, da mit Hopp ein Mensch aus der Mehrheitsgesellschaft mit hohem sozialen Standing angegriffen wird, muss auf einmal "klare Kante" gezeigt werden. Die Reaktionen sind richtig, wie gesagt. Aber der TSG-Mäzen hat eine ganz andere Lobby als ein Mensch mit Rassismuserfahrung. Er kann sich ganz anders wehren, hat eine Stimme. Die Stimmenlosen, die den Rassismus in Deutschland wie im Fußball seit Jahren anprangern, können von so viel Aufmerksamkeit und Aktionsdrang nur träumen.
Klare Kante kommt zu spät
"Klare Kante", die Rummenigge fordert, wäre aber auch, ein Spiel abzubrechen anstatt es nur zu unterbrechen. Doch das trauen sich die Verantwortlichen offenbar nicht. Dafür ist zu viel Geld im Spiel. Dabei hätte jeder Rassismus- und Hass-Skandal diese harte Reaktion verdient. Damit auch dem Letzten klar wird, dass Minderheiten zum Land und zum Fußball gehören - und jeder, der gegen sie ist, Millionen gegen sich hat.
Hätte man die klare Kante stets bei rassistischen Beleidigungen gezeigt, wäre es zu den Hopp-Schmähungen gar nicht gekommen. Dann hätten alle längst realisiert, dass niemand im Stadion - sprich: der Gesellschaft - Hass, Ausgrenzung und Rassismus akzeptiert. Dass dieser Sport verbindet und für Zusammenhalt und Vielfalt steht. Aber so gut und wichtig die Reaktionen von heute auch sind - sie zeigen, dass in Deutschland wie im Fußball nicht jeder mit ihnen rechnen kann.
Quelle: ntv.de
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